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Ausgabe:

1894

Spalte:

57-58

Autor/Hrsg.:

Dalmann, Gustaf H.

Titel/Untertitel:

Kurzgefasstes Handbuch der Mission unter Israel 1894

Rezensent:

Kühn, Bernhard

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man auch nicht mit einer ausführlichen Gefchichte des
Katholicismus von Clemens L an, obwohl der Proteftan-
tismus inniger mit dem Katholicismus zufammenhänge,
als das Chriftenthum mit dem Judenthum. Der chriftliche
Religionsunterricht folle alfo ausfchliefslich chriftliche
Stoffe verwenden und andere nur herbeiziehen, foweit fie
zum Verftändnifs diefer unbedingt nöthig find.,In der(chrift-
lichen) Volksfchule foll nur Chriftus getrieben werden
und nichts als die äufsere und innere Gefchichte folcher
Menfchen, die ihm nahe ftanden und wirklich feine
Jünger waren'. Diefer gefchichtliche Unterricht, der in
die Perfon Chrifti und ausgezeichneter Chriften einführt,
foll dauern bis in die oberften Gaffen der Schule, ohne
durch einen fyftematifchen Unterricht unterbrochen zu
werden. Flrft im letzten oder in den beiden letzten
Schuljahren foll das Syftem für fich getrieben werden,
,eine zu einem Ganzen fich ordnende Ueberficht in kurzen
markigen Sätzen', die an den Begriff des Reiches Gottes
anzufchliefsen ift.

Das find im wefentlichen die Gedanken und Vor-
fchläge des Verfaffers. Ich kann feinen Ausheilungen
an der herfchenden Praxis des Religionsunterrichts, be-
fonders des Unterrichts in der biblifchen Gefchichte, die
Berechtigung nicht abfprechen, wenn ich mir fie auch
nicht in vollem Umfang anzueignen vermag. Auch ich
bin der Meinung, dafs in den Lehrplänen das alte Tefta-
ment vielfach einen zu breiten Raum einnimmt, und dafs
damit mancherlei Gefahren und Uebelftände verknüpft
find. Würde man freilich unbefangen die altteftament-
liche Offenbarungsftufe als eine niedrigere anerkennen
und demgemäfs behandeln, fo wäre der Schaden nicht
fo grofs. Aber das gefchieht in der Regel nicht. Die
altteftamentlichen Frommen werden zu chriftlichen Helden
hinaufgefchraubt, ihre Schwächen befchönigt und
ihre niedrigere fittliche oder religiöfe Anfchauungsweife
als normal oder gar normativ behandelt, ganz im Gegen-
fatz zu Luc. 9, 55. Dadurch kommt man nicht nur in
ein unwahrhaftiges Wefen hinein, fondern es wird auch
das fittliche Urtheil der Kinder vielfach verwirrt und die
Bildung einer reinen und tiefen, wirklich chriftlichen
hrkenntnifs gehindert. Es würde alfo in der That, foweit
wir über das neue Teftament hinausgehen, die Vorführung
edler Perfönlichkeiten aus der Kirchengefchichte,
in denen Chriftus eine Geftalt gewonnen, in mancher
Hinficht werthvoller und förderlicher fein, als die Vertiefung
in den Lebensgang der Frommen Israels.

Die Ausführungen des Verfaffers würden an Kraft
gewonnen haben, wenn er feine Schrift etwas weniger
breit angelegt hätte. Er ift aufserordentlich belefen, aber
er macht von diefer Belefenheit einen gar zu reichlichen
Gebrauch. Das Buch wimmelt von Citaten, die
zuweilen ganze Seiten einnehmen. Das mag ja oft ganz
intereffant fein, aber es erweckt doch zu fehr den Eindruck
einer Excerptenfammlung, die nicht hinreichend
verarbeitet ift.

Augsburg. J. Hans.

1. Dalman, Privatdoz. Lic. Dr. Guftaf H., Kurzgefasstes
Handbuch der Mission unter Israel. Mit Beiträgen von
PP. P. E. Gottheil u. R. Bieling. [Schriften d. Insti-
tutum judaicum in Berlin, Nr. 18.] Berlin, Reuther &
Reichard, 1893. (IV, 141 S. gr. 8.) M. 2. 40.

2. Roi, Paft. Lic. J. F. A. de le, Die Mission der evangelischen
Kirche an Israel. [Zimmer's Handbibliothek der
prakt. Theologie, Bd. XVI, b.) Gotha, F. A. Perthes,
1893. (VII, 147 S- gr. 8.) M. 2. 40.

