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Ausgabe:

1895

Spalte:

285-289

Autor/Hrsg.:

Ménégoz, Eugène

Titel/Untertitel:

La théologie de l‘épître aux Hébreux 1895

Rezensent:

Heinrici, Carl Friedrich Georg

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Die anmerkungsweife rnitgetheilten Varianten find nichts
als gelehrte Arabeske, da von irgendwelchen kritifchen
Entfcheidungsgründen nichts mitgetheilt wird. Grofse
Willkür herrfcht in der Auswahl der Varianten. Bei der
Abendmahlseinfetzung z. B. wird nicht gefagt, dafs die
Einfetzungsworte verfchieden überliefert find. Das Vater-
unfer wird in der volleren Form aufgenommen, was mit
einiger dreiften Zuverficht als richtig behauptet wird.
Zu Luc 24, 51 wird xai uvecpegexo ete ibv ovguvov gegen
XD It als echt beurtheilt mit Berufung auf Apg I, 2.
Aber hier ift feit Blafs' Edition die Situation verändert,
da c(ve?.rjf.i(p&ri vielleicht mit Aug Gig zu ftreichen ift.

Marburg. J. Weifs.

Menegoz, Eugene, La theologie de l'epitre aux Hebreux.

Paris, Fischbacher, 1894. (298 S. 8.) Fr. 7. 50

Der feinlinnige und geiftvolle franzöfifche Schrift-
forfcher, dem die Wiffenfchaft die förderliche Studie über
Sünde und Erlöfung nach Paulus (1882) verdankt, hat
fich die Aufgabe gehellt, den originalen Lehrgehalt des
Hebräerbriefs zu ermitteln. Er will damit die theologifche
Bedeutung des Briefs erkennbarer in's Licht hellen, als
das Riehm in feinem grofsen Werke gelungen ih. Und
in der That vermeidet er den Fehler diefer gründlichen
Arbeit, die mehr eine biblifche Dogmatik auf Grund des
Hebräerbriefs ih, als eine Klarlegung der eigenthümlichen
theologifchen Anfchauungen desfelben. Nachdem M. zu
den gefchichtlichen Fragen, welche die Beurtheilung des
Lehrgehalts bedingen, Stellung genommen hat (S. 9—76),
erläutert er die Haupthücke der Lehre (S. 77—175), um
fodann durch die Unterfuchung der Quellen der Lehre
den vorher gewonnenen Anfätzen den ficheren gefchichtlichen
Grund zu geben (S. 176—219). Er befchliefst das
Ganze mit dem Aufweis des Einfluffes, den die Theo-
logumena des Plebräerbriefs in der dogmengefchichtlichen
Entwickelung ausgeübt haben (S. 220—252), und mit einer
Zufammenfaffung der Ergebnifse, die auch auf ihre prak-
tifche Tragweite Rückficht nimmt.

So ih die Unterfuchung dem Sachbehand angemeffen
angelegt; und fie ih lichtvoll durchgeführt. Mit voller
Herrfchaft über die Stoffe und mit ausgiebiger Literatur-
kenntnifs entwickelt M. fowohl die Theorien und ihren
Glaubensgehalt, als auch die gefchichtlichen Beziehungen
in fo fcharffinniger und feffelnder Weife, dafs der Lefer fich
angeregt und belehrt fühlt und mit Genufs ihm folgt.
Denn auch wo er die Ergebnifse von Mitarbeitern übernimmt
und in Rückficht auf feine nächhen Lefer tiefer
in die Einleitungsfragen eingeht, als es der eigentliche
Zweck feiner Unterfuchungen erforderte, weifs er feinen
Ausführungen durch Faffung und Beleuchtung einen neuen
Reiz zu verleihen.

Ueber die theologifchen Zielpunkte und über die
Abficht des Hebräerbriefs befteht im wefentlichen Ueber-
einftimmung. Die Idee des Opfers Chrifti ift der theologifche
Orientirungspunkt. Chriftus, der fich felbft Gott
zum Opfer darbringende königliche Hohepriefter, wird
in allegorifcher und typifcher Ausdeutung des Alten Tefta-
ments als der Heilsvollender befchrieben. Durch diefe
Darlegungen foll der Gefahr der Erfchlaffung, Verflachung
und des Abfalls von der Gemeinfchaft vorgebeugt
werden. Weit auseinander gehen dagegen die
Urtheile über die gefchichtlichen Bedingungen des Briefs.
Die Unficherheit feiner Ueberlieferung erklärt fich zum
guten Theile aus dem Mangel aller unzweideutigen Fingerzeige
für feine gefchichtliche Eingliederung. Ausfchliefs-
lich entfeheiden innere Gründe, die durch Schlüffe aus
mehrdeutigen Ausfagen gewonnen werden. Verfaffer,
Adreffaten, Zeit und Ort der Abfaffung find daher in
entgegengefetzter Weife beftimmt. Die am weiteften auseinander
liegenden Ergebnifse gehen einerfeits dahin,
dafs der Brief an Heidenchriften in Rom gefchrieben fei
und wohl in die Zeit des Domitian falle, andererfeits dahin,

dafs der Brief aus judenchriftlichen Kreifen flamme, an
Judenchriften, die wahrfcheinlich in Jerufalem zu fuchen
find, gerichtet fei und in das Jahrzehnt vor der Zerftörung
der heiligen Stadt falle. Wenn die zweite Anficht von
einem Vertheidiger der erflen als Ungeheuerlichkeit bezeichnet
wird, gegen die ,einfach alles' fpreche, fo enthüllt
diefes Urtheil die ganze Schwierigkeit der Sachlage,
die es eben unerläfslich macht, auch die gefchichtlichen
Grundlagen für die Werthung der Lehranfchauungen des
Briefes ficher zu ftellen.

