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Ausgabe:

1895

Spalte:

8-12

Autor/Hrsg.:

Dobschütz, Ernst v.

Titel/Untertitel:

Studien zur Textkritik der Vulgata 1895

Rezensent:

Bousset, Wilhelm

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Theologifche Literaturzeitung. 1895. Nr. 1.

dafs in D das Diarium, in den übrigen Hndfchrn. der
Apoftelgefchichte die Reinfchrift des Lukas vorläge.

Harris befchäftigt fich in der erflen Studie mit Refch's
Behauptung von dem judenchrifUichen Urfprung des
Codex D. Der Beweis, den Refch nach Credner für feine
Behauptung aus den liturgifchen Randbemerkungen und
den übrigen Randangaben des Codex D entnimmt, wird
mit dem Nachweis widerlegt, dafs Refch fich hier auf
die veralteten Angaben Credner's ftützt, (dem nur die
Ausgabe Kipling's vom Codex D vorlag,) ohne die neue
Ausgabe von Scrivener zu Rathe zu ziehen. Jene Randbemerkungen
, aus denen Credner bewies, dafs der Archetypus
des Codex D bis zum 5. Jahrh. fich in judenchrift-
lichen Kreifen befunden habe, flammen aus dem 12.Jahrh.!
— Ich hoffe, dafs danach nun die Hypothefe von dem
judenchrifUichen Urfprung von D endgültig befeitigt ift.

In der zweiten —entschieden der wichtigften — Studie
unterfucht Harris zunächft die von Chafe in feiner Unter-
fuchung gemachte Vorausfetzung, dafs auch in den Acta
eine fyrifche Ueberfetzung exiftirt habe, die älter als die
Peschita, etwa dem syr. cureton. in den Evangelien ent-
fpräche. Ephraem's neuerdings in einer Ueberfetzung
aus dem Armenifchen herausgegebenen Commentar zu
den Paulinen nimmt er zum Ausgangspunkt. Schon Zahn
hatte darauf hingewiefen, dafs der von Ephraem gebrauchte
Text älter und dem abendländifchen Text
verwandter fei als derjenige der Peschita, und hatte
auf Spuren marcionitilcher Beeinfluffung hingewiefen.
Harris wirft nun die Frage auf, ob fich in demfelben
Werk nicht auch Spuren eines älteren Actatextes finden.
Und fie finden fich: Ephraem kannte den eigenthüm-
lichen Bericht in D von der doppelten Verfolgung der
Apoftel in Iconium und die Gloffe in D Act. 1, 5. Der
Commentar von Ephraem zu den Acta ift nicht mehr
vorhanden, dagegen eine armenifche Katene zu den Acten
mit zahlreichen Fragmenten aus E. •— Vermitteln: diefer
Fragmente läfst fich nun die Vermuthung zur fclvidenz
erheben. Wir finden hier die intereffanten Abweichungen
in der Erzählung von Pauli Gefangennahme in Philippi,
die Notiz, dafs Paulus vom Geift verhindert fei, in Theffalien
zu predigen (17, 15), 19, 18 den fonderbaren Schreibfehler
neQierSQ(ot> (ftatt neoiaixeoui), vielleicht den Zufatz
zu den Befchlüffen des Apoftelconcils, die Gloffen 19, I.
20, 3 (Paulus vom Geift gehindert, nach Jerufalem zu
reifen, vom Geift nach Macedonien geführt). Man kann
Harris beglückwünfchen zu feinem Refultate. Hier ift in
der That eine Entdeckung gemacht, die unumftöfslich
erfcheint.

In einer dritten Studie macht H. auf die Verdienfte
von Corffen aufmerkfam, der den alten cyprianifchen
Text der Acten wiederhergeftellt und den Nachweis ge-

Berückfichtigung der Hypothefe von Chafe einige von
den Gloffen der Ueberlieferung der D-Gruppe. Zunächft
urtheilt er, dafs manche Beobachtungen von Ch. in der
That einige Wahrfcheinlichkeit in fich trügen, dafs aber
in den meiften Fällen feine Erklärungen zweifelhaft, vor
Allem aber unzureichend, fehr oft einfach falfch feien.
Vor Allem intereffant find hier H.'s Ausführungen hin-
fichtlich zweier Gloffen 6, 15. 7, 1 und 15, 29. Die Gloffe
Eoxcöxoq (Lat. stans!) ev iitaw avxüv gehört nicht zu 6, 15,
fondern zu 7, 1 und bezieht fich in Nachahmung der
Leidensgefchichte Jefu auf das Auftreten des Hohen-
priefters (Mrc. 14, 60). Die Gloffe cptQ(>f.iEvoi äyitp jcvev-
iiaxi Act. 15, 29 gehörte in den Satz: n'i juiv ovv arcoXv-
tlivxEg v.axx{kdov eig Avxio'/Eiav. Es fcheint alfo demnach
Syftem des Bearbeiters gewefen zu fein, überall bei
den Reifen der Apoftel die directe Leitung des göttlichen
Geiftes zu betonen, vgl. 17, 5. 19, 1. 20, 3. Wenn
H. diefe Beobachtung gemacht hätte, würde er wohl
kaum geneigt gewefen fein, Blafs zuzugeftehen, dafs in
der Gloffe Act. 17, 15 ein original element vorliege. Wir
haben hier eine einfache Nachahmung von Act. 16, 6ff.
Zum Schlufs fei hier noch hingewiefen auf den Latinismus,
den H. 89 in der Gloffe Act. 4, 31 entdeckt.