Die beiden Schriften der beiden wohlbewanderten
Sachkenner auf dem Gebiete der Miffion an Israel laffen
lieh wie zwei Theile betrachten, die ein Ganzes bilden,
ohne dafs irgend welche Ablicht der Verfaffer in diefer
Beziehung obgewaltet hat. Beide erfcheinen gleichzeitig,

beide beruhen auf der Erkenntnifs, dafs die Judenmiffion
eine Angelegenheit ift, welche fowohl durch das Gewicht
ihrer eignen wachfenden Bedeutung, als auch durch die
Gunft eigenthümlicher Zeitverhältnifse in den Vordergrund
des allgemeinen Intereffes getreten ift; und beide
ergänzen fich gegenfeitig wie auf Verabredung. Von dem
Buche des Paflors de le Roi könnte allerdings ein unhöflicher
Recenfent urtheilen, es fei nichts weiter als ein
Auszug aus feinem grofsen dreibändigen Werke, deffen
Verdienfte wir feiner Zeit gewürdigt haben (Lit.-Ztg. Nr. 23
v. 1892). Hat er dort eine Gefchichte der Judenmiffion in der
denkbarften Ausführlichkeit gegeben, fo erfcheint nun
hier das unerläfslich Nothwendige für den, der nach
einer mäfsig bemeffenen Bekanntfchaft mit der Sache
begehrt, und fo fragt es fich blofs, wie der Auszug ge-
rathen ift, um jener Kennzeichnung feiner Arbeit jede
Spur eines tadelnden Beigefchmackes zu nehmen. Wir
finden, dafs der Stoff überfichtlich geordnet, klar und
knapp dargeftellt und auf feine gröfsere oder geringere
Bedeutung mit Sachkenntnifs abgefchätzt ift. Hätte nun
auch diefes Buch ein entfprechend ebenfo genaues und
zuverläffiges Regifter, wie jenes grofse Werk, fo würde
es in jeder Beziehung ausreichend fein für Jeden, der
fich um die grofsen Hauptfachen zu kümmern hat in
der Gefchichte jener chriftlichen Liebesarbeit. Denn nur
um ihre Gefchichte handelt es fich hier, wenngleich
deren kritifche Darfteilung die Hervorhebung manches
Gefichtspunkr.es fyftematifcher Art nicht aus- fondern
einfchliefst. Neben diefe beinahe nur hiftorifche Arbeit
tritt nun die Dalman'fche, welche wir am Kürzeften bezeichnen
können als ein Lehrbuch für gegenwärtige und
zukünftige Judenmiffionare. Deshalb finden wir hier eine
kurze, aber klare und ausreichende Statiftik über die
Verbreitung der Juden und eine Schilderung der Unter-
fchiede in der religiöfen Auffaffung bei den verfchiedenen
Stämmen und Parteien des Volkes, während das kurze
gefchichtliche Capitel nur das Allerunentbehrlichfte fagt
über das, was bisher gefchehen ift. Allerdings ergänzt
fich diefer Abfchnitt durch ein fpäteres Capitel, welches
.Statiftik der Judenmiffion' betitelt ift und hauptfächlich
den gegenwärtigen Stand der verfchiedenen Miffions-
gefellfchaften natürlich mit Benutzung jenes gröfseren
de le Roi'fchen Werkes feftllellt, dabei aber felbftver-
ftändlich allerlei gefchichtliche Rückblicke veranlafst.
Mit eingehender Berückfichtigung aller beftehenden An-
fchauungen entwickelt das Hauptcapitel des Werkes die
Theorie und Praxis der Judenmiffion. Hier wird überall
die Grundlage gewonnen für die Regeln, nach denen das
Gefammtwerk betrieben werden foll in Bezug auf Gewinnung
und Ausbildung der Miflionare wie auf Heranziehung
und allfeitige Behandlung der zu Bekehrenden.
Die Darfteilung der Arbeit an den Einzelnen, deren
Nothwendigkeit Dalman durchaus fefthält, hat er zwei
Mitarbeitern überlaffen, zunächft für den Zufammenhang
des Ganzen dem Paftor Gottheil in Stuttgart, welcher
aus einer Erinnerung von über vierzig Jahren gefegneter
Arbeit feine bewährte Praxis befchreibt. Da fich jedoch
herausftellte, dafs er in Bezug auf Umfang und Darbietung
des religiöfen Lehrftoffes im Unterricht nicht
ausführlich genug gewefen ift und aufserdem für feine
Methode eine fo reichlich bemeffene Zeit vorausfetzt,
wie fie feiten gegeben ift, fo hat der Verfaffer als Nachtrag
noch einen Auffatz des Paftor Bieling in Berlin
herangezogen, welcher jene Lücken ausfüllen foll. Den
Schlufs des eigentlichen Handbuches macht ein Ver-
zeichnifs der wichtigften Bücher und Schriften über Judenmiffion
und Judenthum, von denen die bedeutendften fich
in de le Roi's gefchichtlicherUeberficht an der betreffenden
Stelle auch finden; aber die chronologifche Zufammen-
ftellung nach den einzelnen Fächern (Theorie, Gefchichte,
Praxis der Judenmiffion; Gefchichte, Lehre, Cultus, Apologetik
und Polemik der Juden) ift fehr dankenswerth.
Dresden. Dr. phil. B. Kühn.