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Ausgabe:

1894 Nr. 4

Spalte:

101-104

Autor/Hrsg.:

Klostermann, August

Titel/Untertitel:

Der Pentateuch 1894

Rezensent:

Budde, Karl

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IOI

Theologifche Literaturzeitung. 1894. Nr. 4.

102

Jefaia, aber des gefammten Buches, geboten werden
follte. Für die Sammlung nennt der Titel Kloftermann
nur als Herausgeber, für das Heft als Verfaffer. Werden
noch andere Gelehrte fich an der Fortfetzung betheiligen?
Wir erfahren darüber nichts. Dafs neben Kloftermann's
aus ganz befonderem Holze gefchnitzter Perfönlichkeit
auch andere zur Geltung kämen, wäre der Sache gewifs
dienlich, wenn fie nur an Begabung, Sachkenntnifs und
Sorgfalt nicht zu fehr hinter ihm zurückftehen. Auch
gemeinfame, vergleichende Arbeit Mehrerer möchte fich
empfehlen.

Strafsburg i/E. K. Budde.

Klostermann, Prof. Dr. Aug., Der Pentateuch. Beiträge zu
feinem Verftändnis und feiner Entftehungsgefchichte.
Leipzig, Deichert Nachf., 1893. (VII, 447 S. gr. 8.)
M. 8. —

Was der Verf. bisher im Laufe von zwei Jahrzehnten
in verfchiedenen Zeitfchriften zurLöfung der Pentateuch-
Frage beigefteuert hat, liegt hier gefammelt vor. Nicht
in der Reihenfolge, in der es erfchienen ift; vielmehr
nehmen die Veröffentlichungen des erften Jahrzehnts,
Das Lied Mofes und das Deuteronomium (1871 f.), Ezechiel
und das Heiligkeitsgefetz (1877), Ueber die kalendarifche
Bedeutung des Jobeljahres (1880) von S. 223 an genau die
zweite Hälfte des Bandes ein, während der Vorrang den fünf
zufammenhängenden Abhandlungen eingeräumt ift, die
erft in jüngfter Zeit, 1890 und 91, in der ,Neuen kirchlichen
Zeitfchrift' erfchienen. Sie allein können, fo werthvoll
jene Beigaben find, für die Berichterftattung einer
Literaturzeitung in Betracht kommen; aber fie verlangen
diefe auch gebieterifch, weil in ihnen eine abweichende
Grundanfchauung vom Pentateuch und füglich vom ganzen
Alten Teftament, getragen von der mächtigen und unabhängigen
Perfönlichkeit des Verfaffers, den Kampf auf
der ganzen Linie gegen die bisherigen eröffnet. Die bisherigen
, wenn auch hier die Spitze gegen die Vertreter
der Graf-Wellhaufen'fchen Theorie gerichtet ift. Denn
die Ueberzeugung von einem gefchichtlichen Entwicke-
lungsprocefs, der fich nach Gottes Willen in einem Zu-
fammenwirken zahllofer Factoren vollzieht, gröfstentheils
unbewufst, nimmer ruhend, durchdringt fo fehr von Anfang
bis zu Ende die Arbeit des Verfaffers, dafs fein Er-
gebnifs für die confervative Partei, die ihm Obdach gewährt
hat, ein böfes Danaergefchenk bedeutet. Mehr als
das Privilegium Polyphemi würde ihm, falls es ihm gelänge
, die jetzigen Gegner aus der Welt zu fchaffen,
fchwerlich zugeftanden werden. Allerdings ift er der letzte,
der danach fragen würde; es ift ihm weder um die Partei,
noch um die Perfon, fondern um die Sache zu thun.

Alle heutige Pentateuchkritik leidet an einem Grundfehler
, der fie am Ziel vorbeifchiefsen läfst, das ift die
Verwechfelung des jetzt vorliegenden Textes mit dem
des letzten Verfaffers, und gar feiner Theile mit dem Werke
der einzelnen Quellenfchriftfteller. Vermöge diefer harm-
lofen Verwechfelung wagen es die kritifchen Arbeiter,
den Pentateuch in feine Quellen zu zerlegen, ,Schriftftel-
lerphyfiognomien und hterarifche und Culturepochen
auf Grund von Unterfchieden zu zeichnen, welche möglicherweife
gar nicht zwifchen den Schriftftellern und Zeiten
ftattgefunden haben, fondern nur zwifchen gewiffen Exemplaren
eines und desfelben Werkes'. Die Urfchrift mufs
bis auf die Zeit, in der der Text endgiltig feftgeftellt
wurde, fo vielfache Veränderungen erlitten haben, dafs
ein folches Verfahren auf Erfolge gar nicht mehr rechnen
kann. ,Der einzig fichere Ausgangspunkt für die künftige
Pentateuchkritik' — fo lehrt die zweite Abhandlung —
ift vielmehr das Deuteronomium, weil uns dafür ein ge-
fchichtliches Zeugnifs zu Gebote fleht. Denn in feinem
Hauptbeftande ift uns das im Jahre 622 aufgefundene Gefetzbuch
erhalten, welches König Jofia feiner Reform

