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Ausgabe:

1895

Spalte:

290-291

Autor/Hrsg.:

Plitt, D.

Titel/Untertitel:

Geschichte der lutherischen Mission, nach den Vorträgen neu hrsg. und bis auf die Gegenwart fortgeführt von Otto Hardeland. 2 Hälften 1895

Rezensent:

Wurm, Paul

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Theologifche Literaturzeitung. 1S95. Nr. II.

290

Väter nach Fleifch und Geift, ihnen den Weg aus den
altteftamentlichen Bundesfchranken hinaus zum Kreuze
Chrifti weifen. Auch die Darlegung der Erhabenheit Chrifti
über die Engel verliert ihren akademifchen Charakter bei
der Annahme, dafs die Neigung zur Engelverehrung
auch eines der Momente war, das die chriftliche Klarheit
der Lefer nach jüdifchen Muttern verdunkelte.

Aber allerdings, der Brief in feiner abfonderlich lehrhaften
Haltung behält etwas befremdliches, fo lange er
als Schreiben an eine Gemeinde beurtheilt wird. Wie
den Theologen von heute, fo hat er auch den erften Lefern
als Xöyoi dvOEQfiijvevTog (5, Ii) hingebendes Studium und
eine gewiffe Gelehrfamkeit zugemuthet. Somit fordert
er einen engeren Leferkreis. Und dafs der Verf. in der
That einen folchen im Auge hat, fagt er felbft. Einer
Gemeinde kann er nicht fchreiben: Ihr müfstet Lehrer
fein der Zeit nach (5, 12). Ebenfo ift es keine Charak-
teriftik einer Gemeinde, wenn er die Lefer als folche
bezeichnet, die den Heiligen Dienft erwiefen und er-
weifen (6, 10). Nach 13,24 unterfcheidet er fie daher von
den >)yovfiEvoi, infofern fie nicht alle zu ihnen gehören,
und von den äyioi, den Gemeindegliedern überhaupt.
Weifen diefe Wendungen nicht deutlich auf eine Gruppe
von Evangeliften hin, deren Entwickelung dem Verfaffer
Sorge machte? Und diefe haben wir doch wohl am wahr-
fcheinlichften entweder in Paläftina oder in Antiochia
zu fuchen.

Leipzig. G. Heinrich

Bois, Prof. Henri, De la connaissance religieuse. Essai
critique sur de recentes discussions. Paris, Fischbacher,
1S94. (366 S. gr. 8.)

Die Ueberfchrift diefes Buches verheifst mehr als
der Inhalt desfelben bietet. Der Verfaffer gibt nicht eine
zufammenhängende Darftellung des angeregten Problems;
fein Werk ift eine kritifche Auseinanderfetzung mit einem
gedrängten, gedankenreichen Auffatz, den Prof. Sabatier
über die Theorie des religiöfen Erkennens, in der Revue
de theologie von Laufanne (Mai 1893) und in der Revue
chretietine (Oct.—Nov. 1893) veröffentlicht hat. Die leider
nicht feparat herausgegebene und daher im Buchhandel
nicht zugängliche Abhandlung des Parifer Theologen
berührt lieh in manchen Punkten mit den Ausführungen
von Lipfius; in überaus lebendiger und feffelnder Darftellung
unternimmt es S., den Unterfchied des theoretifchen und
des religiöfen Erkennens zu beleuchten, indem er be-
fonders den fubjectiven, teleologifchen und fymbolifchen
Charakter der religiöfen Erkenntnifs nachweift. Der allerdings
höchft anregenden und gehaltvollen, doch nicht
über drei Bogen ftarken Studie Sabatier's widmet Bois
eine Gegenfchrift von 363 Seiten. Er verfolgt Schritt
für Schritt die Argumentation feines Gegners, zergliedert
feine Sätze, fpannt die einzelnen Ausdrücke auf die Folter,
zerbröckelt den Organismus feiner Gedanken und überführt
den von ihm zu Tode gehetzten Theologen der
Unklarheit, des Selbftwiderfpruchs und des religiöfen
Nihilismus. Es läfst fich nicht leugnen, dafs in der Durchführung
diefes dialektifchen Scharfrichteramtes Bois ein
nicht ungewöhnliches formales Gefchick an den Tag legt;
man wird ihm auch zugeben müffen, dafs er hin und
wieder ein gewagtes Bild, eine fchillernde Redewendung
in der Vorlage des von ihm kritifirten Theologen aufgedeckt
und nachgewiefen hat; dagegen hat der geftrenge
Censor dieelementarften Bedingungen einer wirklich fruchtbaren
Polemik unerfüllt gelaffen. Er hat fich nicht die
Mühe gegeben dem inneren einheitlichen Zufammenhang
der Gedanken feines Gegners gerecht zu werden, noch
hat er es verftanden, diefelben zu klarem Verftändnifs zu
zu bringen. Sowohl den Standpunkt Sabatier's als die
Gegenargumentation von Bois mufs man fich mühfam
aus gelegentlichen Aeufserungen reconftruiren, eine Arbeit
, die bei den zahlreichen Wiederholungen, den com-

