Recherche – Detailansicht
Ausgabe: | 1894 Nr. 3 |
Spalte: | 76-79 |
Autor/Hrsg.: | Overbeck, Franz |
Titel/Untertitel: | Ueber die Anfänge der Kirchengeschichtsschreibung 1894 |
Rezensent: | Schubert, Hans |
Ansicht Scan: | |
Download Scan: |
75
Theologifche Literaturzeitung. 1894. Nr. 3.
76
Proteus abgefehen — bereits mit guten Gründen eingetreten
fft.
Berlin. A. Harnack.
Siater, W. F., M. A., The faith and life of the early church.
An introduction to church history. London, Hodder
& Stoughton, 1892. (XII, 412 S. 8.) geb. 7s.
Ein englifcher Theologe, der die neueren Arbeiten
auf dem Gebiete der älteften Kirchengefchichte — die
feiner Heimath und die deutfchen — fleifsig ftudirt hat und
fich durch die kritifchen Aufftellungen auch innerlich
berührt fühlte, hat das Bedürfnifs empfunden, die Hauptprobleme
auszufchälen und eine relative Löfung für
fie zu finden. Diefe wird mehr an der Literatur als an
den Quellen felbft gefucht und gefunden. In diefer Art
etwa mufs das vorftehende Buch entftanden fein, deffen
Titel freilich recht irre führend ift. Es enthält eine Reihe
von lofe zufammenhängenden Capiteln. Diefe Capitel
bilden aber z. Th. in fich auch keine Einheit, fondern
Hellen ein ziemlich willkürlich zufammengefetztes Gefüge
dar. Man kann daher bei aller Anerkennung des
Fleifses des Verfaffers und feiner würdigen Polemik
gegen die ,ratlonaliftifchen' und ,naturaliftifchen' Kritiker
nicht wohl einfehen, warum der Verf. dies alles zu
einem ,Buch' zufammengefafst hat. Er hätte fich mit
der Herausgabe einiger Abhandlungen begnügen können
oder das Ganze noch reifen laffen müffen. Kein einziger
Punkt ift auch nur annähernd erfchöpfend behandelt,
und bei der Auswahl des Behandelten fteht man oft
vor einem Räthfel. Dies ift um fo bedauerlicher, als es
dem Verl. an Scharflinn nicht fehlt, und er für die
fchwachen Punkte der kritifchen Aufftellungen oftmals
ein gutes Auge verräth. Ich mufs mich unter folchen
Umftänden begnügen, den Inhalt des Buchs kurz anzugeben
: Cap. 1 Einleitung; cap. 2 die Kirche von
Jerufalem (aber behandelt wird nur die Authentie und
der Werth der Apoftelgefchichte, fowie die Ausbreitung
der Kirche auf den jüdifchen Linien); cap. 3 die erften
Leiter der Kirche (die Fragen über den Urfprung der
Verfaffung; Bifchöfe und Aeltefte u. f. w.); cap. 4 der
Uebergang zur Heidenmiffion; cap. 5 das Apoftelconcil
und feine Ergebnifse (Auseinanderfetzung mit der Tübinger
Schule); cap. 6 das Evangelium in Afien (aber
nur in der paulinifchen Zeit; am Schlufs diefes Capitels
wird aber auch das Endgefchick des Paulus befprochen,
feine Reife nach Rom und der Charakter der römifchen
Kirche); cap. 7 u. 8 das Ende des apoftolifchen Zeitalters
(die paulinifchen Kirchen; die letzten Briefe des
Paulus; die jüdifchen Kirchen; Hebr-, Jakobus-, Petrusbriefe
und johanneifche Schriften); cap. 9 das nach-
apoftolifche Zeitalter (hauptfächlich Referat über die
verfchiedenen Anflehten vom Verhältnifs des apoftolifchen
und nachapoftolifchen Zeitalters, fonft Aphorismen
); cap. 10 die jüdifche Chriftenheit, wie fie häretifch
wird (dabei Aphorismen über den Urfprung der katholi-
fchen Kirche ,not an amalgamation, but a Gentile deve-
loptnent); cap. 11 die alte chriftliche Literatur (d. h. es
werden Didache u. 1. Clemensbrief allein befprochen,
dazu einiges Sachliche, was man hier nicht fucht); cap. 12
die Taufe; cap. 13 die Agape und Euchariftie; cap. 14
trägt die Ueberfchrift ,The Ckristhood of Jesus1, enthält
aber hauptfächlich Bemerkungen über den Urfprung der
Härefien; cap. 15 die Chriftuspartei in Korinth (un-
verhältnifsmäfsig ausführlich); cap. 16 die Kirche (hauptfächlich
Polemik gegen die römifche und die bifchöf-
liche Theorie).
Berlin. A. Harnack.
Overbeck, Frz., Ueber die Anfänge der Kirchengeschichtsschreibung
. Programm zur Rectoratsfeier der Univ.