zu Grunde legte. Diefes Gefetzbuch mufs alle äufseren
und inneren Merkzeichen höchften Alters an fich getragen
haben und, im Gegenfatz zu anderen bekannten
,mofaifchen' Gefetzbüchern, der Gegenwart als etwas ganz
Fremdartiges gegenüber getreten fein; es bedurfte alfo
zur Einführung einer Ueberarbeitung, um ,verftändlich
für das heutige Gefchlecht zu reden'. Diefe, von Jofia
veranftaltete und als öffentliches Gefetz eingeführte Ausgabe
des alten durch Hilkia gefundenen Gefetzbuches'
liegt uns in Dt. 4, 45 bis Dt. 28, 69 vor. Wir befitzen
fie eingefügt in ein fie allfeitig umfaffendes Werk und
können die Bemühungen des Einordners — von deffen
harmoniftifcher Arbeit redet die dritte Abhandlung —
verfolgen. Somit repräfentirt dies den Rahmen bildende
Werk ,die zur Zeit Jofia's vorhandene autoritative Ge-
fchichtsüberlieferung, zu welcher das vielfach im Gegenfatz
zu ihr flehende neu entdeckte alte Bundesbuch hinzukam
'. Dafs diefes umfaffende Werk ein zufammengefetz-
tes Ganze ift, erkennt Kl. an. Was den Beftand feiner
Grundlage betrifft, fo bekämpft er immer wieder die Zerlegung
in J und E, ohne felbft für die Löfung des Räthfels
mehr als Andeutungen zu geben. Danach könnte es gelegentlich
Rheinen, als wenn die beiden ihm, foweit fie
zu unterfcheiden find, als durch den gemeindlichen Gebrauch
verunähnlichte Geftalten desfelben urfprünglichen
Werkes gälten; während S. 54 als feine Anficht, wenigstens
vor 25 Jahren, nennt, dafs J mit Benutzung von E ge-
fchrieben fei. P ift ihm — das wird wieder nur immer
aufs neue gelehrt, nicht bewiefen — kein felbftändiger
Schriftsteller, fondern nur der Redactor jenes Grundwerkes
. Kraft feiner Thätigkeit aber ift das Werk, in
welches Jofia's Bundesbuch eingefügt ift, ein nach einem
local-temporalen Schema planvoll und einheitlich durchgeführtes
und — das wird freilich wieder mehr angedeutet
als bewiefen — hat als folches gefchloffen dem Einordnervorgelegen
, ift alfo älter als Jofia. Endlich die fünfte
Abhandlung will nachweifen, dafs der vorjofianifche
Pentateuch an der Stelle, an welcher fpäter das Dt. eingefügt
wurde, felbft fchon eine erhebliche Erweiterung
erfahren hatte. Diefe letzte Ausgabe mufs auf alle Fälle
fchon geraume Zeit vor Jofia liegen. Da ihr Verfaffer das
prophetifche Lehrgedicht des Mofe (Dt. 32) aufnahm,
welches Micha (6, 5) ,im Gedächtnifs hat, wo er die feine
Entstehung in der Erzählung umfchliefsenden Stationen
Sittim und Gilgal als bedeutungvoll erwähnt, fo darf man
ohne Gefahr fchliefsen, dafs die Erweiterung zur Zeit
des Königs Hiskia, alfo 100 Jahre früher als Jofia, bereits
vorhanden und als Autorität im Brauch war, und dafs
folge weife die Entstehung des urfprünglichen Buches in
entfprechend höherer Zeit gefucht werden mufs'.

Will man das Ergebnifs mit den, von Kl. allerdings
verabfcheuten, aber doch auch zur Verdeutlichung verwendeten
Buchstaben ausdrücken, fo ergiebt fich folgendes
Bild von der Entstehung des Pentateuchs. JE (oder EJ)
ift überarbeitet von P,, erweitert von P2. D ift einerfeits
die ältefte Quelle in Geftalt des Bundesbuches, wie es
gefunden wurde, anderfeits die fpätefte in der jofianifchen
Ausgabe. Mit deren Einfügung in den vorjofianifchen
Pentateuch durch Rd war der Pentateuch abgefchloffen,
natürlich bis auf die Schickfale, die das fertige Buch
fernerhin erlitten hat.

Der letzte Vorbehalt, den man nach Abh. I zu machen

I fich gefagt fein läfst, giebt zu denken. Wer bis S. 54 gelangt
ist, follte zunächst meinen, alles wäre am Ende;
denn alle zur Verfügung flehenden Mittel der Quellen-
fcheidung werden mit fo ätzender fkeptifcher Lauge über-

j goffen, dafs ein runder Verzicht allein übrig zu bleiben
fcheint. Giebt es dennoch eine Fortfetzung, fo erwartet
man die Enthüllung ganz neuer, ungeahnter Merkmale
und Mittel unter steter, forgfamfter Beachtung aller der
Warnungszeichen, die in Abh. I aufgerichtet find. Aber
obgleich wir S. 78 f. an Aristoteles, Plato, Homer gelernt
haben, dafs unfere Textgeftalt des Pentateuchs der