In Erledigung diefer Aufgabe kommt M. zu folgenden
Ergebnifsen: Der Brief ift mit nichten eine allgemeine
Predigt, fondern ein an Judenchriften gerichtetes Mahn-
fchreiben, das den fefteren Anfchlufs an die kirchliche
Gemeinfchaft bewirken will. Durch die Verzögerung der
Parufie ift die Gefahr des Abfalls brennend geworden.
Der Wohnfitz der Lefer ift nicht ficher zu beftimmen.
Von dem Verfaffer läfst fich nur fagen, dafs er ein Mann
wie Apollos gewefen fein mufs, welcher der jüdifch-
alexandrinifchen Bildung mächtig und durchdrungen war
von der Erhabenheit der chriftlichen Weltanfchauung über
die altteftamentliche. Der Zeit nach gehört der Brief in
die zweite chriftliche Generation, aber er ift vor der Zerftörung
des Tempels gefchrieben, wahrfcheinlich zwifchen
den Jahren 64 und 67. Von diefen Vorausfetzungen aus
erörtert M. die Theologumena des Briefs in fünf Ab-
fchnitten, die von Chriftus, vom Opfer, vom Glauben, vom
Gefetz und von den letzten Dingen handeln.

Chriftus kennt der Verfaffer des Briefs aus der Ueberlieferung
. M. fafst feine Vertrautheit mit der Ueberlieferung
wohl zu unbeftimmt. Gefchriebene Evangelien
find allerdings nicht benutzt, aber welche lebendigen Eindrücke
von den Leidenskämpfen Jefu bekundet eine Aus-
fage wie 5, 7 f.; auch die Schlüffe aus Jefu Abftammung
von dem Stamme Juda (7, 14) bezeugen gefchichtliche
Orientirtheit. Doch das Anliegen des Briefs richtet
fich allerdings auf Begründung einer theologifchen und
bekenntnifsmäfsigen Anfchauung von Chriftus. Diefelbe
wird nicht mit Speculationen über Chrifti Verhältnifs zu
Gott, über die Art feines Hervorgehens aus Gott
(Emanation, Incarnation) begründet, fondern es wird
Chrifti Präexiftenz, feine Gottheit, fein geheimnifsvoller
Urfprung (7, 3), feine Thätigkeit als Weltfchöpfer und
Erhalter behauptet. Die Bedeutung feines Werkes kennzeichnet
der eigenthümlich ausgenutzte Begriff der rsXei-
coOiq {xeXelovv). M. beftimmt diefen als le terme d'un
evolution, la plenitude d'un cpanouissement. Bei diefer Definition
kommt aber nicht zur Geltung die Charakteriftik
Jefu als reXeico&eLg (5, 9. 2, 9), die Weihe Gottes.

Der Zweck des Werkes Jefu ift das Opfer feines
Lebens zur Sündenvergebung. Der Verf. des Hebräerbriefs
fetzt feine ganze Kraft ein, um durch Ausdeutung
der Opfergefetze und Riten die Erledigung aller — man
möchte fagen Palliativopfer durch das einmalige und
allgenugfame Opfer Chrifti zu beweifen. In feinen zu-
gefpitzten Schrifterklärungen und kühnen Antithefen lebt
das Hochgefühl der Befreiung von all' den umftändlichen,
unbefriedigenden Mitteln, durch die der Fromme des
Alten Bundes fich den Zugang zu Gott anbahnen wollte.
Bezeichnend für die Methode ift die Ausnutzung des
Doppelfinns von öiad-r'jxrj (Bund und Teftament), bei der
zugleich erhellt, wie fern der Gedanke an das ent-
fprechende hebräifche Wort dem Verf. liegt (S. 105 f.).
Worin die befreiende Kraft des Opfers Jefu gefetzt wird,
ift ftreitig. M. entfeheidet fich mit Recht gegen die Beziehung
auf ein ftellvertretendes Strafleiden, indem er
die Abficht des blutigen Opfers im ifraelitifchen Cultus
in der Erwirkung der göttlichen Gnade durch Darbringung
des Lebens aufweift. Aber wider die Anfchauungsweife
des Briefs fchreibt er dem Opfer Chrifti nur eine be-
fchränkte Beziehung auf Ifrael zu (S. 125); denn Ifrael
(Xaoq) ift ebenfo wie das altteftamentliche Opfer und wie
| fodann Melchifedek mit Rückficht nicht auf die nationalen