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Ausgabe:

1894

Spalte:

144

Autor/Hrsg.:

Holst, J. E. v.

Titel/Untertitel:

Der Prophet Elias 1894

Rezensent:

Hartung, Bruno

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143

144

Heine, Sem.-Dir. Gerh., Briefe über Fragen der christlichen

Religion für Suchende und Zweifelnde. Cöthen, Schrif-
tenniederlage des Evangel. Vereinshaufes, 1893. (VIT,
206 S. 8.) M. 2. 40; geb. M. 3. —

,Lieber Andres1, fo ift die Vorrede überfchrieben,
während es fpäter heifst ,lieber Karl'. Damit ift ange- !
deutet, dafs Verfaffer fich Matthias Claudius zum Mufter !
nimmt. In deffen Weife find die einzelnen Briefe, aus j
denen die Schrift zufammengefetzt ift, gehalten, befon-
ders zu Anfang, während fpäter die Schreibweife allmählich
anders wird, und zwar nicht zum Schaden des
Ganzen. Denn die Art des Wandsbecker Boten, fo
fchlicht und doch fo tief, ift fchwer nachzuahmen, und
die erften Briefe find gegenüber dem, an den fie gerichtet
find, und von dem angenommen wird, dafs er
bis zur Unterfecunda des Gymnafiums gekommen ift, zu
kindlich gehalten. Aber je weiter, um fo beffer lieft }
fich das Buch.

Schon der Titel zeigt, dafs wir es mit keinen fyfte-
matifch zufammenhängenden Auffätzen zu thun haben,
obfchon fie innerlich miteinander verbunden find. Aber
es kommen doch die wichtigften Fragen zur Sprache,
die einleitenden zuerft; dann wird zu den fpecififch
chriftlichen fortgegangen und zuletzt ift vom Bekenntnifs
und von der Kirche die Rede. Der Verf. fleht feft auf
dem kirchlichen Bekenntnifs, aber er fucht fich alles
einzelne zu vermitteln. ,Am wenigftens verftändig fcheint
es mir zu fein, von zwei Sätzen, die beide für unfer
geiftiges Leben nothwendig zu denken find, einen zu
verwerfen, weil man fie beide noch nicht recht zufammen-
reimen kann' (S. 146). Diefer Satz, der gelegentlich in
dem Abfchnitt ,von dem heiligen Geift' vorkommt, i(t
charakteriftifch für die Methode des Verfaffers. Die [
Schwierigkeiten werden dabei nicht verdeckt, aber die j
Wahrheit des Gedankens von ihrer völligen Löfung nicht j
abhängig gemacht. Der Abfchnitt über ,den heil. Geift' I
felbft gehört übrigens m. E. zu den am wenigften gelungenen
. Das Recht der ,biblifchen Kritik' wird princi-
piell zugegeben; wenn freilich aufser der johanneifchen
Frage als vermeintliches Ergebnifs der negativen Kritik
nur die Unechtheit der prophetifchen Bücher Daniel und
Jona erwähnt und mit Berufung auf die Citate in den
Evangelien beftritten wird, fo ift von dem Princip kaum
Anwendung gemacht. Hier mufste, wenn überhaupt davon
die Rede fein follte, ganz anderes angeführt werden, und
die Gefchichte der neuteftamentlichen Kritik beweift, dafs
wir uns vor ihr wahrlich nicht zu fürchten haben. Man
bedenke doch, wie bei dem gefchichtlichen Sinn der
Zeit diefe Fragen fuchende Gemüther befchäftigen, und
hüte fich, indem man an irgend ein folches Problem das
Chriftenthum feftnagelt, diefes felbft als gefährdet er-
fcheinen zu laffen.

Auch über das fittliche Gebiet ,Sünde und Gewiffen',
Glaube, Liebe, Hoffnung, die Seligpreifungen wird geredet
, und trefflich wird auch das Dogma nach feiner
ethifchen Seite behandelt. Hier ift der Weg eingefchla-
gen, der in das Herz der Ringenden und Suchenden
hineinführt. Wie er im vorletzten Brief zu zwei Jünglingen
redet, einem, der fich fcheut, im Apoftolicum fein
Confirmationsbekenntnifs abzulegen, einem anderen, der
bei dem Abiturientenexamen feinen Entfchlufs, Theologie
zu ftudiren, aufgeben will, ift ein Mufterftück feelforger-
licher Pädagogik. Wohl der Anftalt, deren Zöglinge in
diefem Sinne geleitet und berathen werden. Nach folchem
Vorgang wird man auch nicht mifsverftehen, wenn im
letzten Abfchnitt gefagt wird, es erfcheine unwahrfchein-
lich, dafs die alte lutherifche oder reformirte Kirche aus
den Bewegungen der Gegenwart hervorgehen werde, oder
wenn Verf. von fich felber fagt (S. 198): fich komme mir
manchmal wie ein Menfch vor, der auf einem Wage- {
balken fleht und bald rechts, bald links tritt, wo er
glaubt, die eine oder die andere Richtung bekomme ein I

unberechtigtes Uebergewicht'. denn im Grund weifs er
wohl, wo er fleht, und ift bemüht, von rechts und links
die zu fich herüberzuziehen, von denen er fürchtet, dafs
fie das Gleichgewicht verloren haben.

