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Ausgabe:

1894 Nr. 2

Spalte:

48-51

Autor/Hrsg.:

Fairbairn, A. M.

Titel/Untertitel:

The place of Christ in modern theology 1894

Rezensent:

Clemen, Carl

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Theologifche Literaturzeitung. 1894. Nr. 2.

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nicht erkennen läfst, nur aus Gräflichen Leidenfchaften
hervorgegangen fein kann. Eine Fülle von kleinen, wie
im Vorübergehen eingeftreuten, Bemerkungen führt den

Quellen, zu überrafchend richtigen Refultaten gebracht,
dürfte heute auch proteftantifchen Forfchern zur. Be-
fchämung dienen. Und wenn er den Proteflantismus,

Lefer der Histoire immer wieder auf diefen Grundge- ! wie er fleh uns in Luther darfteilt, nicht verftehen
danken zurück. Aber nicht nur, dafs er dadurch ge- konnte, weil derfelbe das religiöfe Problem in einer
nöthigt wird, auch fonft zwifchen den Zeilen zu lefen, 1 Weife auffafste, die dem katholifchen Bifchof gänzlich

die Tendenz, diefen Nachweis zu führen, bedingt auch
direct die Benutzung der Quellen und die Auswahl der
dargeftellten Thatfachen. So unfchuldig, wie Reb. will,
werden die häufigen Citate aus Erasmus dem nicht er-
fcheinen, der den Reformationsbegriff Boffuet's mit dem-

fern lag, fo fleht es ganz anders fchon um Melanchthon
und Calvin, vollends aber um den Proteflantismus feiner
Zeit. Und trotz der wunderlichen Gefammtauffaffung
Reb.'s werden die Partien feines Buches, welche die
faft auffallend nahe Verwandtfchaft der beiden Con-

jenigen des grofsen Humaniften vergleicht. Und wiffen feffionen behandeln, zu den inflructivflen zählen. Die
wir nicht durch Döllinger, wie willkommen unter diefem i Frage drängt fich unwillkürlich auf: wie hätte Boffuet
Gefichtspunkt die Selbftbekenntnifse der Reformatoren i von feiner Frageftellung aus über Spener's Reforme apres
find? Es ift nur überrafchend, dafs die leidenfchaftlichen ] la Reforme geurtheilt?

Ergüffe Luther's in diefer Hinficht, fo weit ich1 fehe, von ; Rumpenheim. S. Eck.

Boffuet ubergangen lind. Aber vielleicht ift das mit
Abficht gefchehen.Denn allerdings diefeSelbftdemüthigung
würde fchlecht zu dem paffen, was Boffuet als das Be-
zeichnendfte am Charakter des Reformators hervorhebt,
zu feiner unerträglichen Herrfchfucht. Hat doch, um nur
ein Beifpiel anzuführen, Luther fich nur darum den Wittenberger
Schwärmern entgegengeworfen, weil fie ohne feine

Fairbairn A. M., The place of Christ in modern theology.

London, Hodder, 1893. (566 S. 8.) 12.—

Das vorliegende Werk des Principals von Mansfield
College in Oxford und gegenwärtig eines der angefeh-
enften Gelehrten unter den englifchen Diffentern, ift wohl
ausdrückliche Autorifirung gehandelt hatten (II, 8). Und 1 aus feinen Vorlefungen bei dem vorjährigen theologi-
wie jene Tendenz Citate kürzt, zeigt der Bericht über fchen Feriencurfus an der genannten Univerfität her-
de /wert, christ. {/b.c. Ii). Warum ift da bei Boffuet der [ vorgegangen und gehört jedenfalls einer Strömung an,
zweite von Luther's paradoxen Sätzen unterfchlagen ? 1 die namentlich in den letzten Jahren auch jenfeits des
Und warum hat Reb. bei der Frage der Bauernkriege ! Kanals immer weitere Kreife ergreift und die Theologie
feine fonft fo peinliche Genauigkeit aufser Acht gelaffen | chriftocentrifch neueonftruiren will. Darin vereinigen
und feinen Lefern von der Vorgefchichte diefer Auf- j fich Presbyterianer wie A. Bruce und M. Dods, Me-
ftände gefchwiegen? (S. 454 Anm.). Reb. giebt fich viel thodiften wie M. P. Davifon und H. P. Hughes, Bap-
Mühe, aus der zeitgefchichtlichen Literatur nachzuweifen, ' tiften wie J. Clif ford und Congregationaliften wie Dr.
warum fich Boffuet fo ausführlich bei der Doppelehe Dale mit den hochkirchlichen Anglikanern, die fich
des Landgrafen, bei Luther's liumeur orgueilleuse domina- in Lux Mundi ein Glaubensbekenntnifs gefchaffen haben.
trice et colere aufhält. Diefe Nachweife find fo minutiös I Und zugleich wird dabei das Interefle an diefer ,Chri-
und inftruetiv wie möglich. Und dennoch, wer fleht I ftologifation' der Theologie deutlicher, als fonft vielfach,
nicht, dafs diefe breiten Ausführungen im genaueften j Jefus Chriftus ift eben die letzte Auctorität, an die man
Verhältnifs flehen zu der ausgefprochenen Tendenz des | fich anklammert, nachdem die der Kirche und Schrift
Katholiken. Voila comme Luther a traite le Chapitre de in die Brüche gegangen zu fein fcheint. Dafs man fie
la reformation du mariage! (VI, 11). Und durch die nicht erft eigentlich beweifen zu müffen glaubt, ift ja
Deutung, die Reb. der Ausführlichkeit Boffuet's an diefem ; auch verftändlich genug: wollte man fie anzweifeln, fo
Punkte giebt, wird die Sache um nichts beffer. Die fürchtet man allen Grund unter den Füfsen zu verPreisgabe
der Kirche an die Fürften wird hier befiegelt j lieren, ja wohl gar auf den Namen eines Chriften ver-
d. h. die Preisgabe an die Welt. Und was Luther an- j ziehten zu müffen. Und doch find das für den out-sider
langt, fo hätte Reb. wohl beachten dürfen, was diefer
,Stolz' im Munde des Theologen Boffuet bedeutet. Er
hätte das am beften erfahren können, wenn er auch in
des fanften Melanchthon Seele diefe felbe Leidenfchaft,

