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Ausgabe:

1895 Nr. 8

Spalte:

218-220

Autor/Hrsg.:

Erichson, Alfred

Titel/Untertitel:

Das theologische Studienstift Collegium Wilhelmitanum 1544 - 1894. Zu dessen 350jähriger Gedächtnisfeier 1895

Rezensent:

Ficker, Johannes

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Theologifche Literaturzeitung. 1895. Nr. 8. 218

tismus, fondein auch ein Ehrendenkmal A. H. Francke's.
Breslau. G. Kawerau.

Jubiläumsgabe für die Univerfitätsjubelfeier des vorigen ] dankenreich macht. Der ,grofse Auffatz' ift nicht nur
Jahres, dafs der jetzige Director der Francke'fchen Stif- eins der intereffanteften Documente des Hallefchen Pie
tungen den ,grofsen Auffatz' (mit einigen genügend
motivirten Kürzungen) herausgegeben hat. Man kann
diefes Promemoria nicht ohne lebhaftes Intereffe lefen.
Es zeigt zunächft feine fehr fcharfe Beurtheilung der fitt-

licheu und religiöfen Zuftände in allen Ständen derChriften- Erichson. Alfr., Das theologische Studienstift Collegium
heit; im letzten Grunde ift ihm die Kirchenfrage eine i Wilhelmitanum 1544—1894. Zu deffen 35ojähriger
Paftorenfrage: Heranbildung eines neuen Paftorenge- Gedächtnifsfeier. Strafsburg, Heitz, 1894. (VIII, 212 S
gefchlechtes durch Schule und Univerfität ift ihm daher AhhilHan „r 81 M , en

das Allernöthigite, das geleiftet werden mufs. Es bedarf n 5 Abb.ldgn. gr. 8.) M. 3 50

eines geiftlichen Standes, der nicht V'erforgung und Strafsburg hat im vergangenen Jahre ein Doppelweltliche
Ehre fucht, fondern der Heilserfahrung hat und jubiläum gefeiert: das 350jährige des theologifchen
daher Leben wecken kann. Es bedarf aber auch eines Studienftiftes, feines Stiftes, wie der Strafsburger Bürger
ganz anderen Betriebes der akad. Studien: Schriftftudium j es nennt, deffen befondere Theilnahme ihm von Anfang
ftatt der unfruchtbaren Scholaitik, Vorbereitung aufs j an unverändert erhalten geblieben ift, und zugleich den
künftige Amt ftatt einer Gelehrfamkeit ohne Beziehung 400jährigen Geburtstag des Begründers, deffen Lebens-
zu den Aufgaben des Amtes. Die Paftorenfrage wird fo arbeit weitaus zum gröfsten Theile Strafsburg angehört,
zur Frage nach der rechten Befetzung der theolog. Pro- des zu Ettlingen in Baden geborenen Kaspar Hedio.
feffuren. Für diefe Cardinalfragen hat nun Gottes Güte Ein dauerndes Denkmal hat den Gefeierten der gegen-
fich Halle zum Ausgangspunkte einer Reform der Kirche wärtige Studiendirector des Stiftes, bekannt und ver-
erfehen, die bereits anfängt, weite Kreife zu ziehen. Mit i dient fchon durch eine Anzahl anderer forgfältiger Ver-
einer fehr verftändlichen, ftolzen Freude überfchaut er, öffentlichungen aus Strafsburgs Vergangenheit mit der
was zunächft an der Univerfität Halle für die Erneue- ; Gefchichte des Collegium Wilhelmitanum gefetzt. Es
rung der theol. Studien und für die religiöfe Erziehung ■ ift ein inhaltreicher Beitrag zur Gefchichte der Stadt,
der jungen Theologen gefchehen ift. Diefer Arbeit fecun- aber auch zur elfäflifchen und deutfchen Kirchen- und
diren die Unternehmungen feiner eigenen Anftalten. Und 1 Culturgefchichte überhaupt. Denn wie einft das refor-
nun zeichnet er die Segensftröme, die von der Univer- matorifche Strafsburg, fo hat das Wilhelmerftift zu
lität wie von feinen Anftalten bereits in die deutfchen allen Zeiten weit über die Stadtmauern hinaus feine EinLande
und bis ins Ausland fich ergoffen haben: durch Wirkung erftreckt: weitaus die meiften elfäffifchen Theo-
die lebendigen chriftl. Perfönlichkeiten, die man als Pre- logen, aber auch ehedem viele Deutfche aus anderen
diger und Lehrer hat ausfenden können, die nicht nur 1 Gegenden, einzelne Studirende im fechzehnten und
geiftliches Leben, fondern auch eine methodifche Berufs- fiebzehnten Jahrhundert aus Ungarn, Böhmen, Belgien,
Vorbildung von Halle mitgenommen haben; durch die im neunzehnten Jahrhundert Studirende auch aus Frank-
Anregungen, die von den literarifchen Erzeugnifsen ; reich — vorher ift von da nur Einer nachweisbar (1590) —
der Anftaltsbuchhandlung ausgegangen find; durch die 1 find feine Infaffen gewefen, gemäfs feiner urfprünglichen
Nachahmung, die Geift und Methode Halle's an den ver- ! Beftimmung, zu gleichen Theilen Fremden und Bürgers-
fchiedenften Orten in ähnlichen Anftalten gefunden hat ' kindern das Studiren zu erleichtern; darum bietet es
u. dgl. m. Aber freilich: wie viel bleibt noch zu wttnfchen auch heute noch ebenfo Elfäffern als anderen Deutfchen
übrig! Und nun entwirft er mit weit ausfehauendem Blick Unterkunft und Verpflegung und geiftige Anregung und
Project über Project, wie jede der bisher begonnenen Unter- Anleitung, und es darf daher noch in buchftäblicher Benehmungen
fich weiter entwickeln könne und folleund wie deutung feiner Adreffe das fchöne Wort gelten, das ihm
viel neue Veranflaltungen den bisherigen fich fegensreich | fein Stifter in der erften Hausordnung fur's Leben mit-
noch angliedern müfsten. Mit Staunen fleht der Lefer, wie | gegeben hat: Darumb denn alles, das einer faction
Francke kühnen Geiftes hier die Grundriffe einer Bibel- | und trennung urfach geben mag, foll vermitten werden,
gefellfchaft und einer Tractatgefellfchaft entwirft, wie er In Chrifto Jefu ift weder Schwab, Schweizer, Elfeffer oder
neben das Waifenhaus als nöthige Ergänzung die Ret- Bayer, fonder ein new creatur.

