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Ausgabe:

1894 Nr. 4

Spalte:

111-113

Autor/Hrsg.:

Jahr, Richard

Titel/Untertitel:

Die Wahl Urbans VI. 1378 1894

Rezensent:

Rodenberg, ...

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III

Theologifche Literaturzeitung. 1894. Nr. 4.

112

und dies hat den Grafen Behr Negendank veranlafst,
das vergriffene Werkchen neu auflegen zu laffen, um
zunächft feine Gefchlechtsgenoffen, dann aber auch weitere
Kreife von Freunden deutfcher Gefchichte darauf
aufmerkfam zu machen.

Die zweite Auflage ift ein unveränderter Abdruck
der erften, ohne dafs die inzwifchen erfchienene Literatur
berückfichtigt worden wäre. Der Verfaffer hat
forgfam zufammengeftellt und kritifch gefichtet, was er
an Nachrichten über feinen Helden finden konnte; aber
mehr hat er auch nicht gethan. In chronologifcher Folge
find Urkundenauszüge und andere Quellenangaben an
einander gereiht und nur lofe durch einen verbindenden
Text verknüpft; reichliche Noten geben Belegftellen und
kritifche Bemerkungen. Freilich dürfte es bei der Be-
fchaffenheit unferer Ueberlieferung kaum möglich fein,
ein abgerundetes Bild von der Perfönlichkeit Hermann's
zu zeichnen. Immerhin hätte fich aber manches dafür
gewinnen laffen, wenn wenigflens feine Stellung zu den
die Zeit bewegenden Fragen eingehender unterfucht
worden wäre. Die weit überwiegende Mehrheit der deut-
fchen Bifchöfe ftand in dem Kampfe Friedrich's I mit
Alexander III auf der kaiferlichen Seite, und fo auch
Hermann; allein unter ihnen gab es verfchiedene Richtungen
, ein entfchiedenere und eine verföhnliche. Welcher
folgte Hermann? anfcheinend der entfchiedeneren, welche
ohne Sinn für eine excentrifche Frömmigkeit war, für
Kaifer und Reich ein lebendiges Intereffe hatte und
von einer Herrfchaft des Papftthums über die deutfche
Kirche nichts wiffen wollte. Und weiter. Wie es fcheint,
hat Hermann nicht allein beim Kaifer, fondern auch bei
Heinrich dem Löwen in Anfehen gefianden, was fich
leicht erklären würde, wenn er aus dem welfifchen
Minifterialen-Gefchlechte der Behr flammte. Nun hielt
allerdings Friedrich, fo lange Hermann lebte, ftets auf
gute Beziehungen zu dem fächfifchen Herzoge, aber der
innere Gegenfatz zwifchcn ihnen wurde doch bereits
flark empfunden. Hermann fand fich in einer exponirten
Stellung. Noch hatte das Kaiferthum eine ftarke Gewalt
über die deutfchen Bifchöfe, und im allgemeinen haben
diefe Heinrich gehafst; indeffen Hermann war fchon durch
die Lage feiner Diöcefe auf ein gutes Verhältnifs zu
ihm angewiefen. Wie dasfelbe aber eigentlich gewefen
ifl, das erfährt keine genügende Erörterung. Ob man
in diefen Fragen überall zu ganz zweifellofen Ergebnifsen
gelangen kann, mufs einftweilen dahingeftellt bleiben;
jedenfalls kann man weiter kommen als der Verfaffer.
Der Werth von Tourtual's Buch liegt darin, dafs es eine
gute Materialfammlung ift, und als folche ift es heute
noch brauchbar.

Kiel. Rodenberg.

Jahr, Dr. Rieh., Die Wahl Urbans VI. 1378. [Hallifche Beiträge
zur Gefchichtsforfchg., hrsg. v. Th. Lindner,
II. Hft] Halle a/S., Kaemmerer & Co., 1892. (94 S.
gr. 8.) M. 1. 50.

Im Jahre 1376 kehrte die römifche Curie von Avignon
nach Rom zurück. Als Gregor XI., welcher fie zurückgeführt
hatte, am 27. März 1378 ftarb, verlangte die
römifche Bevölkerung laut, dafs er als Nachfolger einen
Römer oder wenigflens einen Italiener erhielte, und am
8. April wählten die 16 anwefenden Cardinäle in einem
von den Römern mehrfach geftörten und fchliefslich ge-
fprengten Conclave den Bartholomäus Prignani, Erzbifchof
von Bari, zum Papfte, welcher am folgenden Tage als
Urban VI. inthronifirt und am 18. April gekrönt wurde.
Im Laufe des Sommers trat eine immer ftärker fichtbar
werdende Entfremdung zwifchen dem Papfte und feinen
Wählern hervor. Am 2. Auguft Tagten fich die ultramontanen
, d. h. die nicht italienifchen Cardinäle, welche
die ftarke Mehrheit im Collegium bildeten, von Urban

förmlich los, indem fie feine Wahl als durch den Druck
der römifchen Bevölkerung erzwungen und deshalb als
ungültig erklärten, und erhoben am 20. September zu
Fondi einen aus ihrer Mitte, Robert von Genf, zum
Papfte, welcher fich Clemens VII. nannte. Damit begann
das grofse Schisma, welches bis zum conftanzer Concil
die Kirche und die Chriftenheit gefpalten hat.

