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Ausgabe:

1895 Nr. 1

Spalte:

6-8

Autor/Hrsg.:

Harris, J. Rendel

Titel/Untertitel:

Four lectures on the western text of the New Testament 1895

Rezensent:

Bousset, Wilhelm

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Theologifche Literaturzeitung. 1895. Nr. 1.

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die im 2. Jahrhundert überhaupt, aber auch fpeciell in
Fragen des Johannesev. undenkbar ift, war das Motiv,
fondern in erfter Linie der Nachweis einer Erfcheinung
an dem überlieferten Auferftehungstag felbft, und in
zweiter ein Ausgleich der einander ausfchliefsenden Loca-
lifirungen der Erfcheinungen in Galiläa und in Jerufalem.
Nur aus einem folchen Motiv erklären fich die Correc-
turen ungezwungen, was hier im Gegenfatz zu R.'s Behandlung
der Texte nicht im Einzelnen nachgewiefen
werden kann. Auch die zeitliche Fixirung diefer Pro-
cedur und damit der Bildung des Vier-Ev.-Kanons auf
das erfte Viertel des 2. Jahrhunderts ift nicht genügend
begründet. Die Stellung Juftin's und das Auftreten der
Aloger wiegen ftärker, als des Irenäus Erinnerungen,
und fprechen für die Zeit zwifchen 125 und 150.

Gegenüber der mittleren Gruppe von Hypothefen
(S. 22—52) fehe ich mich genöthigt, durchgehends meinen
Diffens zu erklären. Hier wird zuerft der Nachweis verbucht
, dafs Mc. urfprünglich einen andern Schlufs gehabt
haben müffe, und dann das Wagnifs unternommen, diefen
verlorenen Schlufs zu reconftruiren Aber der Oberfatz
ift nicht zu erweifen. Die .Analogie der andern Evangelien
' kann für das zweifellos ältefte gar nichts beweifen
und feine fpätere Ergänzung nach diefer Analogie nicht
als Zeugnifs verwerthet werden, dafs man bei v. 8 einen
gewaltfamen Bruch empfunden habe. Ebenfowenig ift
zu begründen, warum die Erfüllung der Weisfagung
14, 28. 16, 7 im Evangelium erzählt fein müffe. Die Cor-
rectur des Schweigens der Frauen in Mt. 28, 8. Lc. 24, 9
beweift, dafs eine folche als nöthig empfunden wurde,
fobald man Auferftehungserfcheinungen erzählen wollte,
während andernfalls das ,fie fagten niemand nichts' die
Erzählung von dem leeren Grab trefflich abfchlofs.
Und diefer Abfchlufs war doppelt nöthig, wenn etwa
die Erzählung vom leeren Grab ganz neu auftauchte,
um begreiflich zu machen, wie he dem bisherigen, allgemein
zugänglichen Schatz von Gefchichten fremd
bleiben konnte. Dagegen ift es unbegreiflich, warum,
wenn erft fpäter ein Schlufs abgeftofsen werden follte,
der Schnitt nicht nach v. 7 gemacht wurde; zumal, da
v. 8 doch für die johanneifchen Kreife mindeftens fo
anftöfsig fein mufste, als das etwa Folgende. Der Sache
nach fchliefst übrigens das Evangelium mit v. 7: ,da
werdet ihr ihn fehen, wie er euch gefagt hat'. Und der
Schlufs des um eine Erfcheinungserzählung bereicherten
Evangeliums Matth.: .Siehe ich bin bei euch alle Tage
bis an der Welt Ende' ift ganz nach Analogie diefes
Schluffes feiner Vorlage gebildet. Ift es nach der Auf-
faffung der Erfcheinungen des Auferftandenen bei Paulus
nicht natürlich, dafs fie im Bewufstftin der älteften Chri- I
ftenheit jenfeits des ,Lebens Jefu' lagen? Das Aeufserfte, |
was noch hereinzuziehen war, fchien die Thatfache des
leeren Grabes. Erft als die Vorftellungen von einem
eine gewiffc Frift währenden Erdenleben des Auferftandenen
, wie fie in der Himmelfahrtsvorftellung ihren
fchlagendften Ausdruck finden, fleh einbürgerten, ergab
es fleh als Confequenz, dafs auch die Erfcheinungen
unter die Ereignifse des Erdenlebens Jefu gezählt
wurden. Da nun aber Lc. und Mt. keine Spur von
Bekanntfchaft mit einem über Mc. 16, 8 hinausreichenden
Stück ihrer Marcusvorlage verrathen, ift R. genöthigt, die
Abftofsung diefes Schluffes vor die Zeit zu verlegen,
da die Verf. von Lc. und Mt. mit Mc. bekannt wurden.
Damit aber entfehwindet für ihn jede Möglichkeit befriedigend
zu erklären, wie es fo früh zu diefer Abftofsung
kam. Diefe letztere Annahme aber ift ihrerfeits
unvereinbar mit der anderen, dafs in Joh. 21 und im Ev.
Petr., ja fogar bei Ign. ad Smyrn. 3 diefer tür Lc. und
Mt. fchon unzugängliche Schlufs verwerthet fei. Auf die
Reconftruction diefes Schluffes aus Ev. Pt. und Joh. 21
einzugehen, mufs ich mir verfagen und mich mit dem
Urtheil begnügen, dafs fie wirklich nur auf allerentfern-
tefte Möglichkeiten gebaut wird, für deren Wahrfchein-

