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Ausgabe:

1894 Nr. 2

Spalte:

649-650

Titel/Untertitel:

Annales du Musée Guimet. Tomes XXII et XXIV 1894

Rezensent:

Oldenberg, Hermann

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653

Theologifche Literaturzeitung. 1894. Nr. 26.

Zimmer, Friedr., Der Text der Thessalonicherbriefe, famt
textkritifchem Apparat und Kommentar, nebd einer
Unterfuchung der Individualität und der Verwandt-
fchaft der Textzeugen der paulinifchen Briefe. Quedlinburg
, Vieweg, 1893. (80 u. IV S. gr. 8.) M. 2. —

Zimmer's Arbeit zerfällt in zwei Theile: 1) eine ausführliche
textkritifche Einleitung, in der er nicht nur die
Varianten zu Theffal., fondern auch zu Rö. Ga. Eph. Hb.
behandelt. 2) Text der Theffalonicherbriefe mit kritifchem
Apparat und Anmerkungen. In meiner Befprechung
befchränke ich mich wefentlich auf den erften Theil.

Methodifch richtig geht Z. von einer Unterfuchung
der einzelnen Hndfchrn. und ihrer fpeciellen Eigenthüm- j
lichkeiten (Sonderlesarten) aus. Befonders intereffant ift
hier die Beurtheilung des Codex B. Nach Z. hat gerade
B von allen Codices am meiden bewufste Emendationen.
Unter $ 23,4a (teilt Z. zunächft fprachliche Veränderungen
in B zufammen, und hier fcheint er meiftens das Richtige
getroffen zu haben. Wenn allerdings Z. fo einfach (zu
Gal. 4, 6, Hebr. 4, 16) von Vermeidung von Breiten redet, j
fo ftreift er hier eines der wichtigften textkritifchen j
Probleme. Der kürzere Text findet fich fehr häufig in B
(in den Evangelien Bx) und der älteften Gruppe des |
Western text (D und altafrikanifche Itala). Es ift nur die
fchwierige Frage, wo hier die Emendation liegt, ob ge- 1
kürzt oder interpolirt ift. Im Allgemeinen bin ich ge- j
neigt, Z. Recht zu geben. Da, wo Z. (4b) fachliche
Emendationen annimmt, mufs jedoch meiftens ein Fragezeichen
gemacht werden. Rö. 9, 3 ciov adehopwv ift wohl !
einfache Kürzung. Gal. 2, 3 7trog 0 ift Schreibfehler.
Auf Nachlaffigkeit beruht die Variante Gal. 3, 29 tov
^ßgaafi onegfiarog (ft. anegua) täte. Z. hätte übrigens
das cop.vid. bei Tifchendorf nicht auslaffen follen. Rö. 5,8 1
mufste zu der Auslaffung von b ireoc, bemerkt werden, :
dafs diefes Wort in xACKP und DEGL an verfchiedenen
Stellen im Text fleht, wodurch das Urtheil über B wefent- |
lieh verändert wird. Wenn B Rö. 15, 32 avvavayiaiawfiai I
ifiiv ausläfst, fo müfste doch bemerkt werden, dafs DE 1
hier avaipvt-O) fielt' vftwv, GF avaipvxio fielt-' vftwv lefen,
und dafs die Hndfchrn. im Anfang der Verfe fich fpalten |
in e/iltiov und elltto xat (B elltio). Das alles legt die
Vermuthung nahe, dafs B (vgl. auch Rö. 1, 12) hier im
Recht ift. Dafs Eph. 2, 22 nach Hebr. 3, 6 verändert fei,
(vQunov ftatt Iteoe) ift eine viel zu künftliche Erklärung.
Es wäre hier jedoch die Frage nach dogmatifchen Veränderungen
bei den Namen für Chriftus und Gott zu erheben
. Dafs B z. B. die Formel Xgtocog ItjOoeg faft
confequent bevorzugt, hat Z. § 23, 3 richtig gefehen. —
Das Urtheil Z.'s über B mufs bedeutend ermäfsigt werden, I
überhaupt darf man bei der textkritifchen Beurtheilung
eines Codex nicht in eine Hypothefe alle einzelnen Er-
fcheinungen einzwängen wollen.

$ 26 und 27 werden die Codices DG unterfucht. Bei
G wird weitgehende Beeinfluffung durch den lateinifchcn
Text nachgewiefen (befonders intereffant die Variante
ohu ai emXtjOHai Rö. 16, 23). Auf die doppelte Weg- I
laffung des ev Piofii] Rö. 1, wird von Z. hingewiefen. I
Nimmt man noch die Beobachtung hinzu, dafs in dem
Archetypus von G die Doxologie hinter Cap. 14 geftanden
hat, fo ergiebt fich, wie mir fcheint, das intereffantc
Refultat, dafs der Archetypus von G zum Zweck kirchlicher
Verlefung redigirt war. D zeigt geringere Spuren
der Latinifirung, dagegen ftärkere der Emendation.