plicirten Irrgängen, den klugen Schachzügen des Polemikers
, überaus langwierig und fauer ift. In feinen kri-
tifchen Streifzügen ftöfst B. auch auf andere Theologen,
Freunde und Gegner, Godet, Roberty, Gretillat, Monod
u. A., doch werfen die beiderfeits gewechfelten Reden
und Gegenreden wenig zum Verftändnifs der behandelten
Frage ab, denn die Erörterung des Problems ift eine zufällige
und fragmentarifche, nirgends eine principiell und
methodifch durchgeführte.

Strafsburg i. E. P. Lobftein.

j Plitt, f Prof. D., Geschichte der lutherischen Mission, nach
den Vorträgen neu hrsg. und bis auf die Gegenwart
fortgeführt von Diak. Otto Hardeland. 2 Hälften.
Leipzig, Deichert Nacht., 1894. 95. (VII, 242 u. VIII,
372 S. gr. 8.) M. 8.50

Es wird hier nicht blofs eine Gefchichte der Leipziger
Miffion, fondern fämmtlicher Miffionen der lutherifchen
1 Kirche unter Heiden und Juden bis auf die Gegenwart
als Aufgabe des Buches geftellt. Die Vorträge des
f Prof. Plitt find von Hardeland im erften Band nur
überfichtlicher gruppirt und gleichmäfsiger geftaltet
worden. Im zweiten Theil mufste vieles neu bearbeitet
werden, fo dafs das Ganze auf den doppelten Umfang
des alten Plitt angewachfen ift.

Die lutherifche Kirche ift feit der Reformationszeit
trotz dem gemeinfamen Bekenntnifs niemals eine folche
Einheit gewefen, dafs wir erwarten könnten, ihre< Miffions-
thätigkeit werde einen einheitlichen Charakter haben.
Mögen immerhin die freien Vereine, aus welchen die
Miffionen des 18. und 19. Jahrhunderts hervorgegangen
find, einen Zufammenfchlufs von lebendigen Chriften aus
verfchiedenen lutherifchen Landeskirchen eher möglich
machen, fo ift doch namentlich zwifchen den lutherifchen
Kirchen im Often und im Weiten Deutfchlands feit der
Reformationszeit ein folcher Unterfchied, dafs es heutzutage
nicht gelingen wird, ihnen ein einheitliches Gepräge
aufzudrücken. Welche Miffionen gehören nun in
eine zufammenfaffende Gefchichte der lutherifchen
Miffion? — Diefe Frage wird von Hardeland
weder geftellt noch beantwortet. Man follte erwarten,
alle diejenigen Miffionen gehören hierher, welche in die
heidenchriftlichen Gemeinden den lutherifchen Katechismus
verpflanzen und beim h. Abendmahl eine lutherifche
Spendeformel haben. Allein dann hätte der Kreis weiter
gezogen werden müffen. Hardeland fcheint von den in
unterem Jahrhundert entftandenen Gefellfchaften nur diejenigen
als lutherifch zu betrachten, welche gegen Re-
formirte und Unirte polemifch auftreten. Aber nach diefem
Princip hätten von den alten hallefchen Miffionaren alle
diejenigen nicht hergehört, welche im Dienft der eng-
lifchen Gefellfchaft zur Beförderung chriftlicher Erkenntnifs
angefleht waren, namentlich der berühmte Schwarz nicht,
der in Tritfchinopoli die englifche Garnifonsgemeinde
mit dem Sacrament bediente und dabei das Allgemeine
Gebetbuch der englifchen Kirche benützte (I, S. 151).
So möchten wir die Auswahl des Stoffs beanftanden.
Im ganzen aber dürfen wir anerkennen, dafs wir in beiden
Theilen eine anfprechende und überfichtliche Zufammen-
ftellung, ein auf forgfältigen Quellenftudien beruhendes
und dabei auch für Laien geniefsbares Werk haben.
Namentlich die von Plitt entworfene Darftellung der alten
dänifch-hallefchen Miffion ift eine werthvollekirchen-
gefchichtliche Monographie. Etwas überflüffig erfcheint
uns die Einleitung über Luthers Auffaffung und Erfüllung
der chriftlichen Miffionspflicht, denn man kann von den
deutfehen Proteftanten im Reformationszeitalter nicht wohl
erwarten, dafs fie die Bekehrung der überfeeifchen Heiden
verfuchen follten, fo lange fämmtliche Colonien in den
Händen der katholifchen Mächte waren. Es hat daher
wenig Wert, die Ausfprüche Luther's und der älteften