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Ausgabe:

1894 Nr. 3

Spalte:

72-73

Autor/Hrsg.:

Robinson , J. Armitage (Hrsg.)

Titel/Untertitel:

Texts and Studies. Contributuons to biblical and patristic literature. Vol. II 1894

Rezensent:

Harnack, Adolf

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Theologifche Literaturzeitung. 1894. Nr. 3.

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vovg Tit. 1, 15 und ^auie maxog 2 Tim. 2, 2 find gewifs
nicht paläft. Formen für ^.s-,v> bezw. ,_i£L.oiiß, fondern
einfache Schreib- oder Lefefehler, und dürfen bei Leibe
nicht mit ]ZaJ pro i^cmJ] in einen Topf geworfen
werden. Dafs aber Gwilliam unter den angeblich hierhergehörenden
Analogiebildungen auch
anführt, ift doch ein bischen zu ftark. Die Entlehnung
^cCüe paXXov ift, was Gw. entgangen ift, auch dem Edeff.
ganz geläufig (Payne Smith 2132 t.). U. f. w.

Aufser Betätigung von Bekanntem haben diefe Fragmente
auch das Lexikon unteres Dial. etwas erweitert.
Ich merke an: I Theff. 4, 6 mufs foviel wie edeff.

^Oic^ (,vorher etwas thun') fein. G. hat fich viel Mühe
um unfer Wort gegeben, aber die Sache ift vorläufig
nicht zu entfcheiden. Weiter j^», Nu. 5, 2. 4. sS.anoaxtX).io.
Eine Crux ilt wieder ^siz 2 Tim. 1, 10. Tit. 2, 7, obwohl
das Wörtchen auch an einer Stelle bei Land vorkommt.

Die Literaturangaben hat fich der Herausgeber fehr
angelegen fein laffen. Ich bin ihm ganz befonders
dankbar, dafs er mich auf eine Veröffentlichung aus
einem finaitifchen Codex aufmerkfam gemacht hat,
die z. B. fogar Nöldeke unbekannt geblieben warx).
Trotzdem kann ich ihm den Vorwurf nicht erfparen,
dafs er vor Bäumen den Wald nicht gefehen hat. Er citirt
S. 17,18 für diefenDial. ganz werthlofe Werke. Dagegen
ift ihm die hervorragendfteArbeit: Nöldeke, Beiträge zur
Kenntnifs der aram. Dialekte, II, über den chriftl. paläft.
Dialekt ZDMG XXII 443—527, entgangen, obwohl diefer
Auffatz in zwei Werken, die Gw. benutzt hat, an hervorragender
Stelle citirt wird.

Der Herausgeber hat auch auf die Differenzen zwi-
fchen den Lesarten des Textes diefer Fragmente und
des griech. geachtet. Aber das find Minutien. Der ungeheuere
Werth des chriftl. paläftinifchen Dialektes für die
neuteftamentliche Exegefe fcheint mir mit der niederen
Textkritik nicht erfchöpft zu fein. Die Sprache, der fich
der Stifter des Chriftenthums bediente, war natürlich
aramäifch. Unfer Dialekt fleht aber von der neuteft.
Zeit verhältnifsmäfsig nur wenig ab. Demnach find die
in diefem Dial. erhaltenen Ueberfetzungen der Evangelien
fozufagen eine Retroverfion. Die Vernachläffigung
diefes wichtigen Hülfsmittel für die Forfchung ift aber
durch nichts mehr zu rechtfertigen, feit wir durch
Lagarde [Bibliothecae Syriacae a Paulo de Lagarde col-
lectae quae ad philologiam sacram pertinent, Gottingae
1892) eine Ausgabe erhalten haben, die den höchften
Anforderungen an Genauigkeit gerecht wird, nicht nur
hinfichtlich des Confonantentextes, fondern auch des
eigenthümlichen Vocalismus. Nöldeke a. a. O. 443 A. 1
hat davor gewarnt, die hier gemeinte textkritifche Arbeit
zu leicht zu nehmen. In der That ift auch bis heute
kein Herausgeber noch Bearbeiter eines neuteftamentl.
Textes im Stand gewefen, diefe Arbeit zu leiften. Als
ich mein Idioticion des chriftl. paläftinifchen Aramäifch
fchrieb, das im November 1893 bei Ricker
(Reimer) in Giefsen erfchienen ift, hatte ich Wichtigeres
zu thun, als auf diefe Dinge zu achten. Um jedoch von
der Art, wie diefe fyrifchen Evangelien für die Textkritik
zu benutzen find, eine Vorftellung zu geben, fei es mir
geblattet, ein paar Proben von dem zu geben, was mir
gelegentlich aufgeftofsen ift.

Mc. 5, 29 fleht ttdaxi^ augenfeheinlich im Sinne von
,Plage', unter der fpeciell die ovoig aiuaxog v. 25 zu
verliehen ift. Diefes ift in unferem Dial. überfetzt durch
jicjl? "if-^i, jenes durch <rZf^a3. Es ift mir fo gut wie
gewifs, dafs die Lesarten /.idoxi^ und gvoig (a'iitaxog) auf
diefelbe aramäifche Vorlage zurückgehen, und dafs deshalb
v. 29 udaxit in ovesig herzuftellen ift.

