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Ausgabe:

1894

Spalte:

577-579

Autor/Hrsg.:

Clemen, Aug.

Titel/Untertitel:

Der gebrauch des alten Testamentes im neuen Testamente a) in den Reden Jesu (Fortsetzung), b) bei den Evangelisten 1894

Rezensent:

Weiffenbach, Wilhelm

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58.

582

In dem erden Abfchnitt über die occidentalifchen
Formeln ftellt der Verf. in mühfamen Unterfuchungen
feft, was bisher noch nicht formell bewiefen war, dafs
der urfprüngliche Wortlaut des alten römifchen Symbols
noch erreicht werden kann, dafs alle abendländifchen
Symbole auf dasfelbe zurückgehen, und dafs die Töchter-
recenfionen nach provincialen Typen unterfchieden werden
können (italifch, afrikanifch, wefteuropäifch). Er
geht fie der Reihe nach, Provinz für Provinz, durch, mit
fcharfer Kritik wirkliche Texte von blofsen Referaten
fcheidend. In der Frage nach der urfprünglichen Zwölfzahl
der Artikel fpricht er fich jetzt (S. 8l ff.) fo vor-
fichtig aus, dafs nur noch ein kleiner, m. E. unbedeutender
Reil; feiner früheren Anficht geblieben id. Bei
den italifchen Symbolen intereffirt am meiden die Ausführung
über das Symbol des Nicetas von ,Romatiana'
(S. 107 ff. 403 ff.). Die Nicetas-Frage id noch nicht gelöd,
aber fie id durch den Verf. und durch Morin fehr gefördert
worden. Ich halte es für wahrfcheinlich, dafs
der letztere Recht behalten wird und wir in dem Nicetas
den Bifchof von Remefiana erkennen werden. Dafs aber
in feinem Symbol ,comtnunio sancforum' gedanden hat,
id mir unwahrfcheinlicher geworden. Der Ausdruck läfst
fich aus Cyrill's Katechefen (cat. 18,24—27) ableiten, die
Nicetas wie eine Vorlage benutzt hat. Aber es id wohl
zu fragen, ob nicht Cyrill's und Nicetas' Interpretation
zu ,sancta ecclesia' = ,congregalio oder communto
sanetorum' einen Andofs zur Aufnahme der Formel in
das Symbol gegeben hat. Mit Freude fieht man das
.Symbol' des Venantius Fortunatus aus der Reihe der
Symbole verfchwinden. Bei den afrikanifchen Symbolen
geht der Verf. vorläufig (S. 141 ff.) Ichon auf das Symbol
des Tertullian ein, ohne indefs die Frage zu erledigen.
Eine forgfältige Erwägung aller einfchlagenden Stellen
Tertullian's führt zu fichereren Schlüffen, als fie bisher
gezogen worden find. Bei dem Symbol des Priscillian
(fpanifche Symbole) hätte (S. 157) erwähnt werden müffen,
dafs das ,unum' im 1. und 2. Artikel nicht oder höchd
wahrfcheinlich nicht zum Symboltext gerechnet werden
darf. Die Unterfuchungen über die Symbole aus Gallien
(refp. dem fränkifchen Reich) und über den Typus der
wefteuropäifchen Symbole und ihrem Verhältnifs zum
jetzigen textus reeeptus bilden den Höhepunkt und Ab-
fchlufs des erften Abfchnitts. Der Verf. ftreitet über-
rafchender Weife gegen die Annahme, der textus reeeptus
fei füdgallifchen Urfprungs; nur den wefteuropäifchen
Typus gefteht er ihm zu, deffen .zufällige Spielart' er
fei, jener Typus felbft aber zeichne fich durch ,Sorglofig-
keit und Planlofigkeit der Einfügung von Zufätzen' aus.
Wenn der Verf. fortfährt: .Meine Meinung geht dahin,
dafs der textus reeeptus nicht im Urfprunge bereits eine
autoritative Formel vor anderen fei, dafs die Frage, wie es
zu feiner Autoritätsftellung gekommen, dementfprechend
auch wahrfcheinlich nicht von dem befonderen Inhalte
desfelben aus ihre Beantwortung zu erwarten habe' —
fo weifs ich nicht, wer fich das anders vorgeftellt hat.
Indeffen fcheint der Verf. befonderen Grund zu haben,
diefen Satz zu betonen, und aus einigen Andeutungen
S. 197 ff. fcheint hervorzugehen, dafs er ihn im 2. Bande
in einer Richtung verfolgen wird, die bisher nicht ein-
gefchlagen worden ift. Doch bricht die Unterfuchung
jetzt an dem intereffanteflen Punkte (Alter und Herkunft
des textus res.) ab. Die runde Behauptung des Verfaffers
(S. 196): ,Im Speciellen einen „fpanifchen", einen „galli-
fchen" etc. Typus unter den wefteuropäifchen Symbolen
zu' conftatiren, geht m. E. nicht an', ift übertrieben. Es
ift richtig, dafs keiner diefer Typen exelufive Merkmale
(wie z. B. der afrikanifche) aufweift; aber das Enfemble
ift doch typifch. Das Symbol des Martin von Bracara
z. B. müfste jeder Kenner für fpanifch halten, auch wenn
es nicht Martin's Name trüge. Ferner ift der Typus,
dem der textus rec. am nächften fteht, ausgezeichnet
durch folche hiftorifche Zufätze, die fich auch in

orientalifchen Symbolen und Glaubensregeln
finden (Schöpfer Himmels und der Erde, Gelitten,

