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Ausgabe:

1894

Spalte:

86-88

Autor/Hrsg.:

Stange, Carl

Titel/Untertitel:

Die christliche Ethik in ihrem Verhältnis zur modernen Ethik: Paulsen, Wundt, Hartmann 1894

Rezensent:

Wendt, Hans Hinrich

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Theolcgifche Literaturzeitung. 1894. Nr. 3.

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ften Jahre 1556 Tngolftadt), verfteckt als Anhang an die
lateinifche Kindergrammatik des Jefuiten Codret, der
kleinlte Katechismus ,Summa Doctrinae Christianae . . .
ad captuui rudiorum accommodata' in 59 Fragen. Endlich
zu Ende des Jahres 1558, vielleicht erft Anfang 1559
zu Köln der weit verbreitete kleine Katechismus ,Parvus
Catechistnus Catholicoruni in 122 Fragen, in fpäteren
Drucken auch ,'Jnstitutiones Christianae Pietatis' betitelt.
In deutfcher Sprache liegt der grofse feit 1556 vor, der
kleinfte feit J558, der kleine feit 1563. Der grofse ift
dann von Ordensgenoffen des Canifius, Bufäus und fpäter
Johann Hafe, durch Commentare und durch die voll-
ftändige Anführung feiner zahllofen Citate aus der Bibel
und den Vätern zu umfänglichen Lehrbüchern der katho-
lifchen Glaubenslehre erweitert worden. In allen drei
Katechismen ift die Anordnung wefentlich die gleiche:
nach der Trias Glaube, Hoffnung, Liebe werden das
Apoftolicum, dann das Vaterunfer und Ave Maria, dann
die zehn Gebote Gottes und die fünf Gebote der Kirche
tractirt, dann folgen die Sacramente, und endlich unter j
dem Gefammttitel ,von der Gerechtigkeit' oder unter
Zerlegung in Sünden und Tugenden jene mittelalterlichen
Lehrftücke des katechetifchen Stoffes von den
verfchiedenen Arten der Sünde, den Werken der Barmherzigkeit
, den Haupttugenden, den Gaben des Geiftes,
den Seligpreifungen und den Consilia evangelica. Die
beiden kleineren Arbeiten find Auszüge aus dem Hauptwerke
von 1555. Braunsberger hat es daneben nicht
fehlen laffen an Zufammenftellung von Lobfprüchen, die
der katechetifchen Arbeit des Canifius in älterer und
neuerer Zeit gefpendet find. Ebenfo bemüht er fich,
diefen vor dem Verdacht zu fchützen, als wenn er die
Unfehlbarkeit des Papftes nicht hinreichend bezeugt hätte.
Freilich in den Ausgaben von 1555 ift nichts davon zu
finden, aber unferjefuit weifs, dafs unter den damaligen
dunklen Verhältnifsen Canifius fie nur nicht vortragen
.wollte' (p. 87). Erft in der Ausgabe von 1567 habe er
feinen Mund geöffnet, aber freilich auch hier nur, foweit
es jene Zeiten erlaubten und forderten' (p. 88). Es I
werden nicht alle mit diefer Art, die Dogmengefchichte
zu interpretiren, einverftanden fein. Ebenfo wird nicht
voreingenommenen Lefern das Bemühen des Verfaffers,
Paolo Sarpi's bekannte Mittheilung zu entkräften, dafs
der unter König Ferdinand's Aufpicien erfchienene Katechismus
am römifc'nen Hofe durchaus nicht freundlich
aufgenommen fei, nicht völlig ftichhaltig erfcheinen. Er
fieht fich auch fchliefslich felber zu dem Zugeftändnifs
veranlafst: ,möglich, dafs einmal von den 7 Hügeln herab
einige unfreundliche Lüfte dem Katechismus entgegen
wehten und dafs einige Waffer darob fich kräufelten'
(p. 55). Er hätte doch auch die Frage erwägen füllen,
warum die Väter von Trient, als fie fich mit der Katechismusangelegenheit
befchäftigten, nicht einfach auf die
Arbeit des Canifius fich einigten und in ihr den Normalkatechismus
anerkannten. Mit einem folchen Wunfche
fcheint ja doch Canifius felbft nach Trient geblickt zu
haben, wenn er hernach mit fauerfüfser Miene und in
den bekannten demuthsvollen Wendungen jefuitifcher
Briefftellerei verfichert: er mache fich um feinen Katechismus
keine Sorge und halte ihn ja auch nicht für
würdig, allen anderen vorgezogen zu werden; er fei ja
völlig zufrieden, wenn er nur als ein katholifcher appro-
birt werde; er wünfche felbft, dafs ein befferer verfafst
wurde, der die öffentliche Autorifirung des Concils für
alle Kirchen verdiene (E. S. Cyprian, Tabularium eccle-
siae Romanac. S. 224). Und Kaifer Ferdinand wird wenig
erfreut gewefen fein, als man ihm vom Concil her mittheilte
, man wolle jetzt dort eine ,certa et authentica christianae
doctrinae summa1 ausarbeiten laffen und mit ihr
alle anderen Katechismen verdrängen; freilich werde ja
der kaiferliche Katechismus dabei zum gröfsten Theile
hineingearbeitet werden können (Sickel, ,Zur Gefchichte
des Concils von Trient', S. 294). Es fcheint doch, als

wenn die Thatfache, dafs Canifius feinen Katechismus
auf königliche Ordre hin und unter Sanction der weltlichen
Obrigkeit verfafst hatte, der Anerkennung feiner
Arbeit in den mafsgebenden kirchlichen Kreifen hinderlich
gewefen ift.

