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Ausgabe:

1895

Spalte:

207-210

Autor/Hrsg.:

Lisco, Heinrich

Titel/Untertitel:

Paulus Antipaulinus. Ein Beitrag zur Auslegung der ersten 4 Kapitel des 1. Korintherbriefs 1895

Rezensent:

Schmiedel, Paul

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307 Theologikhe Literaturzeitung. 1895. Nr. 8. 208

göttlicher Machtvollkommenheit, fchon während feines
Erdenlebens, erfcheinen zu laffen. In dem Mafse aber,
als man fich daran gewöhnte, Chriftus als ein göttliches
Wefen anzufehen und zu verehren, wurde zugleich der
Glaube von der Erwartung, dafs Jefus als der Meffias
kommen würde, unabhängig (S. 561), fodafs nun auch das
Chriftenthum die Möglichkeit gewann, fich in der Welt
zu confolidiren.

Das Buch ift glänzend gefchrieben. Es erinnert in
vieler Beziehung an Straufs' Leben Jefu, mit dem es be-
fonders in der Methode verwandt ift. Das mag für viele
keine Empfehlung fein. Aber auch wer, wie Ref., der
evangelifchen Erzählung durchaus nicht fo fkeptifch
gegenüberfteht, wie unfer Verf., und ihm, was die Löfung
der hier behandelten Probleme anlangt, in entfcheidenden
Punkten nicht zu folgen vermag, wird doch der Klarheit
und Umficht, mit der die Unterfuchung geführt wird,
der Fruchtbarkeit fo mancher der aufgeftellten Gefichts-
punkte, vor Allem aber auch der grofsen Gelehrfamkeit
des Verfaffers feine Anerkennung nicht vertagen können.

Königsberg. Adolf Link.

Lisco, Pred. Heinr., Paulus Antipaulinus. Ein Beitrag zur
Auslegung der erften 4 Kapitel des 1. Korintherbriefs.
Berlin, G. W. F. Müller, 1894. (VIII, 192 S. gr. 8.)

M. 4. —

Nicht leicht kann ein Buch fo gründlich neue Reful-
tate in fo fcharffinniger und gefchloffener Begründung
bringen wie das vorliegende. Ref. glaubt nicht, dafs fie
dem Verfaffer in der jetzt befolgten, äufserft gefchickt
angelegten Reihenfolge entftanden find, hält fich aber
natürlich an diefe.

Die Gottesweisheit, die Paulus nach I Kor. 2,6—3,4
vor Chriften (zeleioi 2, 6) verkündet, ift kein Wiffen, fondern
Gottes ethifche Vollkommenheitsfülle, die diefer
den Menfchen geoffenbart hat, indem er feinen Geift auf
Chriftus legte (jjjiiv a7iexdXvxpsv öia zov nvtvjtazog 2, 10).
Seit der Stunde von Golgatha befitzt Chriftus fämmtliche
fittliche Vollkommenheiten Gottes, weil Gott feinen kindlichen
Herzensglauben damit befchenkt hat (S. 11); daher
ift nur er der nvevj.taTiy.6g 2, 15. Den Menfchen werden
fie nach und nach gefchenkt durch den auch ihnen er-
theilten heiligen Geift. Wenn ihr Befitz Wiffen heifst,
fo ift damit ein praktifches Erfahrenhaben gemeint.
Milch und fefte Speife 3, 2 bedeuten leichtere und
fchwerere Tugenden. Hiermit fällt ein Beweis dafür weg,
dafs Paulus in Korinth fchlicht und einfach aufgetreten
fei. Ferner gilt ihm die Weisheit der Welt, die nun
wirklich eine theoretifche ift, und ihre kunftmäfsige Be-
redtfamkeit als völlig nichtig gegenüber der ethifchen
Vollkommenheit und der durch den Geift eingegebenen
Beredtfamkeit, mit der die Chriften (rjjieig 2, 12) fie vertreten
(2, 13). Beredtfamkeit hat alfo dem Paulus bei
feinem Auftreten in Korinth gar nicht gefehlt (S. 1—40). —
Diefelbe Schätzung der Weisheit vertritt 1, 17—24. Und
nach 1, 25—31 hat Gott den in den Augen der Welt
thörichten und fchwachen Paulus und feine Anhänger
(tu jicoQÜ etc.) dazu erwählt, die weltweifen Korinther
zum Verzicht auf ihre Weisheit zu zwingen. Die Gemeinde
beftand alfo wefentlich aus urfprünglich Weifen, Mächtigen
, Geehrten, nicht aus Sklaven u. f. w. Nur weltliche
Weisheit vermied Paulus vor ihnen, war fich aber
nach 2, 1—5 feiner fieghaften Beredtfamkeit fehr wohl
bewufst und von Furcht und Zittern nicht vor ihnen,
fondern nur vor Gott wegen feiner verantwortungsvollen
Aufgabe erfüllt (S. 40—76). — Dann mufs er aber von
den Korinthern wegen feiner Weisheit belobt worden
fein. Hätten fie Weisheit bei ihm vermifst, fo wäre auch
feine Vertheidigung zweckwidrig, die dies nur beftätigt.
Somit wendet fich Paulus 1, 17—3, 4 nicht gegen die
Apollospartei, fondern gegen feine eigenen Anhänger,