I Niedergefahren zur Hölle). Mit Recht fagt der Verf.,
der textus rec. fei nicht die reichfte oder weitläufigfte

! Formel; aber auf den hiftorifchen Inhalt gefehen

i ift er es. Seine Eigentümlichkeit befteht darin, dafs
ihm bei dem reichften fachlichen Inhalt alle ausmalenden
oder präcifirenden Attribute fehlen,
die fich fonft in den provincialkirchlichen Symbolen
finden [invisibilis et impassibilis im I.Art.,
omnium creaturarum visibilium et invisibilium
conditorem, unum im 1. u. 2. Art., de um im 2. Art.,
resurrexit vivus, omnium peccatorum, cumgloria ven-
turus, par baptismum im 3. Art., huius carnis). In
diefer wichtigen Hinficht hat der textus rec. die
Eigenart des alten Symb. Romanum vollkommen
bewahrt; er zeigt denfelben knappen und ftren-
gen Stil wie diefes und enthält doch alles fachlich
Bedeutungsvolle, was im Laufe der Ge-
fchichte des Symb. Rom. an diefes herangetreten
ift. Hier von Zufälligkeiten, Sorglofigkeit, Planlofigkeit
zu fprechen, geht m. E. nicht an. Der textus rec. ift
vielmehr in feiner Weife ebenfo claffifch ftilifirt und
ökumenifch gehalten wie feine Vorlage — ökumenifch
auch in Rückficht auf die orientalifche Symbolgefchichte.
Um fo gröfser wird das Räthfel feines Urfprungs, und
wir dürfen gefpannt fein, wie der Verf. es löfen wird.
Wie, wenn es fich herausheben follte, dafs der textus
reeeptus das römifche Symbol unter dem Einflufs des
Orients (der Katechefen Cyrill's) darfteilt, und feine Entwicklungslinie
im 5. u. 6. Jahrh. durch die Stufen Remefiana
, Aquileja = Mailand, Frankreich bezeichnet find?

Der zweite Abfchnitt (die orientalifchen Formeln)
übertrifft den erften durch den Reichthum neuer Forfch-
ungen. Hier war auf Grund des parat gelegten Materials
noch Alles zu thun. Ich mufs es mir verfagen, auf die
Ergebnifse der Einzelunterfuchungen einzugehen, und
wende mich fofort zu den Schlufsrefultaten, wie fie in
dem Capitel ,die Grundlage der orientalilchen Symbole'

! geboten find. Drei Erkenntnisse treten an die Spitze:
1) einen allgemeinen, felbftändigen orientalifchen Typus
des Tauffymbols — wenn man von den uns erhaltenen
Symbolen ausgeht — giebt es nicht, 2) die orientalifche

I Symbolgefchichte hat ihre Wurzel an der Symbolbildung
in Syrien und Paläftina, 3) der Archetypus der

I orientalifchen Symbole ift das römifche Symbol.
Diefe aufserordentlich wichtigen Erkenntnifse, die den
.orientalifchen Typus' Caspari's zerftören, find vom
Verf. fehr wahrfcheinlich gemacht: das Symb. Romanum
ift wirklich die .Mutterform' der fyrifch-paläftinenfifchen
Symbole und damit der älteften und mafsgebendften
orientalifchen Symbole überhaupt. Das, was fich über
afiatifche Symbole fagen läfst, widerfpricht dem nicht;
denn, wie der Verf. fehr richtig ausführt (S. 354ff. 390f.),
mit dem .Symbol' der fmyrnenfifchen Presbyter ift wenig
anzufangen. Aber andererfeits verhehlt fich der Verf.
nicht, dafs er die einfehneidenden Ergebnifse der Unterfuchung
der orientalifchen Symbole noch durch eine
Sachgefchichte des Tauffymbols im Orient zu erhärten
hat. Hier wird vor allem feftzuftellen fein, wie alt denn
überhaupt ausgeführte und feft umfehriebene Tauffym-
bole im Orient find (anders ausgedrückt: wann das Symb.
Rom. in den Orient gekommen ift), und wie fich die uns
bekannten uralten Stücke orientalifcher Glaubensregeln
zu ihnen verhalten. Dem 2. Bande ift die Beantwortung
diefer Fragen vorbehalten, und fo wird auch hier, wie
in Bezug auf den textus reeeptus, unfere Wifsbegierde
fchliefslich nur gefpannt, nicht aber befriedigt. Die rein-
literarhiftorifchen Unterfuchungen führen eben nicht weiter
als bis zur ficheren Problemftellung. Die kirchen-
hiftorifche, culthiftorifche und exegetifche Forfchung hat
nun einzufetzen. Diefer erfte Band ift ein Vorläufer;
aber er hat den Weg frei gemacht. Er hat ein Exiftenz-