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Ausgabe:

1895 Nr. 7

Spalte:

190

Autor/Hrsg.:

Schmid, Heinr.

Titel/Untertitel:

Die Dogmatik der evangelisch-lutherischen Kirche, dargestellt und aus den Quellen belegt 1895

Rezensent:

Kaftan, Julius

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Seite 1

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189 Theologifche Literaturzeitung. 1895. Nr. 7. 190

bleiben müfsten, den ,allerjammervollften Zuftand der
evangelifchen Kirche des nordamerikanifchen Freiftaats
in allen ihren Gemeinen, Gliedern und Geiftlichen' anführen
. Ein abfchreckendes Bild der Verarmung, Zer-
fplitterung. Verwirrung und Unwiffenheit wird entrollt.
Heutigen Tages würde nicht leicht Jemand den gleichen
Beweis für die Nothwendigkeit und den Segen des landesherrlichen
,Summepifkopats' führen wollen; mehrt fich
doch in Deutfchland die Zahl derer, die fich ihre kirchlichen
Ideale und Zukunfts-Baupläne in Amerika fuchen.
Und wer auch diefe Gedanken nicht theilt, wird doch
willig einräumen, dafs die Kirchen jenfeits des Meeres
in unterem Jahrhundert einen mächtigen Auffchwung genommen
haben. Das deutlichfte Zeichen der inneren
Confolidirung der nordamerikanifchen Kirchen ift die
erfreuliche Entwicklung ihrer theologifch wiffenfchaft-
lichen InterelTen. Auch das Studium der Kirchen-
gefchichte blüht auf. Hatte Ph. Schaff zunächft unermüdlich
deutfche kirchengefchichtliche Arbeit für ameri-
kanifche Bedürfnifse adaptirt, fo darf jetzt fchon ein
weiterer Fortfehritt conftatirt werden: man beginnt mit
eigenen kirchengefchichtlichen Forfchungen. Und zwar
geht man rüftig an ein Werk, das wegen Mangels und
Unzugänglichkeit der Quellen kaum in der alten Welt
gearbeitet werden könnte: man bearbeitet die Kirchen-
gefchichte Nordamerikas. Noch unter des inzwifchen
heimgegangenen Ph. Schaff Leitung wurde am 31. De-
cember 1890 das grofse Unternehmen der American
Church HiStory Series befchloffen; die American Society
of Church History fetzte ein Editions-Comite ein und
1893 lag der Profpect vor. In 10 Bänden foll die Ge-
fchichte der verfeniedenen amerikanifchen Kirchen und
Denominationen, und zwar jede Particulargefchichte von
einem Hiftoriker der betreffenden Partei felbft, dargeftellt
werden: in einem Einleitungsbande (I) behandelt H. K.
Carroll The Religious Forces of the United States; dann
folgen Band II die Baptiften (A. H. Newman), III. die
Congregationaliflen (W. Walker), IV. die Lutheraner
(H. E. Jacobs), V. die Methodilten (J. M. Bukley), VI. die
Presbyterianer (R. E. Thompfon), VII. die Epifkopal

heimifches landesherrliches Kirchenregiment mag wohl
nothwendig gewefen fein, but it certainly caused great
embarrassments, and often led to a practica/ denial of
Lutheran principles, and even to tlieir flagrant violation.
Ich bemerke dazu, dafs die lutherifche Reformation, eben
weil fie den Muth hat, einen rein religiöfen Kirchenbegriff
zu formuliren, aus ihrem Kirchenbegriff gar keine
pofitiven Verfaffungsprincipien herleiten kann; es giebt
daher auch keine Verfaffung, von der man fagen dürfte:
diefe, und keine andere, entfpricht den Principien der
luth. Kirche Sollten nicht alle Gebrechen, die Verf. dem
landesherrl. Kirchenregiment nachfagt, bei fynodaler Verfaffung
genau ebenfo möglich fein? — Die Gefchichte
der luth. Kirche in Nord-Amerika theilt er in 5 Perioden:
1) 1624—1742 Sources and origination, 2) 1742—1787
(Druckfehler: ,1817' p. VI) theflrst attempts of au Organization
(Muhlenbergs Wirkfamkeit); 3) 1787—1817 Dete-
rioration; 4)1817—1860 Revival and expansion; 5) Seit
1860 Reorganisation. Die ruhige und fachliche Behandlung
des Stoffes erweckt Zutrauen zu den Referaten, die
hier gegeben werden. Mit befonderem Intereffe kann
der deutfche Lefer hier die Einwirkung der heimifchen
kirchlichen und theologifchen Reftaurationsarbeit des
19. Jhrh.'s auf die Lutheraner Nord-Amerikas verfolgen,
aber man erhält auch den Eindruck einer hinter der
heimifchen Entwicklung auf theologifchem Gebiet noch
um einige Jahrzehnte zurückgebliebenen Bewegung. Man
hat die Schriften der ,Väter' wieder aufleben laffen und
fich z. Th. energifcher in ihren Geift und ihre Gedankenwelt
eingelebt, als es in Deutfchland der Confeffionalismus
fertig gebracht hat; man hat bei Tholuck und Kurtz und
befonders bei den älteren Erlanger Lutheranern fich theologifche
Belehrung geholt. Man hat über das Mafs der
Verbindlichkeit der fymbolifchen Bücher geftritten und
dogmatifche Controverfen geführt, die an die Streitigkeiten
erinnern, welche einft das Lutherthum nach Ad-
fchlufs des Concordienbuch.es geführt hat. Aber erft,
wenn ihre Theologie fo weit erftarkt fein wird, dafs fie
vom dogmatifch gebundenen zum gefchichtlichen Studium
der Hlg. Schrift wird vorfchreiten können, wird man

