Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1894

Spalte:

70-72

Autor/Hrsg.:

Gwilliam, G. H.

Titel/Untertitel:

Anecdota Oxoniensia. The Palestinian version of the holy scriptures 1894

Rezensent:

Schwally, Friedrich

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

69

Theologifche Literaturzeitung. 1S94. Nr. 3.

Graetz' eigene Conjecturen zu verzeichnen. Graetz hat
freilich keine Vorftellung von der inneren Entwickelung
der Religion Israel's und kein ficheres Gefühl für das
gehabt, was im Althebräifchen grammatifch möglich ift.
Damit fehlen die Mafsftäbe methodifcher Kritik. Hieraus
erklärt fich, dafs er da gewöhnlich unglücklich operirt,
wo er das Gebiet der höheren Kritik betritt, fo wenn
er Jef. 2, 2 ff. = Mi. 4, i ff. hinter Hof. 2, 1 einfchalten
will, oder wo er Stellen behandelt, zu deren Beurtheilung
religionsgefchichtliche Gefichtspunkte helfen. So bemerkt
er zu Ez. 43,20 Pn^Dl LXX y.ai lripovxai, wo Merx die
mit dem maff. Texte abfichtlich vorgenommene Umge- j
ftaltung richtig erkannt hat: ,secunda persona rectius
quam tertia pers. plur. Sp. Nam primo expiationis die
Ezechiel fungatur, ut Moses functus est ante Aaron et
fiiios ejus consccratos. Scquentibus diebus fungantur sacer-
dotes1. Aehnlich beurtheilt fich, dafs er Hof 3,4 Drern D'H*«
ftatt tPfinp vorfchlägt, 6, 6 B'BHD zu a^Waverbeffert, die
Gl.2K0n.23, 7h benutzt, um in B^ban Am. 2, 8 einen femi-
tifchen unzüchtigen Gebrauch hineinzudeuten und Sach.
9, 13 für das unbezahlbare Tfi mit dem Muth der Verzweiflung
fTYna emendirt. Hiermit hängt es wohl auch
zufammen, dafs, foweit ich fehe, die zahlreichen Emenda- j
tionen, die fich in der Leidener Tijdsclirift und der |
ZATW finden, Graetz fo wenig eingeleuchtet haben, j
wie Ewald's Emendationen zu Sach. 6, Lagarde's Emen-
dationen zu den Pfalmen und anderes. Auch würde
feinere Empfindung für die Eigenthümlichkeit poetifchen
Sprachgebrauches und für die hebräifche Grammatik
von mancher Conjectur abgehalten haben, vgl. zum erften
Jef 5, 13 nb3 | nb3; v. 15 Barn? | BBTO; zum zweiten die
Unform ni'^Pit,'die Sach. 9/9 für den gut hebräifchen
generifchen Plural ni:'nX verlangt wird. Hat nun aber
auch Graetz philologifche Schulung im ftrengeren Sinne
gefehlt, fo ift er doch ein fehr beweglicher Kopf ge- j
wefen, dem bei feiner lebhaften Phantafie allerhand ein- :
gefallen ift und darunter auch manches gute oder doch
wohl zu überlegende. Defshalb ift diefe Veröffentlichung !
mit Dank zu begrüfsen und zu wünfchen, dafs fie
regelmäfsig bei altteft. Arbeiten zu Rathe gezogen
werden möge. Man wird manches finden, was zu erwägen
lohnt. Ich nenne z. B. Jef 8, 8 -QJ>* ifu©, wodurch
eine grammatifche Schwierigkeit befeitigf wird, die feine
Emendation i*ttn ft. 131 Hof. 8, 12, den fcharffinnigen Vor-
fchlag, Am. 6, 13 "Dl 8b und B'BTp als Ortsnamen zu
faffen. Bacher hat augenfcheinlieh das hinterlaffene Ma-
nufcript treu und forgfältig zum Drucke gebracht, wie J
es war: Conjecturen nebft eingeltreuten, manchmal recht |
fragwürdigen exegetifchen und kritifchen Bemerkungen j
und dies alles in einem Latein, welches gleichfalls manchmal
fragwürdig ift. Es war das Richtige, denn es ent-
fprach der Pietät. Doch hätten wohl offenbare Irrthümer
wie das ,consensu omnium' zu Hof. 2, 1 kurzer Hand
befeitigt werden können.

Giefsen. Bernhard Stade.

Jäger, Pfr. Gfr., Gedanken und Bemerkungen zur Apostelgeschichte
. 2. Hft. Zu Kap. 13—19. Leipzig, Dörffling
& Franke, 1893. (50 S. gr. 8.) M. 1. —

