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Ausgabe:

1895

Spalte:

210-213

Autor/Hrsg.:

Arnold, Carl Franklin

Titel/Untertitel:

Caesarius von Arelate und die gallische Kirche seiner Zeit 1895

Rezensent:

Loofs, Friedrich

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Theologifche Literaturzeitung. 1895. Nr. 8. 210

vor Allem aber fei aus dem über Chriftus und feine
Sendung philofophirenden Dogmatiker, aus dem Vertreter
antiker Weltanfchauung mit baldiger Parufie Chrifti, aus
dem Urheber eines Joches von Glaubensfatzungen für
die Chriftenheit ein nüchterner, rein ethifch gerichteter
Prediger des göttlichen Tugendgeiftes geworden. Lisco,
der, wo es die Einzelheiten feiner Hypothefe gilt, die
Umficht felbft ift, vergifst hier, dafs wir aufser den 4
durch ihn behandelten Capiteln von Paulus noch min-
deftens 47 oder, wenn er nach S. 72 fogar den Ephefer-
brief für ächt hält, noch weit mehr befitzen. Nicht wir
Andern haben die Verpflichtung, ihn durchaus aus dem
Zufammenhang der 4 Capitel heraus zu widerlegen, wenn
er fich mit jenen weittragenden Behauptungen überwunden
geben foll (S. 192), fondern er hätte die Verpflichtung
gehabt, folche Sätze erft auf eine gehörige
Bafis zu ftellen. Ref. kann fich der Befürchtung nicht
erwehren, dafs die oben fkizzirte Chriftologie, die als
Lisco's Chriftologie ihn fehr anmuthet, auf die Zeichnung
der Chriftologie des Paulus mehr Einflufs gehabt hat als
der Gefchichtsforfchung frommt. Vgl. z.B. auch S. 171:
Xoiaing wurde Jefus dadurch, dafs er den Kreuzestod
auf fich nahm. Von Seitenblicken auf andere Capitel
des Paulus dagegen hat er fich felbft trotz dringendfter
Veranlaffung faft ftets dispenfirt. Darf man z. B. behaupten
, önSa heifse 2, 8 Tugendfülle, oder aäo-/.ivog bzw.
ßagy.f/.ng 3, i. 3 fei ein weniger ungünftiges Prädicat als
tfwxixog 2, 14, ohne zu prüfen, wie es damit anderwärts
bei Paulus ftehe? — Doch halten wir uns von jetzt ab
an die 4 Capitel. Als das Schwächfte erfcheint uns darin
neben unleugbaren Künfteleien wie S. 47 b 111 f. 163 f.
in den meiften Fällen die Widerlegung der bisherigen
Anflehten. Nur Ein Beifpiel. ^ocpla -coc &eov 1,21 könne
defshalb nicht die Summe der weifen Heilsveranftaltungen
Gottes bedeuten (S. 51), weil aus der Natur nach Rom.

20 nicht Gottes Weisheit, fondern feine Kraft und
Gottheit erkennbar fei (als ob dies ein ausfchliefsender
Gegenfatz wäre) und weil foult Heiden und Juden gegen
Rom. 1, 21. 2, 20 die Gotteserkenntnifs abgefprochen
würde. Das den Heiden aus der Natur Erkennbare Gottes
ift doch noch lange nicht der Heilsplan, und auch aus
dem Gefetz war er erft feit der Offenbarung durch
Chriftus erflchtlich und die Rom. 2, 20 auf dasfelbe gegründete
Einficht bezieht fleh nur auf Vermeidung fltt-
licher Vergehen. Am allerfchwächften fcheinen uns Lisco's
Beweife, Paulus könne dies oder jenes defshalb nicht
gefagt oder gemeint haben, weil die Gegner es anders
aufgefafst oder ignorirt haben würden. Z. B.: da 4, 6 nur
des Paulus und des Apollos Anhänger wegen Parteiung
getadelt werden, fo konnten die Petriner und Chriftiner,
wenn fle exiftirten, die Getadelten zum Uebertritt in ihre
Reihen auffordern; folglich exiftirten fle nicht (S. 153—155)-
Wären 4, 7 die Apollosleute bekämpft (S. 141 f.; nach
dem zuletzt Citirten find lie es, wenigftens zufammen
mit den Paulinern), fo konnten fle antworten: Apollos
bevorzugt uns (eine fo ungereimte Ausrede dürfte Paulus
weder für möglich gehalten noch gefürchtet haben), von
ihm alles empfangen zu haben leugnen wir gar nicht
(wenn Paulus die Deutung feiner Worte auf Empfang
von Lehrern ftatt von Gott überhaupt für möglich gehalten
hätte, mufste er fich doch fagen, dafs die nach
Lisco durch die Frage auf's Haupt getroffenen Pauliner
in Bezug auf ihn felbft ganz die gleiche Antwort und mit
demfelben — nach Lisco günftigen — Erfolge geben
konnten). Wäre 2, 1—5, fagt Lisco S. 81, gegen die Anhänger
des Apollos gerichtet, fo würden fle neben dem
Zugeftändnifs, Paulus fei ovx sv neifrol ooeptag löycov
gekommen, für das ev anoddg'Ei nvevLiarog xot dvväfxsmg
taub geblieben fein. Aber mit Taubbleiben rechnet
Niemand, der etwas fchreibt, was er für ausfchlaggebend
hält. Dies find nun gerade einige Hauptpunkte in Lisco's
Widerlegung der bisherigen Exegefe. Anderes zu berühren
muffen wir uns des Raumes wegen leider vertagen
. Um fo nachdrücklicher möchten wir aber noch
betonen, dafs feine eignen Auslegungen, obgleich im
Ganzen uns ebenfalls unannehmbar, im Einzelnen viel
Beachtenswerthes, ja Beftechendes enthalten und von
keinem Ausleger ignorirt werden dürfen. Man kann nicht
genug ftaunen, wie er das Schiffchen feiner Exegefe, das
man jeden Augenblick bereits am nächften Felfen fchei-
tern zu fehen glaubt, mit Eleganz um denfelben herumlenkt
und dabei noch irgend einen glitzernden Fifch
fängt. Trotz aller Mifsgriffe ift Lisco ein Exeget, und
wenn er einmal eine Thefe vertreten wird, die mehr
innere Wahrheit befitzt als die jetzige, fo können wir
uns den Erfolg als einen glänzenden denken.