Ich eile fofort zu der wichtigeren Behauptung Z.'s,
dafs die abendländifche Textgruppe DGit den Charakter 1
eines emendirten Textes trage. Jj 30, 4a zählt er fprachliche
Emendationen auf. Ich mufs jedoch geftehen, dafs
Z. fich hier die Sache fehr leicht gemacht hat, in den I
meiden Fällen wird nur behauptet und nicht bewiefen. j
Von zwölf Stellen z. B., wo Z. Wortumdellungen auf
Seiten von DGit behauptet, leuchtet mir keine einzige I

ein. Einzelne fprachliche Glättungen find natürlich zuzugeben
. Aber hier läfst fich nur auf Grund einer fehr
weit angelegten Statiftik und unter forgfältiger Beobachtung
des paulinifchen Sprachgebrauchs etwas beweifen.
Von den Stellen, an denen fachliche Emendationen behauptet
werden, will ich wenigdens einige befprechen.
Rö. 1, 29 foll die Auslaffung von uovijgia abfichtliche
Verkürzung fein. Mir fcheint Ttovrjgia hinter einem in
den Text zu fetzenden nogvei'a durch Verfehen ausgefallen
. Rö. 8, 23 hätte notirt werden müfifen, dafs unfere
Zeugen das iqueig, das fie weiter hinten im Text auslaffen
, vorne einfügen. Es fcheint, als ob rjueig hier überhaupt
nicht im Text gedanden hat. Rö. 8, 24 wäre ein
Verweis auf 4, 22. 13, 5 am Platz gewefen. In II, 17 (nicht
11,18) id es noch fehr die Frage, ob nicht ring gi'Cing xat als
Gloffe zu dreichen id. Ebenfo verhält es fich mit dem
ev rö Gal. 5, 14. In den unfchuldigen Varianten Rö. 16, 6.
15,19 kann ich die Abficht nicht finden, die Z. finden will.
Eph. 6,13 id die Auslaffung des otrjvcti vor GTi]ze Schreibfehler
. 2 Th. 1, 8 id diöovg vielleicht urfprünglich und
dtöoviog Verbefferung des Anakoluth. Auch gegen den
Nachweis dogmatifcher Emendationen erheben fich Harke
Bedenken ( namentlich Rö. 8, 37)? während Eph. 6, 9 in
gröfserem Zufammenhang unterfucht werden mufs. Die
Mehrzahl von Z.'s Beweifen fällt alfo dahin.

Es folgen in § 31 die Varianten, in denen D und
lateinifche Zeugen zufammengehen. Unter Befeitigung
vermeintlicher Unrichtigkeiten wird hier einfach Rö. 14, 9
aufgezählt. Das kennzeichnet die ganze Methode Z.'s,
derzufolge nirgends Wichtiges und Unwichtiges, Beweifendes
und Nichtsbeweifendes gefchieden wird. In der Stelle
lefen BxACP aneltavev v.at, eLtjaev; GFgf vg aneltavev
xat aveotrj; DE de eCrjoev xat aneltavev xat aveozrj; KLP
aneltavev xat aveoii] xat ave'Qnoev. Wie unendlich lehrreich
id eine derartige Zufammendellung. Deutlich treten
hier die Gruppen auseinander, namentlich deutlich auch
die von Z. ganz vernachläffigte alexandrinifche Gruppe.
Auch das Urtheil über D fteht fofort fed. D zeigt einen
Mifchtext aus Variante 1 und 2, der hohe Werth der
Ueberlieferung von G wird klar. Von alledem bekommt
man nach Z.'s Ausführungen keine Ahnung. Aber eine
folche Stelle beweid mehr, als halbe Seiten voll un-
nöthigen Ballades.

Gal. 2, 5 id dem ganzen Zufammenhang nach doch
fehr zu überlegen, ob nicht mit D it das ovöe zu dreichen
id, ebenfo ob nicht 2 Th. 2, 5 eti eiiov ovxoq, die irreguläre
Condruction, in den Text zu fetzen id. Da Gal. 3,29
fchon einmal aufgezählt id, fo bleibt von den vier von
Z. § 31c aufgezählten Fällen nur einer dehen. Zu § 32
bemerke ich, dafs mit Git vielleicht firjöevi 7ieil)eolte in
den Text zu fetzen id, da diefes nach neiltioltai leicht
ausfallen konnte. Rö. 10, 17 id mit Gg Hil. nur dia
gtjttaTog zu lefen. Gal. 1, 6 id Xqigtov zu dreichen (beachte
in beiden Fällen die Varianten in den übrigen
Hndfchrn.). Ich halte ferner Rö. 15,30 vneg eftov, Eph. 2,6
ev Xq. I. für eine Gloffe. Von elf befonders wichtigen
Stellen Z.'s erheben fich gegen fünf darke Bedenken.
Die anderen fechs fcheinen gefichert. Ich gebe Z. zu,
dafs Rö. 10, 17. 15, 16 in der That abfichtlich verkürzt
id. — Z. hat alfo keineswegs mit feiner Beurtheilung des
western text falfch gefehen, es zeigen fich abfichtliche
Emendationen. Aber man mufs fich eben hüten, die
Dinge nur von einer Seite anzufeilen. Es wäre doch
fonderbar, wenn uns eine fo alte Textgruppe gar keine
urfprünglichen Lesarten überliefert hätte.

Am wichtigden und für die Textkritik einfehnei-
dendden id die in § 37 gegebene Befprechung der Gruppe
BDG. Dafs B mit DG verwandt id, hat Z. aufser allen
Zweifel gedellt, nur hätte er daneben doch fedhalten
follen, dafs B immerhin mit xACP eine noch därkere
Verwandtfchaft zeigt. B hat eben in den Paulinen einen
Mifchtext (wie X im Johannesevangelium). Nach Z. zeigt
nun auch die Gruppe BDG den Charakter durchgehender