kirche (C. C. Tiffany), VIII. die holländifchen und deut- j drüben fpüren, dafs es mit dem blofsen Anpaffen der

fchen Reformirten ;E. T. Corwin und J. H. Dubbs) fowie ! Vätertheologie nicht gethan ift. Wir dürfen aber das

die Herrnhuter (J. T. Hamilton); der IX. Bd. behandelt [ frifche Intereffe an kirchengefchichtlicher Forfchung als

die römifch-katholifche Kirche (Prof. T. O' Gorman), der den Vorboten weiteren Fortfehreitens begrüfsen. _ Der

X. endlich Unitarier (}. H. Allen) und Univerfaliften
(R. Eddy). Der 4. Band diefes Werkes liegt uns vor,
für Deutfche von befonderem Intereffe. Der Verf. ift
nicht unbekannt: verdanken wir ihm doch die werthvolle
Schrift The Lutheran Movement in England during the
Reigns of Henry VIII and Edivnrd VI and its literary
monuments. Philad. 1891 (vgl. dazu Zöckler's Anzeige in
Theol. Litt.-Blatt 1892, 80 ff). Jacobs beginnt mit einer
Bibliographie (p. IX—XVI), die für den deutfehen Lefer
des Unbekannten viel bietet; andererfeits ift freilich auch
die Literatur über Spener, Francke, Zinzendorf, fowie
über den Pietismus, die der Verf. aufführt, nur die ältere
mit H. Schmid 1863 abfchliefsende; auch die Biographie
W. Löhe's vermiffen wir hier. Sonft fei noch Moldehnke's
Auffatz über die lutherifche Kirche in New York Evg. K.-Z.
1873, 481 ff. nachgetragen. Einleitend fucht er darauf näher
zu befchreiben, worindas Charakteriftifche des Lutherthums
beftehe, wobei er als englifcher Lutheraner jedes deutfeh-
nationale Element zu eliminiren fucht. Er ift weitfichtig
genug, das Wefen des Lutherthums nicht auf Lehrfätze,
Ritus und Verfaffung zu befchränken, fondern nach dem
geiftigen Gepräge zu fragen, das hier der chriftl. Religion
gegeben ift. The spirit of a church is akvays greater
and deeper than its expressiou; äs faith is alwaysgreater
than its confession. Mit Stolz blickt er auf die Kirchen
verfaffung, die den luth. Kirchen Nord-Amerikas eignet

deutfche Lefer würde gern die kraufe Gefchichte der
verfeniedenen fich fammelnden, fich wieder fpaltenden
oder neu gruppirenden Synoden unter den Lutheranern
Nord-Amerikas durch das Hülfsmittel von Karten und
Tabellen veranfehaulicht fehen. Es ift fehr mühfam, fich
darin zurecht zu finden. Eine leichtere Ueberficht als
Jacobs gewährt die Schrift ,die luther. Kirche in Amerika'
(Leipz. 1893), in deren 2. Theile F. Wifchan, luth. Paftor
in Philadelphia, auch eine kurze Gefchichte der luth.
Synoden darbietet. Zu S. 143 verweife ich auf Cramer,
A. H. Francke II 61 ff. S. 211 lies Feuerlin und üporin,
S. 510 Paulfen.

Breslau. G. Kawerau.

Schmid, Prof. D. Heinr, Die Dogmatik der evangelischlutherischen
Kirche, dargeftellt und aus den Quellen
belegt. 7. Aufl. Gütersloh, Bertelsmann, 1893. (XV,
488 S. gr. 8.) M. 7.— ; geb. M. 8.50.

Diefe 7. Auflage des bekannten Buches ift nach dem
Tode des Verfaffers von feinem Schwiegerfohn D. von
Frank beforgt worden, der inzwifchen auch fchon heimgegangen
ift. Sie ift ein unveränderter Abdruck der
6. Auflage, der letzten, die der Verfaffer felbft herausgegeben
. Nur einige Ungenauigkeiten formeller und fachlicher
Art find verbeffert worden. Auch in diefer neuen
er verkennt nicht, dafs fie is,"In Targe measure, derived I Auflage wird das Buch vielen ein willkommenes Hülfs-

frotn the Reformed Church; aber fie ermöglicht to shape mittel^ für das Studium der alten Dogmatiker fein.

its church polity in aecordance with its principles Unter ! Berlin. Kaftan.