Leipzig. Härtung.

Holst, Oberpafl. em. J. E. v., Der Prophet Elias. Ein alt-
teftamentlich.es Gefchichts- und Charakterbild. Riga,
Hoerfchelmann, 1893. (XIII, 202 S. 8.) M. 1. —

Ein Andenken an ihren fcheidenden Paflor foll diefes
Büchlein für feine vormalige Gemeinde werden. Gewifs
konnte er kaum eine geeignetere Perfönlichkeit fleh auswählen
, deren Bild er ihr vorhalten möchte, als den
grofsen Prediger des alten Bundes. Während die meiften
Schriften über diefen mehr predigtähnlichen Charakter
hätten, will er ,ein fcharf markirtes Totalbild' des Mannes
und feiner Zeit geben. Das ift zumal in dem erften Theil
des Büchleins wohlgelungen, während gegen Ende der
erbauliche Charakter mehr vorherrfcht. Wenn es gegen
Ende heifst: ,Will nun das Gefchlecht der Gegenwart
aus der Gefchichte des Propheten Elias etwas lernen, fo
hat es zunächft von feiner Perfon abzufehen und die
Augen zu dem Herrn aufzuheben, dem er diente und
der ihn leitete', fo meine ich, ift wohl der umgekehrte
Weg der richtige: erft das Bild des Mannes in feinem
gefchichtlichen Auftreten und feinen gefchichtlichen
Vorausfetzungen und Umgebungen klar ins Auge faffen.
Dann ergiebt fich von felbft, dafs hier göttliches Walten
ift. Gewifs ift der Weg, den der Verf. einfehlägt, fehr
geeignet, das alte Teftament verftändlich und nutzbar zu
machen, auch begreift man bei dem Anlafs der Schrift
wohl, wie es ihn drängte, zu zeugen und zu mahnen.
An fich aber wird ein Charakterbild, das ,predigtähnlichen
Charakter' nicht haben foll, wirkfamer, wenn es diefen
Charakter überhaupt ganz abftreift.

Leipzig. Härtung.

Wahrmund, Prof. Dr. Ludw., Das Kirchenpatronatrecht und
seine Entwicklung in Oesterreich. In 2 Abthlgn. 1. Abth.-.
Die kirchliche Rechtsentwicklung. Wien, Holder, 1894.
(XVI, 184 S. gr. 8.) M. 4. —

,Wer heute vom dogmatifch-doctrinären Standpunkte
über das jus patronatus handeln wollte, der dürfte wohl,
die ältere kirchenrechtliche Literatur überblickend, fchwer-
lich noch ein Plätzchen ungepflügt finden', fagt der
Verfaffer in der Einleitung mit Recht. Auch dafs das
von ihm ausgewählte befondere Forfchungsgebiet im
Vergleich mit anderen Gebieten unterfcheidende Er-
fcheinungen aufweife, läfst fich nicht fagen. Er will mit
feinem Buche nicht einen Ausfchnitt aus der Gefchichte
der Rechtstheorie liefern, fondern Rechtsleben fchildern.
Seine Darfteilung hält fich in unmittelbarer Fühlung mit
dem Leben, ,um alle charakteriftifchen Einzelheiten der
Ffintwickelung (des Patronatsinftitutes) fowohl in ihrem
Zufammenhang unter einander, als auch mit verwandten
Rechtsverhältnifsen innerhalb eines beftimmten Forfch-
ungsgebietes quellenmäfsig aufzuklären und hierdurch
nicht blofs ein greifbares Bild der Vergangenheit zu
entwerfen, fondern auch den Blick auf die Bedürfnifse
der Gegenwart zu lenken'. Man mufs anerkennen, dafs
die Arbeit des Verf.'s in der bezeichneten Richtung eine
werthvolle Bereicherung unferer Gefchichtskenntnifs dar-
ftellt. Mit forgfältiger und eingehender Benutzung der
erft neuerdings reichlich erfchloffenen Quellen giebt er
ein lebendiges Bild der Verhältnifse und Vorgänge; es
tritt anfehaulich hervor, wie die Entwickelung der Doctrin
das Ergebnifs nicht fowohl theoretifcher Abftraction,
als vielmehr von lebendigen, auf und gegen einander
wirkenden Kräften gewefen ift. Lehrreich ift der Einblick,