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Ausgabe:

1894 Nr. 3

Spalte:

89-90

Autor/Hrsg.:

Duperrut, Frank

Titel/Untertitel:

Le christianisme de l‘avenir 1894

Rezensent:

Lobstein, Paul

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»9

Theologifche Literaturzeitung. 1894. Nr. 3.

90

Auffaffung der chriftlichen Wahrheit findet im vorliegenden
Werke keine Beruckfichtigung, gefchweige denn
dafs es befriedigt werde. Die Gerechtigkeit, Weisheit
und Liebe Gottes erörtert M. bereits im Zufammenhang
der natürlichen Gotteslehre, nach Aufführung der fog.
Beweife für das Dafein Gottes und ohne jegliche Bezugnahme
auf die chriftliche Heilsökonomie; auch für die
Beurtheilung der Welt, des Menfchen, der Sünde fucht
er einen Mafsftab aufserhalb der Offenbarung in Chriftus.
Allerdings entfernt fich der ftets weitherzige und um-
lichtige Anwalt diefes mit dem confervativen Rationalismus
vermählten Biblicismus an manchen Punkten von
den Bahnen der altproteftantifclien Rechtgläubigkeit: er
ift ein Vertreter der modernen Kenofistheorie, feine
Verföhnungslehre ift weder die anfelmifche, noch die
lutherifche oder reformirte, er tritt für die Wiederbringung
und Befeligung aller gefallenen Gefchöpfe ein. Allein trotz
diefer Heterodoxien fteht diefe ganze Arbeit unter dem
Bann der proteftantifchen Scholaftik, und fie bezeichnet
diefer gegenüber nur in einzelnen Fragen, nicht aber im
Princip, in der Methode und der Gliederung des Stoffs einen
wirklichen Fortfehritt. Die Darftellung ift klar, lebendig,
mitunter feffelnd; der Gang der Entwickelung ift ein
ftetiger, durch keinerlei Literaturangaben belafteter; mit
den gegnerifchen Anflehten fetzt fich der Verf. häufig,
doch in durchaus würdigem und mafsvollem Tone auseinander
. Diefe Vorzüge find indeffen nicht der Art,
dafs der durch einen Recenfenten (TheologifcherLiteraturbericht
1893, S. 175} geäufserte Wunfeh nach einer deut-
fchen Ueberfetzung des Matter'fchen Werkes hinlänglich
berechtigt fein dürfte.

Strafsburg i. E. P. Lobftein.

Duperrut, Frank, Le christianisme de l'avenir. Pensees.
Paris, Fischbacher, 1893. (V, 258 S. 8.)

Ein anziehendes Büchlein, das in zwanglofer Form
eine Fülle anregender Gedanken und Beobachtungen dem
Nachdenken des Lefers darbietet. Man ftofse fich nicht
an dem fcheinbar anfpruchsvollen Titel: nicht das Evangelium
Jefu Chrifti, fondern das Verftändnifs defselben
und vor allem die diefem Verftändnifs gemäfse Formu-
lirung bedarf der Erneuerung (S. 3). Diefe auch unter
uns erhobene Forderung begründet der Verf. nicht in
fyftematifcher Weife; die vier Capitel, unter die er
feine Aphorismen zufammenfafst, Philosophie religieuse,
Croyance, Conduile, Ordre pratique, wollen felbftverftänd-
lich den Gegenftand nicht erfchöpfen, fondern nur einige
Winke über die Art geben, wie die erftrebte Vereinfachung
, Verinnerlichung, Vertiefung der chriftlichen Auffaffung
gemeint ift. In mancher Beziehung erinnert das
Werk an die Wimmer'fchen Schriften, die fich unter uns
eines fo wohlverdienten Erfolges erfreuen durften (z. B.
S. 74 f.). Nur find es nicht .Bekenntnifse eines Theologen'
die der Verf. ablegen will; er fpricht als Laie, der feine
Bedenken, Wünfche und Hoffnungen in ireimüthiger Weife
zum Ausdruck bringt, mit vielen ernften Problemen der
Gegenwart in Fühlung tritt, und fich mit namhaften Vertretern
verfchiedener Richtungen der modernen Zeit auseinanderfetzt
, (über Renan, S. 56. 61. 132; Taine, 53. 54;
Tolftoi, 168). Der Fachtheologe, der leicht verflicht ift,
in den aufserhalb der Schule entftandenen Werken Dilettantenarbeit
zu erblicken, wird allerdings nicht weniges
ausfetzen, fich über Unbeftimmtheit häufiger Ausführungen
beklagen, und wefentliche Lücken aufzuweifen haben.
Ohne an das'Büchlein einen Mafsftab anlegen zu wollen,
den es nicht verträgt, vermiffe ich vor allem eine klare
und fefte Stellungnahme, ich fage nicht zur chriftologi-
fchen Frage, wohl aber zur gefchichtlichen Perfon Jefu,
als Mittelpunkt des Chriftenthums und Gegenftand des
Glaubens. Es ift dies um fo mehr zu bedauern, als alle
Vorausfetzungen zu einer folchen Pofition bei dem Verf.

