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Ausgabe:

1894 Nr. 2

Spalte:

56-57

Titel/Untertitel:

Das Judenchristentum, in der religiösen Volkserziehung des deutschen Protestantismus von einem christlichen Theologen 1894

Rezensent:

Hans, Julius

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Theologifche Literaturzeitung. 1894. Nr. 2.

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funden. Noch 1807 fcheiterte der Verfuch, in St. An-
rew's Church in Glasgow den Gemeindegefang durch
Orgelfpiel begleiten zu laffen, an einem entfchiedenen ;
Verbot der Kirchenbehörden. Aber 1866 verftand fich
die General Assembly der Staatskirche wenigftens zu der
Erklärung, dafs folche Neuerungen nicht gänzlich unftatt-
haft feien, und dafs es den Presbyterien überlaffen
bleibe, fie unter Umftänden gutzuheifsen oder zu dulden.
Und in den andern presbyterianifchen Kirchen fchlofs man ;
fich diefer Auffaffung an. Doch verurfachte die Ange- 1
legenheit vor der Generalfynode der Free Church (1883) I
eine zwölfftündige Debatte, und nur gegen eine grofse
Minorität kam der Befchlufs zu Stande, dafs weder in j
dem Worte Gottes, noch in der Verfaffung oder den 1
Gefetzen der Kirche eine Beftimmung enthalten fei, die !
die Anwendung der Inftrumentalmufik im Gottesdienft
zur Unterftützung des Gemeindegefangs ausfchliefse.

Ein anderes Princip, auf das der Verfaffer immer
wieder hinweift, und das gleichfalls im Ganzen der Entwicklung
in der That, häufig und ftark hervortritt, ift
das der Freiheit den liturgifchen Formen und Formularen j
gegenüber, das Recht des Geiftlichen, fie nicht als
bindende Feffeln, fondern nur als Mufter und Hilfsmittel
anzufehen, die ihn lehren, was dem Geift feiner Kirche
gemäfs ift. Der Verfaffer fucht dies als die Tendenz der
aufgeftellten Gottesdienftordnungen felbft nachzuweifen
und ift der Meinung, dafs der Name ,Direcfory' für die
jetzt noch in Geltung befindliche abfichtlich gewählt fei,
um diefe Tendenz fchon im Titel zum Ausdruck zu
bringen. Die Abneigung gegen ,set fonns'- und insbefon-
dere gegen gedruckte und abgelefene Gebete hat fich
denn auch in der fchottifchen Kirche von jeher fehr
ftark gezeigt. Selbft der Gebrauch des Vaterunfers
wurde deshalb von vielen beanftandet; die drei Schädlichen
Ceremonien', gegen die im J. 1643 fieben Geift-
liche aus dem Südweften Schottlands ein heftiges
Pamphlet richteten, waren nach ihnen: Paternoster, Gloria
patri und das Knien auf der Kanzel, doch ift man von
folchen Uebertreibungen natürlich zurückgekommen.
Ueberhaupt hat fich auch in diefem Punkte die Schroffheit
des Standpunktes etwas abgemildert, und man
fcheint bei aller Entfchiedenheit, mit der man am Princip
der Freiheit fefthält, doch etwas mehr Verftändnifs
und Sympathie gewonnen zu haben für flehende litur-
gifche Formen. Wenigftens wurde es bei den Verhandlungen
einer jüngft in der Free Church zur Förderung
des gottesdienftlichen Lebens gegründeten Gefellfchaft
zu den erftrebenswerthen Punkten gerechnet, dafs das
Vaterunfer von der Gemeinde laut gebetet, auch die
übrigen Gebete durch Amen feitens der Gemeinde ge-
fchloffen und letztere aufserdem noch durch andere
,responses' unmittelbarer am Gottesdienft betheiligt werde.
Es ift beachtenswerth, dafs die Einrichtung der Refpon-
forien, gegen die auf reformirter Seite meift eine fo
ftarke Abneigung beftand, neuerdings auch in der
reformirten Kirche Frankreichs eingeführt worden ift,
ein Zeichen, dafs das Bedürfnifs nach der fich darin
vollziehenden Selbftthätigkeit der Gemeinde ein tief-
gewurzeltes und weithin verbreitetes ift.