Mit einigen Bemerkungen über die Behandlung des
vorliegenden Problems möchte ich fchliefsen. 1) Die
Frage, ob in der D-Gruppe eine Recenfion oder eine
Arbeit erfter Hand vom Verf. anzunehmen, und wie weit
Urfprüngliches in derfelben erhalten fei, ift zunächft unabhängig
von der Unterfuchung nach den Latinismen
oder Syriacismen der Gruppe aufzunehmen, und kann
unabhängig von ihr gelöft werden. 2) Eine ganze Reihe
von Stellen zeugt deutlich für die Annahme einer vorgenommenen
ziemlich eindringenden Recenfion. 3) Daneben
ift allerdings eine Reihe urfprünglicher Lesarten
in der immerhin fehr alten Gruppe erhalten geblieben.

4) In der Unterfuchung, ob Latinismen oder Syriacismen
vorhanden find, ift ftreng zu fcheiden zwifchen dem
Nachweis fprachlicher Beeinfluffung in einzelnen Kleinigkeiten
und der Frage, ob wirklich die grofsen Veränderungen
und Gloffen fremden Sprachcharakter tragen.

5) Für die letztere Annahme fpricht namentlich die Erscheinung
, dafs da, wo eine gröfsere Gloffe in den beiden
griechifchen Codices D und E erhalten ift, fich im grie-
chifchen Text viel ftärkere Varianten (Ueberfetzungs-
varianten?) finden, als im lateinifchen Text. 6) Will man
eine folche Annahme machen, fo hat die Hypothefe von
H. bedeutenden Vorfprung vor der von Chafe. P)s ift
von vorneherein wahrfcheinlicher, dafs Syrien fein neues
Teftament von Rom bekommen hat, als das Umgekehrte.

Die Unterfuchung von H. ift in ihrer umfichtigen
Behandlung des weitfchichtigen Materials, in ihren kühnen

führt habe, dafs Codex D eine dem textus receptus fchon und doch ficheren Combinationen, in der Unvoreinge
wieder angenäherte und daher oft mit Doubletten ver- nommenheit gegenüber der einmal gefafsten Meinung,
fetzte Form des Textes aufweift. — Die Nachweife aus ( die zu neuen fchönen Refultaten führt, in der Fähigkeit,
Cyprian — H. fucht auch Spuren bei Tertullian nach- ; ein Problem von allen Seiten zu betrachten, ein kleines
zuweifen — führen die Eigenthümlichkeiten der Gruppe Meifterftück, das unfere Erkenntnifs der behandelten Proin
eine fehr frühe Zeit zurück. Daher fcheine es ange- i bleme wefentlich fördert.

zeigt, alle Aufmerkfamkeit dem oben charakterifirten | Güttingen. W Bouffet.

Verfuch von Blafs zuzuwenden. Diefe Zuftimmung Blafs '

gegenüber vermag ich nicht zu theilen, halte vielmehr --

B.'s Hypothefe für völlig verfehlt. Mufs auch zugegeben Dobschütz, Privatdoc. Ernft v., Studien zur Textkritik der

Tl^ll^t fl,Ä. _!^^ifJSS^ Vulgata. Leipzig, Hinrichs, 1894. (XI, ^S-n^Lichtdr.

Text erhalten und in den übrigen Codices geglättet ift,
fo erklärt fich das doch auch von der Annahme aus, dafs

gr. 8.) M. 6.-

D dort den urfprünglichen Text bewahrt. In den weitaus Dobfchütz liefert in diefen Studien kritifche Beiträge

meiften Fällen aber läfst fich mit Sicherheit nachweifen, zu der grofsen Ausgabe von Wordsworth und White,
dafs D den Charakter abfichtlicher Correcturen, die ein j Zunächft hat D. den Codex Ingolstadiensis (I.), den
Redactor an einem fremden Schriftwerk vornahm, fo 1 W.a.W. nach einer von Tifchendorf flammenden Colla-
deutlich an der Stirn trägt, dafs man fich wundern mufs, ; tion brachten, von Neuem eingefehen. Ich verweife hier
dafs hier noch nicht das Richtige gefehen ift. Ich hoffe | nur kurz — des Raumes wegen — auf die mufterhafte Be-
hierüber noch einmal nähere Ausführungen geben zu I fchreibung, welche D. von diefer Hndfchr. giebt (f. auch
können. j die Beilagen). D. fetzt die Hndfchr. in die fpätkaro-

In der letzten Studie befpricht H. mit befonderer | lingifche Zeit. Mtth. 22, 39—24,18. 25,14—24 find nach-