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Ausgabe:

1894 Nr. 5

Spalte:

145-146

Autor/Hrsg.:

Stade, Bernhard

Titel/Untertitel:

Die Reorganisation der Theologischen Fakultät zu Giessen in den Jahren 1878 bis 1882 1894

Rezensent:

Schürer, Emil

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Seite 1

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Theologifche Literaturzeitung. 1894. Nr. 5.

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den man gewinnt auf der einen Seite in die klug und
beharrlich geübte Taktik, womit die Kirche verftand,
,fich beftehenden Verhältnifsen äufserlich zu accommo-
diren und fie dennoch im Laufe der Zeit ihrem Wefen
nach umzugeftalten', auf der andern Seite in die ftändig
zunehmende, zuletzt ganz offen und unverhüllt hervortretende
Verweltlichung der Kirche. Die Arbeit ift auf
zwei Theile berechnet, von welchen der vorliegende erde
die kirchenrechtliche Entwickelung des Patronatrechts
behandelt, der zweite die (taatsrechtliche Entwickelung
zur Darftellung bringen foll. Man kann dem Erfcheinen
des zweiten Theils mit Intereffe entgegen fehen.

üarmftadt. K. Köhler.

1. Nippold, Friedr., Die theologische Einzelschule im Ver-
hältniss zur evangelischen Kirche. Ausfchnitte aus der
Gefchichte der neueften Theologie. Mit befonderer
Rückficht auf die jungritfchl'fche Schule und dieStreitig-
keiten über das liturgifche Bekenntnifs. 3. u. 4. Abth.
Braunfchweig, Schwetfchke & Sohn, 1893. (X, 278 S.
gr. 8.) M. 3. 50.

2. Stade, Prof. D. Bemh., Die Reorganisation der Theologischen
Facultät zu Giessen in den Jahren 1878 bis 1882,
Thatfachen, nicht Legenden. Eine Streitfchrift wider
Nippold und Genoffen. Giefsen, Ricker, 1894. (IV,
IOO S. gr. 8.) M. 1. 60.

Die umfangreiche Schrift von Nippold erhebt den
Anfpruch. eine objective Würdigung der Ritfchl'fchen
Schule, ihrer Leiftungen in Wiffenfchaft und Kirche, zu
bieten. Diefe objective Würdigung glaubt Nippold dadurch
zu Stande zu bringen, dafs er, einer heutigen Mode
folgend, alles Schlechte, was feit zwei Decennien in
Wiffenfchaft und Kirche paffirt ift, diefer böfen Clique
in die Schuhe fchiebt. Ihren Machinationen ift es namentlich
auch zuzufchreiben, dafs viele treffliche Gelehrte an
die Wand gedrückt und die theologifchen Lehrftühle von
den Anhängern der Schule erobert worden find. Zur
Zeichnung diefes farbenreichen und wirkungsvollen Bildes
verwendet Nippold verfchiedene Mittel: wirkliche Thatfachen
, eigene Combinationen und den lieben Klatfch,
der dadurch erzeugt wird, dafs Frau A. eine Vermuthung
aufftellt, die dann Frau B. alsThatfache weiter erzählt u.f.w.
Hiftorifchen Werth hat die Schrift alfo nur infofern als
fie den Verfaffer felbft charakterifirt: fie liefert den Beweis
, dafs Nippold fich in eine leidenfchaftliche Stimmung
hineingeredet und hineingelebt hat, die ihn der
Fähigkeit objectiver Auffaffung und Beurtheilung der
Dinge beraubt hat. Die Schlechtigkeit der Ritfchl'fchen
Schule ift für ihn zum Axiom geworden, das ihn bei
Beurtheilung aller Einzelerfcheinungen leitet.

Ref. hatte bei diefem Stand der Dinge die Abficht,
die Schrift in der Theolog. Literaturzeitung mit Still-
fchweigen zu übergehen. Mehrfacher Beifall, welchen
fie rechts und links bereits gefunden hat, würde ihn in
diefer Abficht auch kaum wankend gemacht haben.
Dagegen hält er es doch für feine Pflicht, die Lefer der
Literaturzeitung nunmehr darauf hinzu weifen, dafs der
,objective' Charakter von Nippold's Darftellung an einem
Punkte durch die obige Gegenfchrift von Stade einer
vernichtenden Kritik unterzogen worden ift. Nippold hat
als ein befonders lehrreiches Beifpiel, wie die Ritfchl'fche
Schule durch ihre Umtriebe die Facultäten erobert, die
Gefchichte der Giefsener Facultät in den Jahren 1878—1882
behandelt. Das Unternehmen foll von Ritfehl felbft eingeleitet
worden fein durch eine Recenfion über Heffes
Buch ,Der terminiftifche Streit' (Theol. Litztg. 1877, 365)-
,Erfichtlich hat man in Göttingen nicht fo lange warten
können, bis in ordnungsmäfsiger Weife einige Katheder
vacant wurden. So wurden denn mit jener Recenfion
, welcher nachmals eine Reihe ähnlicher für ähnliche j