Zum Schluffe fei nur noch hervorgehoben, dafs fich !
das Werk des Verfaffers durch eine anerkennenswerthe
Unbefangenheit und Objectivität auszeichnet. Wenn er
in der Vorrede erklärt, es habe ihm weder ein dogma-
tifches, noch ein polemifches Intereffe die Feder geführt
, fo mufs man zugeben, dafs das durch den In- |
halt des Buches beftätigt wird. Man hat den Eindruck, !
dafs es ihm lediglich darum zu thun ift, den hiftorifchen
Thatbeftand feftzuftellen. Es ift dies um fo anerkennens-
werther, als gerade jetzt die liturgifchen Fragen auch in
Schottland wieder mehr auf die Tagesordnung kommen
und die Gemüther ftärker erregen zu wollen fcheinen. I
Es haben fich verfchiedene Gefellfchaften gebildet, die
eine Fortbildung oder Reform der beftehenden Cultus- j

einrichtungen anftreben. In folchen Fällen ift die Ver-
fuchung vorhanden, auch die gefchichtliche Darfteilung
als Mittel zum Zweck zu benützen und fie feiner
Meinung oder Partei zu liebe ein wenig zu modeln oder
zu färben. So viel ich urtheilen kann, hat M'Crie diefer
Verfuchung widerftanden, und man darf ihm als einem
vertrauenswürdigen Führer folgen.

Augsburg. J. Hans.

Fricke, J. H. Alb., Handbuch des Katechismus-Unterrichts

nach D. M. Luthers Katechismus; zugleich Buch der
Beifpiele. Für Lehrer und Prediger bearb. 2. Bd.
Das 2. Hauptftück. 2. verb. Aufl. Hannover, C. Meyer,
1893. (IX, 346 S. gr. 8.) M. 4. -

Die vorliegende Katechismuserklärung geht ganz
in den traditionellen Bahnen einher, ohne fich gerade
in der Syftematifirung und Anordnung des Stoffes vor-
theilhaft auszuzeichnen. Der II. Artikel z. B. wird nach
folgendem Schema behandelt: A. Wer ift mein Herr?
a) Name meines Erlöfers. b) Wefen desfelben. B. Wodurch
ift er mein Herr geworden? a) Nach dem Artikel:
er hat fein ganzes Leben für mich gegeben, a) Was er
im Stande der Erniedrigung für mich gethan hat. ß) Sein
Wirken im Stande der Erhöhung, b) Nach der Auslegung
: er hat mich verlornen und verdammten
Menfchen erlöft, erworben, gewonnen, et) Wovon,
ß) Wodurch, y) Wozu er mich erlöft hat. Dazu kommt
dann in der Ausführung noch eine Reihe von andern
Unterabtheilungen, gegen die fich gleichfalls mancher
Einwand erheben liefse.

Soweit das Werk überhaupt einen Vorzug befitzt,
wird er durch den Nebentitel ,Buch der Beifpiele' angedeutet
. Zu allen Abfchnitten werden zahlreiche beifpiele
' beigebracht; durch kurze Erzählungen aus der
Bibel, der Weltgefchichte und dem täglichen Leben,
durch Sprichwörter, Liederverfe und dgl. wird der Lehrgehalt
des Katechismus anfehaulich und lebendig zu
machen gefucht. Zwar ift der zu diefem Zweck gefam-
melte Stoff nicht durchweg verwerthbar, aber vieles Gute
und Brauchbare findet fich doch darunter.

Augsburg. J. Hans.

Das Judenchristentum, in der religiösen Volkserziehung des
deutschen Protestantismus von einem chriftlichen Theologen
. Leipzig, Grunow, 1893. (VII, 182 S. gr. 8.)
M. 2. -

Der ungenannte Verfaffer des vorliegenden Buches
macht für den Niedergang des religiöfen Lebens, der
fich feit geraumer Zeit unter uns bemerkbar mache,
hauptfächlich die .übliche religiöfe Erziehung innerhalb
des deutfehen Proteftantismus' verantwortlich. Und als
Hauptfehler diefer Erziehung erfcheint ihm der ftarke
Gebrauch, der im Religionsunterricht vom alten Tefta-
ment gemacht wird. Wenn es doch offenbar die Aufgabe
der chriftlichen Erziehung fei, chriftliche Charaktere
zu bilden, fo fei es gewifs ungeeignet, hiezu die
Urkunden der jüdifchen Religion in breitem Umfang
zu verwenden. Denn möge immerhin das alte Teftament
eine Vorbereitungsftufe für das neue bilden, fo ftehe es
doch zweifellos, eben als folche, niedriger, als diefes.
Das notorifch Unvollkommene aber habe keinen An-
fpruch auf auch nur annähernd fo ausgedehnte Behandlung
wie das Vollkommene. Die Kinder brauchten
nicht erft vorbereitet zu werden auf das Chriftenthum;
man folle fie fofort zu Chriften machen, nicht erft zu
Juden. Das verwirre fie blofs und hindere die Bildung
eines einheitlichen chriftlichen Gefühls- und Gedanken-
kreifes. Wolle man Proteftanten bilden, rechte, überzeugungstreue
und thatkräftige Proteftanten, fo beginne