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Ausgabe:

1894

Spalte:

110-111

Autor/Hrsg.:

Tourtual, Florenz

Titel/Untertitel:

Bischof Hermann von Verden 1149-1167. 2. Aufl 1894

Rezensent:

Rodenberg, ...

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iog Theologifchc Literaturzeitung. 1894. Nr. 4. 110

Schn.'s letzter Satz lautet (195): Die Vorftellung vom
Reiche Gottes . . . flammt aus einer Zeit, in welcher
der Monotheismus in der Form der Nationalität erfchien,
und flammt eben deshalb von dem damals mit dem
Monotheismus betrauten Volk Ifrael. In der Zeit nach
Chriflo . . . ift fie ein Fremdling unter den Völkern'. Hier
wird die Abficht Schn.'s deutlich: es gilt die Befeitigung
der böfen Theologie Ritfchl's, und zu diefem Zweck ift
Sehn, kein Mittel gefährlich genug. Nun ift ja Sehn, in
diefem Refultat, wenn man einmal von Beweisführung
und Methode abfieht, theilweife Recht zu geben. Auch
ich habe in meiner Arbeit zur Genüge betont, dafs Jefus
in feiner Reichgottesidee durchaus zeitgefchichtlich bedingt
ift, und dafs feine darüber hinausliegenden Aeufser-
ungen als Paradoxien zu verftehen feien, nicht als neue
Weltanfchauung; und dafs mir dies Zugefländnifs peinlich
war, dafs ich es wider Wiffen und Willen abgegeben,
ift eine mir unbegreifliche Behauptung Schn.'s (143).
Aber dann erhebt fich denn doch die Frage: was nun?
Und da habe ich die Antwort zu geben verfucht, dafs
eben der Kern des Evangelium Jefu nicht in der Gottes-
reichidee zu fuchen fei, fondern anderswo. Was Sehn,
hiergegen einwendet, find nur unverftändliche Phrafen
(140 f.).

Schn.'s eigene Antwort läfst fich bis jetzt nur ver-
muthen. Aber ich glaube nicht fehl zu gehen, wenn ich
fie in den Andeutungen Schn.'s 175 f. finde. Dort wird
das ganze Leben Jefu als ein Kampf mit der Reichgottesidee
aufgefafst und zum Schlufs heifst es: ,in Jefu
Tod am Kreuz wurde die Idee vom Königreich Gottes
felbft, in welche Jefus handelnd und leidend eingetreten
war, als national ifraelitifche in den Tod gegeben; Jefus
felbft gab fie in den Tod in feines Volkes Namen und
unter der Vertreter feines Volkes Leitung und Ausführung
'. Alfo das ift die Antwort: Von dem Leben
Jefu bleibt uns nichts übrig, denn es war hingegeben
an eine mit feinem Tode aufhörende vergängliche Idee,
als wefentliche ,Thatfachen' für uns bleiben Kreuzestod
und Auferftehung. Die paulinifch-apoftolifche Predigt ift
im Recht, wenn fie fich ausfchliefslich auf diefe That-
fachen gründet. Es ift das alte Lied in neuer Melodie:
die Entgegenfetzung des hiftorifchen Jefus und des ge-
fchichtlichen Chriftus. Es foll hier einmal mit aller
Energie vor der Gefährlichkeit diefes Weges gewarnt
werden. Er ift ja ungeheuer bequem: wenn man den
Glauben allein auf den fog. gefchichtlichenChriftus gründet,
macht einem der hiftorifche Jefus gar keine Schwierigkeit
mehr. Man kann hier fogar ungemein ,wiffenfchaftlich',
vorurtheilsfrei und radical auftreten. Im Grunde aber
ift die Methode eine gefährliche. Denn es droht die
Gefahr, wie dies in Schn.'s Darftellung fehr deutlich wird,
dafs uns das Bild Jefu Chrifti auseinandergeriffen wird,
in einen Jefus, der in allem, was er lebte, der ifraelitifchen
Vergangenheit angehörte, und eine Phantafie des Paulus
über Tod und Auferftehung des Chriftus, der die ge-
fchichtliche Wirklichkeit fehlt.

