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Ausgabe:

1895 Nr. 10

Spalte:

258-262

Autor/Hrsg.:

Loesche, Geo.

Titel/Untertitel:

Johannes Mathesius. Ein Lebens- und Sitten-Bild aus der Reformationszeit. 1. Bd 1895

Rezensent:

Bossert, Gustav

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Theologifche Literaturzeitung. 1895. Nr. 10.

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worden find. Soweit hat auch Z. den Sachverhalt richtig
erkannt {cf. p. XL1). Es fragt fich dabei nur, welche der
beiden Recenfionen man für die endgültige anfehen und
für welche man fich demnach entfcheiden will. Z. hält
dafür, dafs r etractationis opcra incohata, non ad
calcem prouecta fei, und dafs man demgemäfs ein
eklektifches Verfahren bei der Wahl der Lesarten ein-
zufchlagen habe. Damit hat er fich den einzigen Faden,
der den Kritiker durch die Lesarten hindurchführt, aus
den Händen entfehlüpfen laffen, und die Folge davon
find zahlreiche Inconfequenzen in der Herftellung des
Textes, für die man vergeblich nach einer Erklärung fucht.

Bei den beiden erften Büchern läfst fich Z. mit Vorliebe
von P namentlich, wo diefe Hf. mit RB übereinnimmt
, leiten. Die fingulären Lesarten von 6, aber auch
viele von PG gebotene werden dagegen zurückgeftellt.
P blendet durch fein Alter und ohne Frage hat er an
vielen Stellen den richtigen Text bewahrt, wie gleich
p. 18 das fehr gut paffende i fori am {cf. Morin, Revue
bened. 1892, 173. Weyman, Archiv f. lat. Lexikogr. IX
[1894I S. 52. Wölfflin, Sitz.-Ber. d. Münch. Akad. phil.
h. Kl. 1894, 1, 97 f.), an dem die fpäteren, weil das Wort
verloren gegangen war, nach Kräften herumcorrigirt
haben. Trotzdem ift gerade P ein bedenklicher Führer,
weil er die Mitte zwifchen G und RB inne hält. Aber
auch hier ift Z. nicht confequent genug gewefen. P. 919
lieft Z. mersam nach P cf. G {RB: deiner sam), p. 1012
deinersam {P: mersam); 4119 wäre wie in den vorhergehenden
Zeilen mit RB zu fchreiben gewefen et
alio loco; 4324 dixisset; vgl. 453. 5417. 573. 587. 6112.
637. 675. 6917. 22 u. v. a. So findet es wohl auch feine
Erklärung, dafs an einzelnen Stellen durch Contaminirung
ein Mifchtext eingefetzt wird. P. 303 sq. lieft Z. quod
religiosissimas scripturas prodiderit vel exus~
serit; RB: q. r. Script, prodiderit; G: scr. tradi-
derit vel exusserit; vgl. 6810; 740; 9721 (wo bereits
Du Pin die Lesarten vermifcht hatte) u. a.

Dem gegenüber ift doch zu fragen, ob man nicht
zu einer befferen Einficht in das Verhältnifs der beiden
Recenfionen gelangen kann. Es ift zu bedauern, dafs Z.
auf einen derartigen Verfuch verzichtet hat. Denn m. E.
lafien fich beftimmte Anhaltspunkte gewinnen. Die Ab-
faffungszeit der Schrift ift nach III, 8 (p. 9015) auf + 368
beftimmt worden (Harnack a. a. ü., Ziwsa p. VII fetzt 375
—385 an), da er feit der diocletianifchen Verfolgung
sexaginta annos et quod excurrit rechnet. Nun wird
aber II, 3 (p. 3711) Siricius genannt, der von 384 an
Bifchof war, und II, 4 (p. 39s) erfcheint unter den do-
natiftifchen Bifchöfen Claudianus, der Ende 378 lebte
{Til/emont, Memoircs pour serv. a l'hist. eccl. VI, 715).
Demnach müfste die Revifion des Werkes c. 385 vorgenommen
worden fein (Bardenhewer, Patrologie S. 397)oder,
wenn die Erwähnung des Siricius mit Baronius, Baudouin
zu ftreichen ift {cf. Tillcmont, Memoires p. s. ä l'hist. eccl. VI,
88.714 s. Dupin, Note 35 z. d. St.) c. 375. Nun lieft aber
P II, 4 (p. 399) die fraglichen Worte Claudianus Luciano
, Lucianus Maerobio nicht, weift demnach die
Schrift in die Lebenszeit des Macrobius, der (p. 37is f.)
noch als lebend vorausgefetzt ift. P dürfte hier die LA
der erften Ausgabe erhalten haben; denn wir werden
hierdurch in die nach III, 8 beftimmte Zeit verfetzt. In
das Jahr c. 375 aber weift die LA von 67 an der Stelle
III, 8 (p. 9015), die hier ftatt annos LX {et quod excurrit
:) bietet: annosprope septuaginta. Damit wäre
denn wahrfcheinlich gemacht, dafs 67 die Ausgabe letzter
Hand darftellt, während die im Wefentlichen von RB
überlieferten Sonderlesarten auf die erfte Ausgabe zurückzuführen
wären, und P einen aus beiden Recenfionen
gemifchten Text enthielte. Dies Refultat läfst fich noch
beftärken durch eine Abwägung der von 67, refp. PG
gebotenen LAA. P. 53 1 lefen PBR: mala acerua (ftatt
acerbd) cruenta et hostilia; 67: mala et acerba,
cruenta et inutilia. 67 bildet alfo zwei Gruppen und