Zwecke gefolgt find, die Laufgräben gegen die zu-
erft in Ausficht genommene Feftung eröffnet'
(Nippold S. 97). Wer Ritfchl's Recenfion lieft, wird finden,
dafs er nur die Wahl des Gegenftandes tadelt, weil er
unfruchtbar ift und eine fo eingehende Darfteilung nicht
verdient. Sonft ift über das Buch nichts ungünftiges
gefagt. Und diefe harmlofe Anzeige foll die Abficht
gehabt haben, Heffe von feinem Lehrftuhl zu verdrängen,
um ihn für einen Schüler Ritfchl's frei zu machen!! Auf
derfelben Höhe flehen die Ausführungen über die Pen-
fionirung Keim's. Auch er ift von den Ritfchlianern ,ab-
gefchlachtet' worden (S. 99, der Ausdruck flammt von
Keim felbft aus der letzten Zeit feiner Krankheit). Dafs
Keim einem fchweren Gehirnleiden erlegen ift, wird
Nippold nicht unbekannt fein. Was hat es alfo für einen
Sinn, für fein tragifches Gefchick die Ritfchl'fche Schule
verantwortlich zu machen? Die unvermeidliche und von
ihm felbft erbetene Penfionirung ift fchliefslich allerdings
durch das Minifterium in wenig rückfichtsvoller Weife
erfolgt. Das haben aber feine theologifchen Collegen
ebenfo bedauert wie alle anderen. Nippold's ,objective'
Darftellung ift alfo an den genannten Punkten nur die
Ausgeburt einer erhitzten Phantafie. Wie verfehlt und
den Thatfachen widerftreitend fie auch noch an vielen
anderen Punkten ift, wird durch Stade's urkundliche
Darftellung in draftifcher Weife gezeigt. Man kann eben
keine Gefchichte fchreiben, wenn man die Lücken feiner
Kenntnifse durch eigene und fremde Phantafien ausfüllt,
die von der Parteileidenfchaft dictirt find.

Das ganze Verbrechen der Freunde und Schüler
Ritfchl's, das übrig bleibt wenn man diefe Zuthaten abzieht
, ift dies, dafs fie da, wo fie amtlich berufen
waren, Perfonalvorfchläge zu machen, pflichtmäfsig nach
ihrer Ueberzeugung gehandelt haben. Seit wann ift dies
unerlaubt? Hält es nicht auch Nippold für feine Pflicht,
■ da wo er kann, für feine Jenenfer' Theologie einzutreten?
Ref. kennt aus den letzten Jahren eine Reihe von Fällen,
in welchen Theologen verfchiedener Richtung unberufener
Weife ihre Schüler dem preufsifchen Cultusminifter empfohlen
haben, um fie anderen Facultäten zu octroyiren.
Aus dem Kreife der Freunde Ritfchl's ift aber Derartiges
nicht bekannt. Es kommt auch vor, dafs junge Theologen
bei eintretenden Vakanzen durch Vermittelung
guter Freunde fich felbft in empfehlende Erinnerung
bringen, wofür ebenfalls aus neuefter Zeit Beifpiele zu
Gebote flehen. Aus dem Kreife der Freunde Ritfchl's
ift ebenfalls Derartiges nicht bekannt. Sie haben alfo
das objective Gericht der Gefchichte nicht zu fcheuen.
Zu diefem objectiven Gericht ift aber Niemand fo wenig
befähigt wie Nippold.

Kiel. E. Schürer.

Bibliotheca Döllingeriana. Katalog der Bibliothek des ver-
ftorb enen Kgl. Univerfitäts-Profeffors J. J. J. von Döl-
linger, Stiftspropft.es bei St. Cajetan, Reichsrathes der
Krone Bayern, Vorftandes der Kgl. Akademie der
Wiffenfchaften. München, J. Lindauer in Comm., 1893.
(VI, 67i S. gr. 8.) M. 10. —

Döllinger hat feine reichhaltige Bibliothek der Münchener
Univerfität vermacht mit der Beftimmung, fie
katalogifiren zu laffen und zu verkaufen und den Erlös
für Stipendien zu verwenden. Der Katalog umfafst
18495 Nummern, wobei freilich bändereiche Werke, wie
die 42 Bände der Werke A. Arnauld's und die 103 Bände
des Disionario von Moroni, ebenfo wie die kleinften Bro-
fchüren als je eine Nummer gezählt find. In dem Vorwort
wird bemerkt: ,Auffällige Lücken erklären fich
daraus, dafs die beiden grofsen Bibliotheken Münchens
Döllinger zur Verfügung ftanden'. Die Bibliothek war aber
trotz diefer Lücken eine der reichhaltigften Privatbibliotheken
. Sie war namentlich reich an feltenen Schriften.