noch keine Beweife; geht man gleichwohl von der Auctorität
Chrifti ohne weiteres aus, fo ift das eine fehlerhafte
petitio prineipii. Und an diefer methodologifchen Unklarheit
leiden nun gleicherweife die beiden innerhalb
nur tiefer verborgen, beachtet hätte (V, 32). Eine Ge- I der letzten zwölf Monate erfchienenen Werke, die jene
fehichtsfehreibung, die nicht das geringfte Verftändnifs Umgeftaltung der Dogmatik verfuchen und dadurch die

dafür zeigt, was eine Reformation, zunächft nicht der
Sitten noch der Dogmen, fondern der Religion felbft ift,
rückt nothwendig hier Alles in ein fchiefes Licht.

Damit ift nicht gefagt, dafs dies Urtheil Boffuet
allen Ruhm als Hiftoriker nehmen foll. Nicht nur für

Verbreitung diefer Gedanken bezeugen: Beet, Trough
Christ to God und Fairbairn, The Place of Christ in
Modem Theology, mit dem wir es hier zu thun haben.
Es liegt mir davon die erfte Auflage vor, obwohl feit-
dem fchon zwei weitere erfchienen find, die aber natür-

eine Fülle von Einzelheiten wird ihm diefer von Reb. lieh keine grofsen fachlichen Aenderungen bieten
mit Recht zugefprochen worden fein. Er lebte nicht I Das Buch zerfällt nach einer Einleitung, die an dem

umfonft im Zeitalter der Mauriner. Aber ich meine, dafs
man das noch viel allgemeiner wird anerkennen können.
Und man wird auch die Grenze angeben können, bis zu
welcher das der Fall ift. Gerade das, was Reb. von
feiner Unterfuchung ausgefchloffeh hat, wird den Mafs-
ftab für Boffuet's Verftändnifs der Gefchichte, und dann
auch für feine Fähigkeit, fie darzuftellen, bilden: die
Theologie des Bifchofs, feine Auffaffung vom Wefen der
Religion, fpeciell feine Anficht von Reformation der Kirche.

Beftand einer theologifchen Durchfchnittsbibliothek vor
fünfzig Jahren und heute zeigt, wie feitdem die Rückkehr
zu Chriftus erfolgt ift, in zwei Theile, einen hiftorifch-
kritifchen und theologifch-conftruetiven. Der erftere, der
hier entfehieden einen viel zu grofsen Raum einnimmt, giebt
zunächft in den Kategorien des modernen Evolutionismus
einen Ueberblick über die dogmengefchichtliche
Entwicklung, der mir ungemein lefenswerth erfcheint,
obgleich er nicht viel Neues bietet. An der daran an-

Soweit diefe in der wirklichen Gefchichte reicht, fo weit j fchliefsenden Gefchichte der hiftorifchen Kritik, die der
auch wird Boffuet's Verftändnifs derfelben reichen. Das : Verf. mit Leffing beginnen läfst, fällt gegenüber der
gilt in erfter Linie von feinem Urtheil über die foge- Anerkennung, die der Hegel'fchen Philofophie und der
nannten Vorreformatoren und ganz befonders von feiner | Tübinger Schule gezollt wird, die vollftändige Ver-
Auffaffung des Wefens der Waldenfer. Dafs er hier i urtheilung von Straufs auf, der doch nicht blofs durch
einen ganz ungewöhnlichen gefchichtlichen Scharfblick feinen Mifserfolg Bedeutung für die Theologie hatte,
bewiefen und es, zumal bei dem damaligen Stande der | fondern mindeftens auch durch feine Polemik gegen