Schn.'s Arbeit hat an keinem Punkt die Löfung der
ernften Probleme hinfichtlich des hiftorifchen Jefus, die
uns drücken, in irgend etwas gefördert; er wird fie nicht
fördern können, wenn er fich nicht mit gröfserem Ernft
und Verftändnifs in die vorliegenden Probleme und
Frageftellungen hineinlebt.

Göttingen. W. Bouffet.

Koelling, D. Wilh., Die Echtheit von 1. Joh. 5, 7. Vortrag,
gehalten am 12. Oktober 1892 zu Liegnitz auf der
General-Konferenz des SchlefiTchen lutherifchen Vereins
. Breslau, Dülfer, 1893. (48 S. 8.) M. —. 80.
Um von dem eigenthümlichen Genufs, welchen die
Leetüre diefes Vortrages gewährt, eine Vorftellung zu
geben, mögen folgende Sätze herausgehoben fein:

S. 3: ,Wenn fchon der Verlud eines Kleinodes der Theologie
(nämlich der Feftbriefe des Athanafius) .... den grofsen Benedictiner
(Montfaucon) fo tief verwundete, wie viel mehr mufs es für die, welche
in 1. Joh. 5, 7 eine edle und echte Perle des Kanons fehen, ein brennender
Schmerz fein, dafs diefem Meifterftück des himmlifchen Infpira-
tors in neueren Bibelwerken und für die Theologie das Bürgerrecht geweigert
wird. . . . Die nachfolgenden Blätter aber wollen nicht blos
ein Zeugnis unferes Schmerzes über den Verluft fein, fondern fie wollen
auch unfere freudige Hoffnung bezeugen, dafs auch für i. Joh. 5, 7 noch
einmal eine Stunde fröhlicher Auferftehung fchlagen wird. Jetzt zwar
gilt von diefem Märtyrer des Kanon Joh. 11, 11: Aat,aQoq b (plbog
Ufi&v xexoi/jttjtai, es wird aber der König des Lebens zu ihm noch
fein grofses Wort Joh. Ii, 44 fprechen: Aät,aQ£ öevqo £§«>'.

S. 17: ,Zwei Wege zur Löfung fchienen möglich: 1) Entweder man
nahm an, das Auftauchen von I. Joh. 5, 7 flamme aus der Gloffe eines
Interpolators, und diefe Worte feien ein fremder, dem Kanon erft fpäter
beigefügter Körper. 2) Oder man nahm an, das zeitweife Verfchwinden
von 1. joh. 5, 7 erkläre fich aus einem an dem Kanon verübten Attentat,
aus einem an ihm begangenen Verbrechen. I. Joh. 5, 7 fei ein echter
und urfprünglicher Beftandtheil des 1. Johannesbriefes. Diefer Vers aber
fei in böswilliger Abficht und im Interelfe der Härefie aus dem Kanon
eradirt worden. . . . Der erftere Standpunkt wird in unferen Tagen von
der gefammten modernen Theologie vertreten. Der richtige moderne
Theologe erfchrickt und die Zornesader fchwillt ihm an, wenn in unfern
Tagen ein Theologe es wagt, fich zur Echtheit von 1. Joh. 5, 7 frei-
müthig zu bekennen. Er ift auch in grofser Verfuchung, einen Vertreter
der Echtheit unbefehen in die Rubrik der zurückgebliebenen Leute ein-
zukataftriren. Den zweiten Standpunkt vertreten wir als unfere
ehrliche theologifch-wiffenfchaftliche Üeberzeugung und als ein integrierendes
Stück unferes freudigen Glaubens' (II).

