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Ausgabe:

1894

Spalte:

106-109

Autor/Hrsg.:

Schnedermann, Geo.

Titel/Untertitel:

Jesu Verkündigung und Lehre vom Reiche Gottes, in ihrer geschichtlichen Bedeutung dargestellt. 1. Hälfte: Die Verkündigung Jesu vom Kommen des Königreiches Gottes 1894

Rezensent:

Bousset, Wilhelm

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fehr forgfältigen kritifchen Arbeit kann hier nicht eingegangen
werden. Nur diefes werde hervorgehoben,
dafs Kittel {ich bisher der Anficht gegenüber ablehnend
verhält, dafs in diefen Büchern die Pentateuchifchen E
und J wieder zum Vorfchein kommen. Das Urtheil über
die Chronik, aus der doch Einzelnes gewonnen werden
könne, ift fehr nüchtern. Merkwürdiger Weife wird bei
Gelegenheit der Mefainfchrift Clermont-Ganneau nicht
einmal genannt. Die Propheten find in die Quellenkunde
nicht mit aufgenommen worden. Die kritifche Stellung
des Verfaffers ihnen gegenüber ift, wie fich befonders
aus einigen Anmerkungen (S. 277, 278, 297, 303) ergiebt,
behutfamer als die mancher anderen; der Nachtrag über
Joel, der wirklich nachhinkt, gehörte beffer in die Noten.
Das Alter diefes Propheten läfst Kittel unentfchieden.
Seine Stellung zum Prieftercodex ift unverändert. In
der Anzeige des erften Halbbandes hatte ich gefragt,
warum denn Hilqija nicht P, wenn er ihn befafs und
kannte, fondern D veröffentlichte. — Kittel antwortet:
Weil er D fand, nicht zu finden vorgab. — Damit ift
wohl zugegeben, dafs, wenn Hilqija an der Verfaffer-
fchaft von D mitthätig war, alfo D gefunden zu haben
vorgab, von dem Vorhandenfein des P. C. damals
nicht wohl die Rede fein kann. — Aber D ift ein wirklicher
Fund. — Allein, wie konnte Hilqija über dem
zufällig gefundenen Buch, das ihm wohlbekannte, ebenfalls
auf Mofes zurückgeführte innere priefterliche Programm
, P, fo fehr vergeffen, dafs er D, deffen Gefichts-
punkte und Verhältnfse durchaus andere find, zur ftaat-
lichen Anerkennung verhalf? Ob der Fund wirklich oder
vorgeblich war, thut wahrhaftig nichts zur Sache. Mir
fcheint übrigens das Deuteronomium Jofia's, wenn überhaupt
je ein folches exiftirt hat, eine unbekannte Gröfse
zu fein, und die Reftitutionsverfuche des Urdeuterono-
iums auf gutem Wege, fchliefslich wenig mehr davon
übrig zu laffen. Jeremia's Verhältnifs zur Reform Jofia's
und zum Deuteronomium ift ebenfalls räthfelhaft. Hier
hören wir z. B., dafs Jeremia unbedingt das höchfte
Intereffe daran hat nehmen müffen, und auf dem folgenden
Blatt, dafs wir nicht wiffen, ob und wie Jeremia bei
der Reform thätig war.

Sehr hübfch find die Abfchnitte über den Prophetismus
, über die Cultur und Religion der erften Königszeit
. Nur habe ich den Eindruck erhalten, dafs gerade
die Theile, welche den interefianteften und wichtigften
Gegenftand an der Gefchichte Israels behandeln, die
Cultur, die Literatur, die Religion, allzu knapp ausgefallen
find. Hie und da hätte einzelnes einer Erklärung
bedurft, z. B. der Satz (S. 292), in dem erzählt wird, dafs
Jefaia fich erboten habe, dem König ein Wunder zu
thun, zum Beweis, dafs er die Wahrheit rede. Einfach
fo hingeworfen klingt die Sache gar zu abenteuerlich.
Den Immanuel, Cap. 7, möchte ich nicht mit dem Sohne
in Cap. 9 identificiren. David fcheint mir zu günftig be-
urtheilt; ob er wirklich an all den Mordthaten, aus denen
er Nutzen zog, fo unfchuldig war? Saul's Charakterbild
ift fehr anfprechend; hier der wunderbare Satz (S. 119):
,Sein Gemüth befitzt jene Mifchung des fanguinifchen
und cholerifchen Temperaments, die nur zu leicht einen
bedenklichen Zufatz des melancholifchen in fich führt'.
Von den Richtern wird vielleicht mehr für die Gefchichte
gerettet, als ftatthaft, fogar Simfon. Aber der Gewinn
ift gering, wenn wir erfahren, dafs es in der letzten Zeit
vor Saul Reibungen der nächftliegenden Stämme mit
den Philiftern gab, und eine volksthümliche Reckengeftalt
des Stammes Dan, an welche fich bald in buntem
Gerank mancherlei Sagen über Tort und Tücke aller
Art anfchloffen, und die, mit einem fremden Sonnenmythus
in Verbindung gefetzt, von diefem felbft den Namen erhielt
, und als Gegengewicht die Züge des Nafiräers beigelegt
bekam. Sollte vielleicht der Verfaffer ein etwas
zu grofses Vertrauen auf den hiftorifchen Werth der
älteren Quellenfchriften haben, einfach weil älter?