tungsanftalt für die verwahrlofte Jugend hinftellt und aus Strafsburgs Reformatoren haben von vorn herein

diefer fich dann chriftliche Lehrlingsanftalten in den der Jugend ihr ganz befonderes Augenmerk zugewendet.
Werkftätten eines folchen ,Arbeitshaufes' entwickeln In der erften uns erhaltenen Supplik an den Rath, in der
läfst; wie er den Gedanken evangelifcher organifirter die Prädikanten fcharfe Kritik an dem Alten üben und
weiblicher Krankenpflege, und zwar ebenfo der Privat- fehr beftimmte Forderungen zur Abfchaffung römifcher
wie der Lazarethpflege vorträgt — er denkt dabei, an- Gebräuche erheben, wird auch fogleich auf die Noth-
knüpfend an 1 Tim. 5, an Verwendung der Wittwen für j wendigkeit der Pflege des Unterrichts hingewiefen, ,dann
diefe Thätigkeit. Endlich fleht man hier, wie eindring- die hoffnung eins gemeinen nutz uff der jungheit fteet'
lieh Fr. es verfteht, um Darreichung der erforderlichen (31. Auguft 1524, Baum, Magiftrat und Reformation S. 195).
Geldmittel zu bitten. Von der Liebesarbeit an den Damit aber ging Hand in Hand die Sorge, Unbemittelten,
Waifenkindern ift er Schritt für Schritt weitergeführt vor Allen — angefichts des grofsen Predigermangels —
worden, die Nöthe der Zeit zu erkennen und immer um- ; zukünftigen Theologen die Korten der lateinifchen und
faffendere Projecte der Abhilfe und Reform zufchmieden; j der hohen Schule zu verringern, und bald wetteifert hier
mit feinem seminariutn nationum möchte er geradezu j der Rath mit den kirchlichen Organen und der Bürgerfchaft,
die ganze Welt von feinem Halle aus zum Angriffsob- i Binnen fünfzehn Jahren werden drei Stifte hierfür ge-
jecte nehmen. Wohl fchwindelt einem, wenn man fleht, ; gründet, in den Räumlichkeiten, theilweife auch mit den
wie hier Project auf Project gebaut wird, und der Ge- 1 Einkünften aufgelöfter oder der Aullöfung entgegendanke
drängt fich auf, dafs Fr. in Gefahr fleht, fein Halle gehender Klöfter, das letzte im Klofter der Wilhelmiten.
als den Centraipunkt der Welterneuerung anzufehen. Unter Marbach trat zu diefen Anftalten noch für Candi-
Gott hat dafür geforgt, dafs auch dort die Bäume nicht daten zur weiteren praktifchen Ausbildung ein Predigerin
den Himmel wuchfen, und viele kleinere Feuerherde j feminar hinzu.

waren ja wichtiger als ein Centraifeuer, das alles er- j Von diefem Vierblatt ift allein das Wilhelmerftift
leuchten und erwärmen wollte. Aber mit Bewunderung j erhalten geblieben, mit ihm zum Glücke ein reiches,
fchaut man doch zu dem Manne auf, der nach allen I theilweife lückenlos bis in die erften Anfänge zurück-
Seiten die Schäden der Zeit erkennt und fühlt und auf j reichendes Quellenmaterial, das in forgfältiger Verarbei-
einem Herzen trägt, das die Liebe erfindungs- und ge- ; tung in dem vorliegenden Werke jetzt zu uns fpricht.