S. 22: ,Wenn wir uns nun mit voller Freudigkeit der inneren Bezeugung
zuwenden, fo hoffen wir, dafs den geneigten Lefcrn aus der
Stelle felbft ein fo lautes und kräftiges Selbftzeugnis des heiligen Geiftes
von feiner Autorfchaft entgegentönen wird, und dafs fie einen fo pofitiven
pneumatifchen Beweis ihrer Echtheit aus ihr heraushören werden, dafs
ihnen das Todesurteil der modernen Theologie trotz feiner Einftimmig-
keit im Lichte eines Juftizmordes erfcheinen wird'.

S. 32: ,Wir legen bei der Frage über die Authentie unferer Stelle
.... das denkbar gröfste Gewicht auf das interne Moment, dafs 1. Joh.
5, 7 den Stempel der Echtheit aufgeprägt trägt. Hat man erft diefe
Üeberzeugung gewonnen, fo erheben fich die äufseren Zeugnifse für die
Echtheit auch zu fchärferer Beweiskraft .... I. Joh. 5, 7 mufs echt
fein, weil fich feine innere Herrlichkeit aus einer Interpolation nicht
erklären läfst'.

S. 40: ,Das Verdienft, die Dreizeugenftelle zu einem Erbe für die
lufherifche Theologie gemacht zu haben, gebührt dem Johannes Gerhard'.
— S. 42: ,Der letzte lutherifche Theologe, der die Vertheidigung der Echtheit
von I. Joh. 5, 7 als eine feiner theologifchen Lebensaufgaben angefallen
hat, war Johann Albrecht Bengel'. — S. 44: ,Wer war der Mann, der
die Akten, die zur Freifprechung geführt, kaffiert und den neuen Tuftizmord
verfchuldet hat? Es ftimmt zu tiefer Wehmut, dafs fich die Kirche das
güldne Kleinod 1. Joh. 5, 7 hat nehmen lallen durch einen Mann, auf
welchen ftolz zu fein fie wahrlich keinen Grund hat, durch Johann Salomo
Semler'. S. 45: ,Ueberall leuchtet feine fanatifche Feindfchaft gegen
I. Joh. 5, 7 hindurch. Wir thun dem armen Manne nicht Unrecht, wenn
wir meinen, er habe eine feiner unheilvollen Lebensaufgaben darin gefeiten
, der Theologie und Kirche den Edelftein der Dreizeugenftelle zu
veruntreuen. Wir wählen mit Bedacht dies Zeitwort; denn die Kampfesweife
Semlers ift auch nach ethifchen Mafsen gemeffen fo niedrig wie
möglich gewefen'.

Der Verfaffer, der in diefem Tone fchreibt, ift —
wie die literarifchen Angaben zeigen — nicht ein Zeit-
genoffe Calov's, fondern ein Theologe der Gegenwart.
Er gehört auch nicht zu den Miffouriern in Amerika,
fondern zur evangelifchen Kirche Schlefiens, ift preufsifcher
Superintendent und examinirt in Breslau die theologifchen
Candidaten der preufsifchen Landeskirche. So weit find
wir in der Rückwärts-Reformirung in's 17. Jahrhundert
zurück bereits gekommen.

Kiel. E. Schürer.

Tourtual, Dr. Florenz, Bischof Hermann von Verden 1149—
1167. 2. Aufl. Berlin, Stargardt, 1892. (VIII, 82 S.
gr. 8.) M. 2. —

Es ift etwas Seltenes, dafs von einer hiftorifchen
Monographie eine zweite Auflage veranftaltet wird. Im
vorliegenden P'alle führten äufsere Umftände dazu. Nachdem
die Schrift von Tourtual 1866 erfchienen war, wies
1869 Freiherr von Hammerftein-Loxten in feinem Buche
,üer Bardengau' S. 91, Note 1 u. 102 daraufhin, dafs der
Bifchof Hermann von Verden wahrfcheinlich dem jetzt
noch blühenden Gefchlechte der Behr angehört habe,