Wie man fleht, ift für die Beurtheilung des ganzen
Schisma's die Frage entfeheidend, ob Urban's Wahl als
canonifche anzuflehen ift. Die officielle römifche Kirche
hat die Frage bejaht, indem fie die ultramontanen Päpfte
in ihrer Lifte nicht zählt; und im Allgemeinen hat fie
darin bei den Hiftorikern Zuftimmung gefunden. Neuerdings
hat fich jedoch Souchon, ,Die Papftwahlen von
Bonifaz VIII. bis Urban VI.' 1888, lebhaft gegen die
Rechtmäfsigkeit der Wahl Urban's ausgefprochen. Ein
Jahr darauf erfchien ein umfangreiches Werk von L.
Gayet, Le grand schisme, 2 Bde., welcher auf Grund
eines reichen, bisher unbekannten Materials zu ähnlichen
Endergebnifsen gelangt ift. Nun hat R. Jahr die Frage
von Neuem unterfucht, und er kommt mit demfelben
Material zu dem entgegengefetzten Refultat, indem er
unbedingt für die Gültigkeit der Wahl eintritt. Die
Schwierigkeit liegt in der Befchaffenheit der Quellen.
Die erften ausführlichen Aufzeichnungen über die Wahl
find erft längere Zeit nach derfelben gemacht, als das
Schisma bereits drohte, ein Umftand, der ftark für Urban
ins Gewicht fällt. Die grofse Maffe der Nachrichten
flammt aus einer viel fpäteren Zeit, und es find Zeugen-
ausfagen von Perfonen, die bereits Partei ergriffen hatten
(S. 1—18).

Dafs die Cardinäle Urban einftimmig gewählt haben,
fleht feft; ftreitig ift, ob fie in ihren Entfchlüffen frei
gewefen find. Jahr führt nun zunächft überzeugend aus,
dafs vor Beginn des Conclaves die Haltung der römifchen
Bevölkerung keineswegs eine geradezu bedrohliche
gewefen und als folche auch von den Cardinälen offenbar
nicht empfunden ift. Wenn fich diefelben im Voraus
über eine zu wählende Perfönlichkeit nicht verftändigten,
fo begründet er das mit ihrer Uneinigkeit. Vier Italiener
ftanden der ultramontanen Majorität gegenüber; diefe
war aber wieder in eine limoufinifche und in eine gallifche
Faction gefpalten. Auf diefe Spaltung war fchon früher
hingewiefen, Souchon hatte fie beftritten, von Jahr ift
indeffen ihr Vorhandenfein wieder mit guten Gründen
verfochten, fo dafs fie als Thatfache hinzunehmen ift.
Wenn nun aber Jahr weiter behauptet, dafs die Limou-
finer felbft, bei der Ausfichtslofigkeit, die Stimmen auf
einen der Ihrigen zu lenken, fchon vor dem Conclave
den Erzbifchof von Bari zu ihrem Candidaten erkoren
hätten, fo ift hier feine Beweisführung nicht zwingend.
Er kann nichts als einige unbeftimmt gehaltene Auslagen
dafür beibringen.

Am Abend des 7. April gingen die Cardinäle ins
Conclave. Der Petersplatz war mit einer aufgeregten
Menge bedeckt, unter der auch Bewaffnete waren. Am
andern Morgen vergröfserte fich der Tumult. Die Mafien
drangen in den Vatican ein bis vor die Thür, welche
die Räume des Conclaves abfperrte, und fchrieen fortwährend
: Wir wollen einen Römer, mindeftens einen
Italiener. Zweimal haben die Cardinäle den Römern
durch das Fenfter in der Conclavethür die Erfüllung
ihres Wunfehes zugefagt. Doch immer nur vorübergehend
trat Ruhe ein. Währenddem wurde drinnen der
Erzbifchof von Bari gewählt. Inzwifchen hatte fich aber
draufsen das Toben wieder verftärkt, und man verlangte
jetzt nur noch einen Römer. Da der Gewählte wohl
i Italiener aber nicht Römer war, wagten die Cardinäle
J feinen Namen nicht fofort dem Volke zu verkünden.
I Allein während man noch über die Publication verhan-
j delte, brach die aufgeregte Menge durch die eingefchla-
j gene Thür ins Conclave ein. Mehrere Cardinäle wurden
I mifshandelt. Zum Glück erhob jemand den Ruf: DerCar-,