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Ausgabe:

1894 Nr. 25

Spalte:

638-640

Autor/Hrsg.:

Goldschmidt, Lazarus

Titel/Untertitel:

Sepher Jesirah. Das Buch der Schöpfung 1894

Rezensent:

Strack, Hermann L.

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Theologifche Literaturzeitung. 1894. Nr. 25.

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den vorgelegten Glaubensfragen nach Inhalt und Faffung
von rechter Art fein, nämlich fich auf den religiöfen
Gehalt der Artikel des Bekenntnifses beziehen. Wir
fchliefsen uns von ganzem Herzen der in eindringlichen
Worten erhobenen und begründeten Forderung an,
unfere Confirmation folle nicht ein Katechismusexamen
nach alter Art fein, d. h. eine Rechenfchaftsablage über
gedächtnifsmäfsig aufgenommene und gedächtnifsmäfsig
gefafste Katechismusfätze, fondern eine Sache innerer
Wahrheit und Freiheit. Wenn aber K. im Anfchlufs an
Schleiermacher u. A. die Confirmation als eine Ergänzung
der Kindertaufe durch das eigene Glaubensbe-
kenntnifs des Getauften betrachtet, fo fcheint uns diefe
Formulirung keine glückliche zu fein. Ift die Kindertaufe
als objectiv-göttliche Verfiegelung der Rechtfertigung
und Wiedergeburt einer Vervollftändigung fähig?
Kann die in der Taufe dargebotene Gnade überhaupt eine
Ergänzung erfahren? Eine innere Begründung und Berechtigung
kann die Confirmation nur als Aufnahme
unter die felbftändigen Gemeindeglieder und als Zulaffung
zur kirchlichen Abendmahlsfeier haben.

Strafsburg i. E. P. Lobftein.

Goeze's Streitschriften gegen Lessing, herausg. von Erich
Schmidt. [Deutfche Litteraturdenkmale des 18. u.
19. Jahrh., fortgeführt von A. Sauer, 43/45.] Stuttgart,
Göfchen, 1893. (VI. 208 S. 8.) M. 3.30; geb. M. 4.10.

Die Darflellung von Leffings .Theologifchem Feldzug
' leitet-E. Schmidt in feiner Biographie (IL, 347) mit
dem Citat ein: Ich habe es längft für meine Pflicht gehalten
, mit eigenen Augen zu prüfen, quid liquidum sit
in causa Christianorum. Zunächft grübelte Leffing über
den Abendmahlsbegriffi aus Anlass des wiedergefundenen
Berengar, dann wurde er Zeuge, wie Reimarus' Chriften-
glaube an der Trinität zerfchellte: er publicirte die
Fragmente. Es lag für jeden Einfichtigen auf der Hand,
dafs er feine Gedanken nicht mit denen des Fragmen-
tiften identificirte; andererfeits war es auch begreiflich,
dafs die Orthodoxie von ihm verlangte, offen Farbe zu
bekennen. Die .Glaubenseinfalt' war bekanntlich für
Leffing das Bollwerk des Chriftenthums; er vermochte
es nicht über fich, Bibel und Religion für dasfelbe auszugeben
. Goeze dagegen meinte, mit der Bibel flehe
und falle die Religion. Goeze hat nun auch entfchieden
Recht, wenn er fchreibt (S. 5 des Neudr.), Leffing's Art
zu Breiten fei darum fonderbar, dafs er nie einen gründlichen
Beweis führe, nie bei der Klinge bleibe; wenn er
aber Leffing Comödianten-Exclamationen, die auf das
Theater gehören .Theaterlogik' vorwirft — in der Leffing
grofser Meifter fei ,wie Goethe in feiner fchändlichen
Stella4 — fo beobachten wir die Unfähigkeit des Haupt-
paftors, die fchriftftellerifche Kunft feines Gegners zu
begreifen. Leffing hat ihn darüber im 8. Stück des
Anti-Goeze zu belehren verfucht. Dem ,papilloni Leffing
hält Goeze fein unerfchütterliches Nein! entgegen
: die Debatte bewegt fich alfo in Formen, welche
Temperamentsergüffe, nicht Studienergebnifse erwarten
laffen. Es ift fehr lehrreich, mit Hilfe des dankenswerten
Neudrucks, Leffing einmal in den Spiegel des
Herrn Goeze zu bannen, die Polemik nicht mehr blofs
von Wolfenbüttel, fondern auch von Hamburg aus zu
verfolgen. Wie E. Schmidt fchon in der Leffingbio-
graphie uns mitgetheilt hatte, erfcheint in der That
Goeze's Bild jetzt nicht mehr fo ftark in die Carricatur
eines Klopffechters verzerrt; Goeze ift nicht der Polterer,
als der er aus Leffing's fturmerregtem Tintenfafs aufge-
ftiegen ift, und Leffing erfcheint thatfächlich als der ,un-
gefittete Warner', als den er fich felbft bezeichnet hat.
Aber befchränkt ift der Hauptpaftor! Die Tradition ift
für ihn objective Wahrheit. Die Leffing'fche Unter-
fcheidung zwifchen Tradition und Wahrheit hat er nie