was wohl der Titel des Buchs als befonders wichtig
bezeichnen will. Apollos war alfo weniger beredt als
er. Auch Act. 18, 24 h wird er als ein peinlich (dxot/Stüg)
I verfahrender Schriftgelehrter gefchildert. Das ,auch ich4
befagt 2, 1. 3, dafs er wirklich unberedt und fchwach
| auftrat, 3, 1, dafs er den Korinthern an Geiftesbefitz
nicht gewachfen war, und nur um ihn gegen Vorwürfe
I hierüber zu fchützen, nimmt Paulus fie zugleich, wenn
I auch mit Umbiegung des Sinnes, auf fich (S. 77—114). —
Ebenfo bekämpft er feine eigenen übereifrigen Anhänger
1, 13—17. 3, 5—9. Der Andere, der nach 3, 10—15 auf
dem gelegten Grunde weiterbaut, ift fchon wegen diefes
Präfens nicht Apollos, fondern es find die Pauliner; ja,
1 fie legen neben {itaga) Chriftus noch Paulus als Grund;
| das darf (dvvazai) aber Niemand. Auch 4, 3—17 wehrt
! Paulus nur Lob feiner Anhänger ab und nimmt fich der
I Apollosleute an, indem er fich 4, 9—13 mit Apollos zu-
! fammenfafst. — Stand aber Apollos hinter Paulus fo
' fehr zurück, fo konnte an ihn eine Partei fich nur defs-
! halb anfchliefsen, weil fie zugleich die judenchriftliche
war (S. 114—150). — Mehr Parteien gab es nicht, befonders
weil die Apoftelgefchichte und I. Kor. 4, 6. 3, 4—9
j fchweigen, weil fich ihr Entftehen nicht erklären liefse
und weil iycb Xgtazov von jedem Chriften galt. Vielmehr
nannten fich die Apollosleute, um fich auf einen Höheren
zu berufen, auch Petriner, und die Pauliner, um fie zu
übertrumpfen, auch Chriftiner; die Streitrede ging ganz in
der Reihenfolge von 1, 12 hin und her, nämlich chiaftifch.
Auch 3, 22 ift xnauog als Charakterifticum der Paulus-
i partei nur ftatt XqiüTog eingefetzt, das hier nicht anwendbar
war, und ebenfo chiaftifch bezeichnen auch Lcot)
I und jteD.ovTCt diefe Partei, Deutung und eveazwza die
judenchriftliche (S. 151—185).

Würde 1, 12 als wirkliche Wechfelrede erklärt, fodafs
die Pauliner fich auch Petriner, die Apollosleute fich
auch Chriftusleute nännten, fo wäre dies jedenfalls zehn
Mal plaufibler als die bekannte Deutung, wonach die
drei erften Parolen drei Parteien bedeuten und die vierte
keine oder keine neue. Allein Lisco kann es eben nicht
brauchen. Die chiaftifche Stellung aber kann man nicht
treffender verurtheilen als mit feinen Worten auf S. 174:
[ Jeder Zank ift ein Hin- und Herzanken. Dies Moment
des Hin und Her beim Zanken konnte der Apoftel nicht
fchöner zum Ausdruck bringen, als indem er die Pa-
; rolen — chiaftifch ftellte'. In diefem Urtheil kann es
uns auch nicht irre machen, wenn er weiter beweift, dafs
Paulus aus Entgegenkommen den Apollos nicht an den
Anfang, aus Elhrfurcht Chriltum nicht in die Mitte ftellen
konnte, dagegen die Schlagworte der Bekämpften an
die betonteften Stellen, den Anfang und den Schlufs
fetzen wollte, wenn er ferner über 35 Chiasmen in den
4 Capiteln aufführt, glücklicherweife mit dem Schlufs-
geftändnifs, 4, 10 fei der einzige in die Augen fallende,
und wenn er insbefondere 4 Chiasmen in 1, I2fb. 13 entdeckt
und dann angefichts feiner hiftorifchen und exege-
tifchen Ermittelungen ,keinen Grund' findet, einzig der
Aufzählung der 4 Parolen 1, I2C ,eine folch unnatürliche
! [d. h. unchiaftifche] Ausnahmeftellung im Zufammenhang
der fie umgebenden Verfe zuzufchreiben' (S. 179). —
i Nachdrücklichfte Einfprache mufs ferner erhoben werden
| gegen die weitgehenden Perfpectiven, die fich S. 185—192
eröffnen. Da Paulus fich der Apollosleute annehme und
ihr Judenchriftenthum fonach nur ein mildes gewefen fein
könne, hätten die fchroff judaiftifchen zivigQI Kor. 10,2 etc.)
nicht in der Gemeinde, fondern nur in der Synagoge
exiftirt, an welchen zonoq avtwv (I Kor. 1, 2) Paulus fogar
I ihnen feinen Grufs entbiete, und defshalb fei zu hoffen,
,dafs fich von der neu gewonnenen Einficht aus über die
i inneren Gegenfätze der erften chriftlichen Gemeinden
I beruhigtere und in ftiller Gewifsheit feftere Anflehten
verbreiten werden'. Weiter fei der Charakter des Paulus
1 von dem Vorwurf perfönlicher Bitterkeit und phari-
fäifcher (?) Reizbarkeit (gegen die Apollosleute) gereinigt,