Bafel. Bafel, Druck von L. Reinhardt, 1892. (65 S.
gr- 4-)
Die fcharffinnige und anregende Abhandlung ift eine
werthvolle Ergänzung zu des Verf.'s bedeutendem und
vielverwerthetem Auffatz ,über die Anfänge der patrift.
Lit.< in Sybel's HZ. Bd. 48. Wie dort gezeigt ift, dafs
eigentlich erft mit Clemens AI. die chriftl. Literatur beginnt
, weil fie erft mit ihm unter Annahme der profanen
Formen der griech.-röm. Weltbildung auf die eigenen
inneren und bleibenden Bedürfnifse der Kirche felbft gegründet
wird, fo wird hier für das fpecielle Gebiet der
chriftl. Hiftoriographie dargelegt, dafs erft mitEufebius die
Kirche dazu gelangt war, ihre eigene Gefchichte in einer
Gefammtdarftellung der chriftl. Nachwelt zu überliefern.
Von der Ap.-Gefch. läfst fich das nicht fagen, und dafs
Hegefipp nur fälfehlich hierhin bezogen wird, haben fchon
Keftner (Gött. Differt. 1816) und Weizfäcker gezeigt. So
hat die — recht interpretirte — Behauptung des Eufeb.
h. e. Prooem. I, 1, der erfte zu fein, ftrenge Geltung.
Erft nachdem durch die Unterfuchung über die fog. vor-
eufebianifche Kirchengefchichtsfchreibung (S. 5 — 22)
Bahn gefchaffen ift, kann nach der Entftehung des Eufeb.
Werkes gefragt werden. Sicher hat E., wenn auch nicht
Vorgänger, fo doch Vorarbeiter gehabt, die Vertreter
der altchriftl. Chronographie (S. 22—33), wie fie aus der
apologetifchen Aufgabe, das Alter des Chriftenvolkes
nachzuweifen, erwuchs. Aber fchon mit Julius Afric. ift die
Stufe erreicht, dafs die Grundannahme der chriftl. Chro-
nogr. nicht mehr motivirt, fondern vorausgefetzt und
,die Aufftellung einer vollftändigen Weltchronik um ihrer
felbft willen' erftrebt wird, wobei ,die Aeren und chro-
nologifchen Reihen der verfchiedenen Völker auf die mit
Hülfe der Zahlen der LXX berechneten Jahre der Welt
reducirt' werden. Sicher, dafs dabei nicht blofs aus dem
Leben Chrifti, fondern auch aus der fpäteren Kirchengefchichte
Einträge gemacht find. In diefen Bahnen geht
die Chronik des Eufeb, wenn auch die Aufftellungen
Harnack's über das Abhängigkeitsverhältnifs zurückzu-
weifen find und vielmehr als Vermuthung aufzuftellen ift,
dafs eine fyftematifche und umfaffende Behandlung der
Kirchengefchichte, wie fie bei Eufeb fich findet, bei Julius
Afric. noch nicht ftatthatte (S. 26f.). Die Gefichtspunkte,
nach denen E. den kirchengefch. Stoff fammelt, ent-
fprechen den für die Völkergefchichte mafsgebenden,
alfo den Dynaftienreihen die Bifchofsliften, der Kriegs-
gefchichte die Gefch. der Verfolgungen und Martyrien,
der Gefchichte der Umwälzungen die der Härefieen, der
Berückfichtigung des culturhiftorifchen Elements durch
Hervorhebung berühmter Schriftfteller die Reihe der viri
illustres, nam. der Kirchenfchriftfteller. Das führt unmittelbar
drittens zu dem ,Plan der Kirchengefchichte
des E.' (S. 33—64). Eufeb fagt felbft I, 1, 6: fie ift .nichts
anderes als eine Art zweiter erweiterter Ausgabe des
kirchenhiftor. Theiles der Chronik'. Auch die Chriften
find als Volk gedacht, haben ihre eigene Columne erhalten
, diefe aber ift zugleich losgelöft und felbftändig
geworden. Der Plan ift alfo einfach der der Chronik,
die Gefichtspunkte der Sammlung, die das Prooem. zeigt,
find die der Chronik, daher die fcheinbare Unordnung,
die doch die Ordnung der Chronik ift und der als Bafis
zu Grunde liegt die eben der Chronik entnommene
Reihe der Kaifer und ein fortlaufendes Bifchofsverzeich-
nifs der Hauptfitze. Das gilt von dem Kern des Werkes
B. II—VII, der fcharf von dem Reft B. VIII—X zu
fcheiden ift. Schon B. VII verzweifelt der Verf. an der
Durchführung feines Planes, je näher er feiner eigenen
Zeit kommt. So wirkungsvoll diefer Schlufs des Werkes
ift, fo wenig hat er mit dem urfprüngl. Plan zu thun:
hier fchreibt Eufeb Zeitgefchichte, in enger Auswahl des
Stoffes unter der Herrfchaft persönlicher Intereffen, in