begriffen. Und etwas vom Inquifitionsrichter hat doch auch
in ihm gefleckt, wenn er (S. 169 des Neudr.) den Wunfeh
andeutet, die Reichsjuftiz möchte gegen die Publication
gotteslästerlicher Schriften ihres Amtes walten. Andererfeits
gefällt der Humor, mit dem Goeze bekennt, ,in
Abficht auf Theologie keine Reformation von Leffing
zu besorgen;4 er bewundert Leffing's unnachahmliches
Meifterftück ,Wie die Alten den Tod abgebildet' und
ringt fich den Seufzer vom Herzen: Ach! dachte ich, wie
tief ift der gefallen, der fonft in dem Felde der fchönen
Wiffenfchaften als ein Morgenftern glänzte und auf den wir
Deutfchen in diefem Felde ftolz zu fein Grund hatten'
(S. 110). Aber als der verftändige und gefetzte Mann
erfchien ihm Leffing nicht, dafs er es ihm erlaubt hätte,
befcheidene Einwürfe gegen die chriftliche Religion und
felbft gegen die Bibel zu machen. ,Es wird folches nöthig
feyn, um die Lehrer in Othem zu erhalten und folche
Zeiten der Ruhe zu verhüten, unter welchen die Chriften-
heit von dem 9. bis zum 15. Jahrhundert beynahe völlig
zu Grunde gegangen wäre. Nur müfste folches nicht . . .
in einer andern Sprache als in der Sprache der Gelehrten
gefchehen4 und darauf folgt die Stelle von den
Zeitungsfchreibern, die fo unerfetzlichen Schaden thun,
dafs er wünfeht, die Obrigkeit möchte ihnen Zaum und
Gebifs anlegen.

Jena. Friedrich Kauffmann.

Kiihnemann, Dr. Eugen, Herders Persönlichkeit in seiner
Weltanschauung. Ein Beitrag zur Begründung der
Biologie des Geiftes. Berlin, Dümmler's Verl., 1893.
(XVI, 269 S. gr. 8.) M. 5. —

Kühnemann verfucht eine genetifche Pfychologie des
Herder'fchen Denkens, um eine neue Erkenntnifstheorie
der Gefchichtsphilofophie anzubahnen. Eine Gefchichte
der Philofophie dürfe fernerhin nicht mehr auf der Zergliederung
der Begriffe aufgebaut werden; erfte Aufgabe
fei vielmehr, den Denker in feinem perfönlichen
Leben zu begreifen, feine Gedanken müfsten in ,Erlebnifse
der Perfönlichkeit innerhalb der Gefammtcultur4 umgefetzt
werden'). Dieherrfchende Gefchichte der Philofophie fei eine
wahre Sünde wider den heiligen Geift des Denkens (siel)
S.258. Seien doch die geiftigen Thaten desMenfchen bedingt
durch die Gefammtgeftalt, die fein Leben unter den Einwirkungen
der Zeit gewonnen. Alle Arbeit der Gedanken
fei fociale Arbeit. Alfo fort mit dem zergliedernden
Scharffinn des Verftandes, wir verlangen anfehauende Vernunft
, fort mit dem naiven Realismus der herrfchenden
Methoden, wir verlangen den Idealismus, der allein in
die wahre Realität der Dinge eindringt. Damit meint
Kühnemann, dafs der Forfcher fein eigenes Leben in
das Leben der Denker hineinentwickle und durch die
Vertiefung in die Gedankenbildungen der Gefchichte
erweitere. ,Erlebt der Gefchichtsphilofoph die pfychi-
fche Bedingtheit der Erfcheinungen, fo gehen ihm an
diefer auch die Bedingungen reiner Entwicklung auf,
fein Gedankenfehaffen wurzelt im Erlebnifs der Entwicklungsrichtungen
zum Ideale der Freiheit, die er
aus dem Drange des eigenen Lebens in allem Leben
der Menfchheit aufdeckt' (S. 263). Wir bekommen
folglich in dem Buch über Herder weniger von der
Biologie des Herder'fchen als der des Kühnemann'-

fchen Geiftes zu hören----Diefe Selbftüberhe-

bung ift noch dazu gegen R. Haym gerichtet, den K. zum
befchreibenden Anatomen degradirt (S. 35 f.). Das ,neue
Deutfchland' habe es denn doch weiter gebracht, denn
uns beherrfche jetzt der fociale Geift fS. 267), das Einzige
, an das wir glauben in unferer Arbeit ift das geliebte
, das ewige, das heilige — das Leben (S. 269). Das

1) Es ift noch üblich, Gewährsmänner zu nennen; im vorliegenden
Buch ift aber der Name W. Dilthey's nirgends zu finden.