Die Erzählung fchreitet in kleinen Sätzen rafch
voran, klar, präcis und trocken; die Ueberfetzungsproben
aus den Propheten, nach kritifch feftgefetztem Texte,
find genau und fchwerfällig. Nützlich wäre es gewefen,
wenn das Ergebnifs der Quellenkritik tabellenartig je
am Schlufs der Quellenkunde überfichtlich vorgeführt
worden wäre.

Es erübrigt nur noch, Herrn Kittel unfern warmen
Dank auszufprechen für die fchöne, gediegene Arbeit,
die er geliefert, fammt den beften Wünfchen für den
Fortgang und die Vollendung feines vortrefflichen Werkes.

Strafsburg i. E. L. Horft.

Schnedermann, Prof. Lic. Dr. Geo., Jesu Verkündigung und
Lehre vom Reiche Gottes, in ihrer gefchichtlichen Bedeutung
dargeftellt. I.Hälfte: Die Verkündigung Jefu
vom Kommen des Königreiches Gottes. Leipzig,
Deichert Nachf., 1893. (VII, 198 S. gr. 8.) M. 3. —

Recenfent befindet fich diefer Schrift gegenüber in
einer peinlichen Lage. Die Schrift ift kein Ganzes, fondern
nur ein Fragment, oder nur die Hälfte eines Fragments
, dem der Anfang fehlt. Denn als erftcr Theil ift
eine noch nicht gefchriebene Darftellung der in Jefu Predigt
vorausgefetzten ifraelitifchen Vorftellungen geplant.
Da des Verf.'s Auffaffung in dem Satz gipfelt, dafs Jefu
Vorftellungen vom Gottesreich durch und durch ifraeli-
tifche waren, fo ift für den Lefer diefer Mangel doppelt
empfindlich. Als zweite Hälfte unferer Schrift foll eine
Darftellung der lehrhaften Ausführungen Jefu von feiner
grundlegenden Verkündigung folgen, d. h. eine wirkliche
Darftellung aller einzelnen Ausfagenjefu über das Gottesreich
, während der Verf. feine bisherigen Ausführungen
felbft eine Demonftration a priori allein von Mc. 1, 15
aus nennt (d. h. von der Thatfache aus, dafs nach dem
Evangeliften Jefu Predigt mit der Verkündigung des
Kommens des Gottesreiches begann). Dafs der zweite Theil
nicht fogleich mit in Angriff genommen ift, hat aufser
.äufseren auch innere Gründe'(163). Nun ift diefer Weg
apriorifcher Deduction zwar aus äufseren und inneren
Gründen fehr bequem, aber doch höchft merkwürdig.
Sehn, fcheint überhaupt der Meinung zu fein, dafs man
gefchichtlichen Thatfachen durch formal-logifche Deduc-
tionen von oben her beikommen könne; fo unternimmt
er es z. B., J.Weifs'Ausführungen über die efchatologifche
Bedingtheit der Predigt Jefu unfehädlich zu machen durch
j eine logifch-fprachliche Deduction der Bedeutung des
• Wortes efchatologifch! (187). Und fo legt er denn auch
jetzt fchon jene apriorifche Deduction den Fachgenoffen
zur Beurtheilung vor, und er fcheint fich feiner Sache
fehr ficher zu fühlen: Aus fich erhebendem Widerfpruch
würde er ,von Neuem nur dies entnehmen, dafs tief gewurzelte
Vorurtheile der vorgefchlagenen Auffaffung ent-
gegenftehen'.

Seite 26—85. 162—198 giebt Sehn, feine eigene Auffaffung
, den übrigen Raum nehmen litterarifcheUeberfichten
und ausführliche Auseinanderfetzungen mit fämmtlichen
I neueren Forfchern auf diefem Gebiet ein. Belefenheit
kann man Sehn, nicht abfprechen, aber nirgends zeigt
I fich ein wirkliches Bemühen, den Gegner zu verliehen,
überall das Beftreben, durch advocatifche Verdrehungen
und aufgedrängte falfche Frageftellungen denfelben um
■ jeden Preis ins Unrecht zu fetzen. Ein Beifpiel möge
I genügen. S. 138 ift zu lefen: ,In der That bezeichnet
i Bouffet zunächft einen wefentlichen Fortfehritt gegenüber
J. Weifs, infofern deffen vornehme Ignorirung hier durch
ausdrückliche Forderung der Kenntnifs des jüdifchen
Hintergrunds erfetzt wird'. Das ift das Verftändnifs Schn.'s
der zwifchen Weifs und mir obwaltenden Differenz! —
Und folche Mifsvcrftändnifse trifft man faft auf jeder
Seite jener Auseinanderfetzungen.

Man wird es daher berechtigt finden, wenn ich mich

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