erfetzt hostilia durch inutilia. Jenes bezeugt die ftili-
ftifche Feile, diefes die conciliatorifche Tendenz der
fpäteren Bearbeitung, die auch im 7. Buche deutlich zum
Ausdruck kommt. Auch an anderen Stellen laffen fich
bei 67 derartige Abfchwächungen, wie fie hier in der
Aenderung inutilia vorliegt, nachweifen. Z. B. 1422 ift
das indubitanter {RB) erfetzt durch das befcheidenere:
ut mihi vi de tu r. Doch fehlt es auch nicht an Ver-
fchärfungen, wie p. 55 19 imperfecti ftatt semiperfecti
(von der Menfchheit im Verhältnifs zu Chriftus). Ueber-
haupt läfst fich oft die Aenderung aus dem Streben nach
präciferer Ausdrucksweife erklären (p. 69 n; credentibus
ftatt hominibus), oder aus dem Streben nach gröfserem
Wohllaut: p. 829: debuerant metu mortis ftatt meru-
erant metu mortis; 8216 illo tempore, ftatt tunc weil
unmittelbar ein zweites tunc folgt; 6918 extruere weil
Z. 19 construitur folgt u. f. w. Auch die Genauigkeit
bei den Bibelcitaten, bei denen ein alio loco o. ä. durch
die Angabe der Stelle erfetzt wird, gehört hierher.
Derartige Aenderungen, für die faft jede Seite des Apparates
Belege liefert, laffen fich nicht verliehen, wenn G
die frühere Bearbeitung ift. Demnach fcheint mir für die
Textkritik der Grundfatz zu gelten, dafs im Wefentlichen
G zu Grunde gelegt und fein Text nur von offenbaren
Fehlern gefäubert wird. In zweiter Linie ift P, in dritter
{A) RB heranzuziehen.

Mit Conjecturen ift der Herausgeber fparfam gewefen
und zwar mit gutem Recht. Auch die wenigen Emen
dationen find z. Th. noch überfiüffig: 6222 läfst fich mitter
e caedem halten: ,ohne viel Blutvergiefsen und Mafienkampf
konnte der Krieg kurzer Hand einen Todtfchlag
hervorbringen' d. h. darin endigen; Z. 23 ift die Aenderung
suadebant gegen die Hff. unnöthig; 676 ift mouere-
tur ganz in Ordnung; 14813 ift der Text beanftandet,
der, richtig interpungirt, einen guten Sinn giebt: et non
interueniat inuocatio dei. quae tetigerit pollutus,
polluta erunt. inquinari possunt, si de deo tacc-
atur. Dagegen hätte 108 17 das Scorpiani nicht flehen
bleiben follen. Ein derartiges Mifsverftändnifs von Tertull.,
Scorp. 1 ift Optatus fchwerlich zuzutrauen; man wird wohl
scorpionis zu lefen haben.

Die Klage über mangelhafte Notirung der Bibelftellen
ift allmählich flehend geworden. Ich verzichte darauf, fie
aus dem vorliegenden Bande mit Belegen zu verfehen.
Nur eins möchte ich anmerken: p. 171 11 ift, was Z. nicht
bemerkt hat, I Petr. 48 dem Paulus in den Mund gelegt.
Das erklärt den Fehler p. 73! Dafs die zahlreichen Rück-
verweifungen in der Schrift am Rand nicht nachgewiefen
find, ift nicht zu billigen.

Am Schlufs des Bandes hat Z. die zehn Actenftücke
zur Gefchichte des Donatismus nach Codex C abgedruckt
und forgfältig recenfirt. Die Indices am Ende
find, nach Stichproben zu urtheilen, genau und empfehlen
fich durch grofse Reichhaltigkeit.

Für die ungebührliche Verfpätung der Anzeige, die
mir zur Laft fällt, habe ich um Entfchuldigung zu bitten.
Eberftadt b/Lich (Heffen). Erwin Preufchen.

1. Amelung, Gymn.-Oberlehr. Dr. Karl, M. Johannes Mathe-

sius, ein lutherifcher Pfarrherr des 16. Jahrhunderts.
Sein Leben und Wirken, unter Benutzung des hand-
fchriftlichen Nachlaffes des fei. Pfarrers Chrn. Müller
dargeftellt. Mit 1 Bildnis des Joh. Mathefius und drei
Anhängen. Gütersloh, Bertelsmann, 1894. (VIII, 284 S.
gr. 8.) M. 3. 60; geb. M. 4. 50

2. Loesche, Prof. D. Geo., Johannes Mathesius. Ein Lebensund
Sitten-Bild aus der Reformationszeit. 1. Bd. Mit
Portr. und Fcfm. Gotha, F. A. Perthes, 1895. (XXI,
639 S. -gr. 8.) M. 10, —

Vilmar hat das Verdienft, kräftig auf die Schriften
des Joh. Mathefius hingewiefen zu haben. Auf feine An-

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