zu finden lind (S. 70f. 75 u. öfters], und eine con-
fequentere Durchführung feiner eigenen Prämiffen ihn zu
einem befriedigenden Ergebnifse führen müfste. Im
Uebrigen möchte ich das pofitive Programm des durch
aufrichtiges Streben nach Wahrheit und durch pietätvolle
Beurtheilung der Tradition gleich ausgezeichneten
Denkers in die fchönen Worte Harnack's faffen, die den
im Büchlein des Herrn Duperrut athmenden Geilt treffend
wiedergeben: .Fortfchreitend mufs die Chriftenheit lernen,
| dafs auch in der Religion das Einfachfte das Schwerfte
ift, und dafs Alles, was die Religion belaftet, ihren Ernft
abftumpft. Darum kann das Ziel aller chriftlichen Arbeit
nur das fein, immer ficherer die Schlichtheit und den
Ernft des Evangeliums zu erkennen, um in der Gefinnung
immer reicher und lebendiger, in der That immer liebevoller
und brüderlicher zu werden.'

Strafsburg i. E. P. Lobftein.

1 Pfotenhauer. Paft.J., Die Missionen der Jesuiten in Paraguay.

Ein Bild aus der älteren römifchen Miffionsthätigkeit,
zugleich eine Antwort auf die Frage nach dem Werte
römifcher Miffion, fowie ein Beitrag zur Gefchichte
Südamerikas. Nach den Quellen zufammengeftellt.
3. (Schlufs-)TL: Die Kritik und der Zufammenbruch
des Syftems. Gütersloh, Bertelsmann, 1893. (384 S.
gr. 8.) M. 5. —; cplt. geb. M. 14. 50.

Von diefem umfangreichen und gründlichen Werke,
von welchem wir die zwei erften Theile 1893 Nr. IO angezeigt
haben, ift nun der Schlufsband erfchienen, die kri-
tifche Darfteilung der jefuitifchen Miffionsmethode, welche
in drei Hauptabfchnitte zerfällt: 1) Mit welchen Mitteln
löften die Jefuiten das Problem der Indianerfrage? 2) Ift
das die Löfung der brennenden Frage? 3) Das Gottesgericht
der Gefchichte. — Das von Pfotenhauer mit
grofsem Fleifs durchforfchte Quellenmaterial fpricht ein
vernichtendes Urtheil über den vielbewunderten Paraguay-
Roman. Man könnte vielleicht einwenden, der Verfaffer
habe zu fehr den biblifchen, evangelifchen Mafsftab angewendet
, der den Jefuiten von Haufe aus fremd war,
und es werden Schwächen fcharf gerügt, die auch bei
evangelifchen Miffionen vorkommen können. Aber des
Eindrucks wird fich kein Lefer erwehren können, dafs
die Jefuiten, welche mehr als ein Jahrhundert lang die
unumfehränkte kirchliche und politifche Macht in Paraguay
hatten, in diefer langen Zeit das Volk weder zur
Freiheit eines Chriftenmenfchen, noch zu irgend welcher
felbftändigen Cultur herangebildet, fondern es in einer
beftändigen Knechtfchaft gehalten, feine Arbeitskraft nur
für die Bereicherung des Ordens ausgenützt und ihm alle
Bildungselemente abgefchnitten, alles höhere Streben
unterdrückt haben. Kein chriftlicher Charakter tritt unter
den Eingeborenen hervor, keiner wird durch Ertheilung
der kirchlichen Weihen zum Miffionar unter feinem Volke
berufen. Die Folge war bei der Aufhebung des Ordens
ein jammervoller Zufammenbruch aller bürgerlichen und
fittlichen Ordnung. Die Niederlaffungen wurden in den
nun folgenden Kriegen verwüftet und erftanden nicht
mehr, das Land verödet und entvölkert. Man gewinnt
freilich für die politifchen und kirchlichen Behörden,
welche nach Aufhebung des Ordens das Land verwalten
follten, ebenfo wenig Sympathie als für die Jefuiten; man
wird bekennen müffen, dafs es unter der Herrfchaft der
I letzteren immerhin noch beffere, friedlichere Zeiten hatte.
Damit ift das Buch eine Kritik des römifchen Syftems
überhaupt, wie es im fpanifchen und portugiefifchen Volke
feine argen Früchte getragen und fich unfähig erwiefen
hat zur wirklichen Erziehung der Völker.

Echterdingen. P. Wurm.