lichkeit, gefchweige Sicherheit, kein irgend ftichhaltiger
Beweis zu erbringen ift, deren abfolute Unwahrfchein-
lichkeit fleh aber an vielen Punkten aufdrängt. Dennoch
ift auch in diefen Partien die Arbeit reich an originellen
Gedanken, die das Verftändnifs der Entftehung der ver-
fchiedenen Schichten von Erfcheinungserzählungen zu
fördern geeignet find, wenn man auch die dargebotene
Conftruction diefer Entftehung wird ablehnen müffen.

Berlin. v. Soden.

1. Bernard, Rev. J. H., D.D., On the Domnach Airgid MS.

(Transactions of the Royal Irish Academy, vol. XXX,
Dublin 1893, p. 303—312).

2. Bernard, Rev. J. H., D.D., L On the Stowe St. John;
and II. On the Citations from Scripture in the Leabhar
Breac (Ebendaf. p. 313—324).

In der erften Veröffentlichung befpricht Bernard
eine in einem koftbaren alten Schrein fleh findende arg
zerftörte Evangelienhandfchrift. Hinfichtlich des Schreines
erfcheint die Vermuthung nicht ganz unbegründet, dafs
er aus der Zeit des heiligen Patricius flamme. Für die
in ihm fleh findende Hndfchr. gilt dagegen 1) dafs der
Schrein urfprünglich gar nicht zur Aufbewahrung von
Ilndfchrn. beftimmt, fondern wahrscheinlich ein Reliquien-
fehrein war, 2) dafs die Hndfchr. in gut erhaltenem Zu-
ftande gar nicht in denfelben hineinpafste, 3) dafs die
Schrift des Codex in's achte Jahrhundert, der Text nach
feiner mühfamen Entzifferung durch Dr. Thompfon fleh
als ein von der Vulgata beeinflufster Mifchtext erweift
! (eine Probe von Varianten S. 311 f.).

Aus der alten Handfchrift, die unter dem Namen
Stowe-Missal bekannt ift, giebt B. eine Collation der
vor den liturgifchen Beftandtheilen der Hndfchr. flehenden
Fragmente aus dem Johannesevangelium, die wohl urfprünglich
gar nicht mit dem folgenden Theil zusammengehörten
. Der Text ift Vulgatatext, mit Spuren des alten
irifchen Textes vermifcht. Bemerkenswerth die beiden
Gloffen 20,16 Jiyootdc-a/iisv cuiteo&di atiov und die Interpolation
aus Luc. 5 in 21,6.

Zum Schlufs folgt eine kurze Abhandlung über die
Citate einer handfehriftlich erhaltenen Homilienfammlung.
In den neuteftamentlichen Citaten finden fich Spuren
eines vorhieronymianifchen Textes.

Göttingen. W. Bouffet.

Harris, Lecturer J. Rendel, M. A„ D. Litt., Four lectures
on the western text of the New Testament. London,
C. J. Clay & Sons, 1894. (VIII, 96 S. gr. 8.) Geb. 5 s.

Das Problem, welches die merkwürdige Gruppe von
neuteftamentlichen Hndfchrn., die von Weftcott-Hort mit
dem Namen tuestern-text bezeichnet wurde, dem Textkritiker
ftellt, ift bei einem Stadium von unerquicklicher
Natur angelangt: alle halbe Jahre eine neue Löfung, in
der jeder Forfcher feine eigenen Wege geht, und keiner
fich allgemeine Anerkennung erzwingt. Zunächft trat
Refch mit feiner die Credner'fchen Anfchauungen repri-
ftinirenden Hypothefe auf, dafs Codex D einen juden-
chriftlichen Kanon repräfentire, der Archetypus desfelben
bis zum 5. Jahrh. in judenchriftlichen Kreifen exiftirt habe,
und D's Evangelientext feine Eigenthümlichkeit durch
eine Ueberarbeitung nach dem älteften von Refch angenommenen
Urevangelium erhalten habe. Diefem folgte
Harris felbft mit der ebenfalls fchon früher aufgestellten
Behauptung, dafs D einen grofsen Theil feiner Eigentümlichkeiten
einer Beeinfluffung durch die altlateinifche
Ueberfetzung verdanke, während Chafe — für den Text
der Apoftelgefchichte — in allen erdenkbaren Fällen
Beeinfluffung durch die fyrifche Verfion nachwies. Endlich
behauptete Blafs —wieder für die Apoftelgefchichte,—