1) J. Rendel Harris, Biblical fragments frem Mount Sinai. London
1890.

Luc. 15, 16. ßöeXvyiia ift in LXX das Aequivalent
des hebr. pfpttL Luc. 15 fleht es vxbrßXbv gegenüber.
Die Stärke des Ausdruckes mufs entfehieden auffallen.
Nun überfetzt unfer Dial. ßö. durch luns. Diefes
kann aber entweder = hebr. bOB Idol oder = targum
! blOB ,verwerfiich, fchlecht' fein.'"Was der Ueberfetzer
meinte, ift fchwer zu fagen. Aber dafs in dem aram.
■ Original die letztgenannte Auffaffung vorlag, fcheint mir
ziemlich gewifs zu fein.

Luc. 4, 23 ndvxiog ioeize 1101. Der Gebrauch von ndv-
xeog an diefer Stelle ift feltfam. Aber alle Erörterungen
in den Commentaren, Lexika, Grammatiken erledigen fich
j durch die fimple Beobachtung, dafs ndrxtog udoJ>is in
unferem Dial. ein ganz gewöhnliches Mittel zur Wiedergabe
des griech. Sei ift. — Doch ich kann das hier nicht
weiter ausführen und mufs auf mein eben citirtes Buch
verweifen. Ich wollte nur zeigen, dafs es fich hier um
mehr handelt als ein paar Vocabeln, die fich aus dem
j femitifchen Lexikon in den Jargon des N. T.'s verirrt
haben, zu identificiren, und dafs die philologifche Bearbeitung
derjenigen neuteftamentlichen Texte, die ur-
fprünglich aramäifch abgefafst oder gefprochen waren,
i nur von einem Semitiften gemacht werden kann.

Der Werth diefer Evangelienüberfetzung für die neuteftamentliche
Forfchung ift damit immer noch nicht
erfchöpft. Wenn diefe Verfion auch kein anderes Material
| bieten kann als das der Vorlage, fo zeichnet fie fich doch
I als Retroverfion dadurch aus, dafs fie die eigenthümliche
| femitifche, fpec. jüdifche Localfarbe mehr hervortreten
läfst. Denn wenn man auch mit einem gewiffen Rechte
I fagen kann, dafs die religiöfen Gedanken des Chriften-
I thums um fo vollkommener werden, je mehr fie jenes
I Colorit von fich abftreifen, die hiftorifche Forfchung nach
! der Entftehung des Chriftenthums mufs fich immer vor
I Augen halten, dafs Jefus ein Semit und ein Jude war.

Strafsburg i. E. S c h w a 11 y.

Texts and Studies. Contributions to biblical and patri-
stic literature, edited by J. Armitage Robinson, B.
D. Vol. II. No. 1. A study of codex Bezae. By J.
Rendel Harris, M. A. Cambridge, at the Univer-
sity Press, 1891. (VIII, 272 S. gr. 8.) 7s. 6d.

Eine neue Unterfuchung über den Codex Bezae —
leider ohne Rückficht auf die Abhandlung Credner's —,
ein Specimen vielfeitiger Erudition, frappirender Com-
bination, kühner conftruetiver Kritik und eines bewunderungswürdigen
Scharffinns; aber in den Hauptpunkten
mehr blendend als überzeugend, doch überall anregend
und im Einzelnen viel Belehrung bringend. Im Gegen-
fatz zu dem in der Textkritik gewifs übel angebrachten
Grundfatz yninima praetor non curat, fcheint der Ver-
faffer zeigen zu wollen, dafs erft aus dem Kleinften das
Licht hervorbricht. Die Hauptfache, welche der Ver-
faffer aus den minutiöfeften Beobachtungen zu erhärten
beftrebt ilt, lautet: der griechifche Text des Codex
Bezae ift durchweg nach dem lateinifchen corrigirt,
refp. ihm affimilirt; der lateinifche (lammt aus der erden
Hälfte des zweiten Jahrhunderts, zeigt, dafs er durch
Marcionitismus und Montanismus hindurchgegangen ift
und liegt der Evangelienharmonie des Tatian zu Grunde.
An diefem Ergebnifs ift foviel richtig, dafs der lateinifche
Text, wie er jetzt im Cod. Bezae vorliegt, fprachlich
betrachtet verfchiedene Schichten aufweift (hier hat
Harris vortreffliche Beobachtungen gemacht, die auch
für die Vorgefchichte der romanifchen Sprachen — nach
einigen Abzügen — in Betracht kommen), dafs der lateinifche
Text an einigen Stellen wahrfcheinlich auf die Faffung des
griechifchen eingewirkt hat (doch ift der umgekehrte Fall
damit nicht ausgefchloffen), und dafs er LAA aufweift,
die der Urgefchichte des Textes angehören. Letzteres