Ich fchliefse einige Einzelbemerkungen an. S. 8
redet der Verfaffer von einem 1530 in Augsburg erfchie-
nenen .katholifchen' Katechismus, von dem Luther in
feinen Tifchreden fpreche; ihm ift wohl die Abhandlung
von J. Hans in Zeitfchrift für prakt. Theol. XIV, ioiff.
unbekannt geblieben, in der diefer Katechismus genauer
befchrieben wird: es war kein katholifcher, fondern ein
officieller evangelifcher Katechismus, den die Gefammt-
heit der Geiftlichen Augsburgs herausgegeben hatte. —
S. 31 fchreibt der Verfaffer betreffs der Einführungsordre,
welche Ferdinand dem Katechismus 1554 voranftellte,
auch proteftantifche Gefchichtsfchreiber hätten ,kein Bedenken
getragen', dies wichtige Aktenftück Wort für
Wort wiederzugeben. Ich wüfste wahrhaftig nicht, wie
ehrliche Gefchichtsfchieibung dazu kommen follte, derartige
Bedenken zu hegen; er verkennt hier den grund-
verfchiedenen Standpunkt, auf welchem evangelifche und
römifche Gefchichtsfchreibung fleht. — Ueberrafchend
ift die Behauptung S. 35, dafs auch die zehn Gebote
,von jeher' zu den Sammelbegriffen für den Chriftenlehr-
ftoff gehört hätten; es follte ihm doch fchwer werden,
eine conftante Tradition für diefes Hauptftück des Katechismus
nachzuweifen. — Der Verf. fcheint nicht beachtet
zu haben, dafs Melanchthon fich mehrfach, nicht
nur an der einen S. 60 angezogenen Stelle, über den
,Cynicus Pragcnsis' geäufsert hat, vgl. Corp. Ref. VIII
843. 845 ff. Bindfeil Supplementa p. 393. (Flacius ebd. p.
579). — Das fonft gut gefchriebene Buch bedient fich
S. 56 der feltfamen Redewendung: ,im Jahre 1577 zer-
fchlug Wigand fich mit feinem Amtsbruder Hefshufius',
doch wohl eine bedenkliche Bereicherung der deutfehen
Phrafeologie. Auch möchte ich daran erinnern, dafs
Luther's alter Biograph Mathefius, aber nicht Vlatthefius
heifst (vgl. S. 9), und dafs was er S. 30 über die Benutzung
katech. Materialien aus dem 9. Jahrh. in Luther's
Kl. Katechismus nach .proteftantifcher' Quelle mittheilt,
längft als Irrthum erwiefen ift. — Ein forgfältiges Regifter
erhöht die Brauchbarkeit der dankenswerthen Studie.

Kiel. G. Kawerau.

Stange, Carl, Die christliche Ethik in ihrem Verhältnis zur
modernen Ethik: Paulfen, Wundt, Hartmann. Preisgekrönt
von der theologifchen Facultät in Göttingen
am 1. Juni 1892. Göttingen, Dieterich's Verl., 1892.
(VI, 99 S. gr. 4.) M. 3. —

Diefe gekrönte Preisfchrift enthält eine fcharffinnige
Kritik der ethifchen Syfteme von Paulfen, Wundt und
Hartmann. Der Verfaffer fucht die fundamentalen Schwächen
der modernen religionslofen Ethik, von welchem
Standpunkte aus auch fie unternommen werden möge,
und ihnen gegenüber den zureichenden Werth der chrift-
lich-religiöfen Anfchauungsweife für die wiffenfehaftliche
und praktifche Begründung der Ethik nachzuweifen.
Er geht nicht auf die fpeciellen Ausführungen, fondern nur
auf die Behandlung der Principien bei den genannten
drei philofophifchen Ethikern ein. Er unterfucht die
Art, wie fie ihre ethifchen Begriffe und Ideale gewinnen,
dann das Wefen ihrer ethifchen Ideale, der von ihnen
angenommenen näheren Zwecke und des letzten Zweckes
der Sittlichkeit, und endlich die Fähigkeit diefer Ideale
zur praktifchen Motivation und zur Ausgeftaltung des
Verhaltens auf den befonderen Gebieten des fittlichen
Lebens. Er betrachtet die ethifchen Syfteme der drei
Philofophen als in einem Stufenverhältnifs zu einander
flehend, fo dafs je für die Mängel des einen die Ergänzung
von dem höher orientirten Standpunkte des