Zürich. Paul Wilh. Schmiedel.

Arnold, Prof. D. Dr. Carl Franklin, Caesarius von Arelate
und die gallische Kirche seiner Zeit. Leipzig, Hinrichs,
1894. (XII, 607 S. gr. 8.) M. 16. —

Eine Monographie über Caefarius v. Arles ift feit
langer Zeit ein Bedürfnifs gewefen. Die in Deutfchland
I ziemlich unbekannt gebliebene histoire de Saint Cesaire
par l'abbe U. Vülevieille (Aix en Provence 1884, 351 S.
gr. 8.) hat dies Bedürfnifs kaum vermindert: die hterar-
kritifchen Fragen find von Vülevieille gar nicht angegriffen
worden, die biographifchen z.Th. recht mangelhaft
erledigt. Die anfpruchslofen aber forgfältigen Arbeiten
des Leipziger Oberlehrers Bruno Fürchtegott Geliert
(Caefarius v. Arles, Programm Nr. 553 und 554 des
ftädtifchen Realgymnafiums in Leipzig 1892 u. 1893) haben
I die Lücke nicht ausfüllen wollen und nicht ausfüllen
j können. Mit dankbarer Freude wird daher jeder Kirchen-
hiftoriker das Buch des Breslauer Fachgenoffen begrüfsen.
Es ift, wie der Herr Verf. im Vorwort gewifs mit Recht
fagt, ,die Frucht mehrjähriger Studien', und faft jede
Seite beweift durch ihre Anmerkungen, dafs kein Fleifs
und keine Sorgfalt gefpart find, um mit dem ohne ausgedehnte
Studienreifen zugänglichen Material das Bild
| des Caefarius in feiner Zeit zu zeichnen. Das Buch zer-
[ fällt in zwei ungleich lange Theile. Der erfte derfelben
befpricht auf 432 Seiten das ,Leben und Wirken' des
Caefarius; der zweite Theil (S. 433—573) bringt kritifche
Ausführungen und Mittheilungen aus Caefarius-Hand-
fchriften. Den Schlufs macht ein ungemein reichhaltiges,
von mühfamfter, felbftlofer Arbeit zeugendes RegiTter
(S. 574—598) u"d ei" ,Verzeichnifs der Abkürzungen und
der hauptfächlich benutzten Bücher' (S. 598—607), ein
Verzeichnifs, das die Menge der vom Verf. verarbeiteten
Literatur in anfehaulicher Weife erkennen läfst und zugleich
fämmtliche Citate trotz reichlicher Anwendung
von Siglen in bequemfter Weife jedem Lefer verftänd-
lich macht.

Die Art der Stoffbehandlung im erften Theile erinnert
nicht nur durch die völlig gleiche Einrichtung des Drucks
an Hauck's Kirchengefchichte Deutfchlands: es fcheint,
als ob A. auch in feiner Darftellungsweife von Hauck
zu lernen beftrebt gewefen fei. Selbft Hauck'fche Pointen

I und weitausfehauende Apercus fehlen — zumal im Eingange
— nicht, und des Verf.'s Streben nach plaftifcher
Anfchaulichkeit der Schilderung von Perfonen, Zuftänden
und Ereignifsen kann mehrfach an Hauck erinnern. Doch
waltet eine grofse Verfchiedenheit ob. Hauck bleibt ftets,
auch wenn er einmal die Quellen gar zu fcharffinnig auspreist
, knapp im Verhältnifs zu feinem weitläufigen Stoff.
Hier ift, das darf nicht verfchwiegen werden, das Ver-

| hältnifs nur zu oft das umgekehrte. Der Herr Verfaffer
hat eine wahre Virtuofität, fich beim Erzählen in Dinge zu
verlieren, die mit feinem Stoffe nur lofe oder gar nicht
zufammenhängen (vgl. S. 54 Severinus; S. 71 Alypius;
254—57 Synefius; 269 f. Germanus und Placidia; 277 ff]
über das Pallium; 422 ff. Radegunde); er liebt es auch!
fich an Situationen oder Perfönlichkeiten anderer Zeiten

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