Immerhin liefert diefes zweite Heft etwas mehr Ausbeute
, als das erfte (vgl. Th. Litztg. 1891, Nr. 2. Sp. 32).
Die Erwähnung des Sergius Paulus kann wenigftens die
Gelegenheitsurfache dazu geboten haben, auch den
Apoftel jetzt mit dem Namen, welchen er ohnedies im
Bericht über die Heidenmiffion führen mufste, zu nennen
(S. 3 f.). Die Thore 14, 13 find dem Zufammenhang zufolge
als Stadtthore zu nehmen (S. 11 f.). Das Apoftel-
decret betreffend hält fich der Verf. im Ganzen an
Kloftermann, lehnt aber doch deffen beantragte Streichung
von nie ovde Gal. 2,5 .vorläufig noch ab' (S. 16), wie er
fich auch nicht entfchliefsen kann, Apg. 15, 20 /.ort tov

nvixToi xai tov aiiiaxoq kurzweg für Interpolation zu erklären
(S. 17 f.). An die 17, 10—12 erwähnte Chriftenheit
in Beröa foll 1 Theffi 5, 26. 27 gedacht fein (S. 25 f.). Das
civaßäq 18, 22 foll vom Hinaufgehen nach der mehr als
hundert Fufs über dem Meer gelegenen Stadt Cäfarea
verftanden werden, die betreffende Reife nach Jerufalem
alfo auch exegetifch wegfallen (S. 32 f.). Dem ovveßißaoav
19, 33 entlockt der Verfaffer die Ausfage, man habe den
Alexander herbeigefchleppt (S. 50). So bewegen fich
feine Meinungen überhaupt auf der Scala zwifchen Wahr-
fcheinlichem und Unwahrfcheinlichem, jaUnmöglichemauf
und nieder, weil es an eigentlicher Methode der Unter-
fuchung gebricht; wogegen bald mehr bald weniger deutlich
gewiffe dogmatifche Intereffen einwirken, zumal am
Nachweis der Kindertaufe 16, 31—33 (S. 23 f.), an der
Gefchichtlichkeit des trinitarifchen Taufbefehls 19, 3
(S. 37 f.) und überhaupt am trinitarifchen Schema, ohne
welches er felbft mit Stellen wie 13, 2. 17 f. nicht fertig
wird (S. 38).

Strafsburg i. E. H. Holtzmann.

GWilliam. G. 1 f, B. 1)., Anecdoia Oxoniensia. The Palestinian
Version of the holy scriptures. Five more fragments,
recently acquired by the Bodleian library. Edited
with introduction and annotations. Oxford, Clarendon
Press, 1893. (XLI, 23 S. gr. 4. m. 3 Lichtdr.-Taf.) 6 s.

Von England, dem gelobten Lande der fyrifchen
Handfchriften, find wir fchon wieder mit einer werthvollen
Gabe befchenkt worden, fo klein an Umfang diefelbe
auch ift. Es find im Ganzen fünf Pergamentblätter, vier
in der Gröfse von I2x8'(2 inches, eines 58/4x7 inches.
Diefelben repräfentiren fich als Fetzen einer Mifchna-
handfchrift, deren prächtiger Ductus von Neubauer mit
Recht in den Anfang des 12. Jahrh.'s gefetzt wird. Die
Blätter enthalten aber noch etwas unvergleichlich Werthvolleres
. Sie find nämlich Palimpfefte, und bei genauerem
Zufehen ergab fich, dafs unter der jüdifchen Hülle fyrilche
Bibelfragmente verborgen waren, die nach Ductus und
Sprache dem chriftl.-paläftin. Aramäifch angehören. Diefe
enthalten Numeri 4, 46. 47. 49—5, 2. 3, 4. 6, 8. Col. 4,
12—18. I Theffi 1, 1—3. 4, 3—15. II Tim. 1, 10—2, 7.
Tit. 1, 11—2, 8.

Die Entzifferung der Palimpfefte — nur das eine
oben erwähnte kleine Blatt ift halb Palimpfeft — macht
dem Herausgeber alle Ehre, foweit die drei gegebenen
Facfimile mir eine Controle ermöglichten. Nachdem der
Text feftgeftellt und die Vorlage ermittelt, waren im
Wefentlichen keine philologifchen Schwierigkeiten mehr
vorhanden, da die Sprache uns bereits aus dem von
Miniscalchi 1861—64 und neuerdings von Lagarde 1892
edirten Evangelienlectionar und den im vierten Bande
von Land's Anecdota gedruckten Fragmenten hinreichend
bekannt war. Wenn ich auch mit dem Herausgeber
über die Weitfchweifigkeit feiner Commentirung nicht
ftreiten will, fo mufs ich doch einige merkwürdige Ver-
fehen, die ihm paffirt find, zurecht ftellen.

Nu. 4, 46 (Leviten) lieft Gwilliam ,Livije und

Lsdi. der Pefhita L vijei. Aber die Hdff bieten nur
= Icväje. Und von diefer Ausfprache abzugehen,
ift auch in unferem Dial. kein Grund vorhanden. Das
Jod der erften Silbe ift nur graphifche Darftellung des
Vocalanftofses, eine Schreibergewohnheit, die gerade zu
den charakteriftifchften Eigenthümlichkeiten der in diefem
paläftinifchen Idiom gefchriebenen Codd. gehört. Umgekehrt
liegt in Um3 Nu. 4, 47 gegenüber Pefh. jl^oa,
in w*.^ gegenüber Pefh. — -.», in lka» gegenüber Pefh.
L-ao«. Defectivfchreibung vor imGegenfatz zumEdeffe-
nifchen, aber nicht eine andere fprachliche Form,