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Ausgabe:

1894

Spalte:

557-560

Autor/Hrsg.:

Niebuhr, Carl

Titel/Untertitel:

Geschichte des hebräischen Zeitalters. I. Bd 1894

Rezensent:

Siegfried, Carl

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effe ift darauf gerichtet, die Quellen aufzuweiten, denen
der altchriftliche Apokalyptiker die Farben zu der Dar-
flellung des Ortes der Seligkeit und der Qual entnahm,
und damit uns zugleich einen tiefen Einblick zu ver-
fchaffen nicht nur in die Genefis altchriftl. Eschatologie,
fondern überhaupt in die Anlehnungen, die für das ältefte
chriftl. Schriftthum und den altchriftl. Cult zu fuchen find.
Auf diefe Weife haben fich die Unterfuchungen zu einer
Gefammtdarftellung der griechifchen Hadesvorftellungen
in ihrer gefchichtlichen Entwicklung, vor allem der or-
phifch-pythagoreifchen Gedankenkreife mit ihren tiefgehenden
Einflüffen auf die Reformation der hellenifchen
Culte ausgefialtet, wie fie uns fonft nirgends geboten
wird. Leider fehlt mir der Raum, den Faden der Unter-
fuchung in Kürze zu fkizziren, ich kann nur foviel bemerken
, dafs der Verf. auf Grund der vorliegenden Unterfuchungen
den Nachweis geführt zu haben glaubt, dafs
der chriftl. Apokalyptiker, ganz von orphifchen Ideen
abhängig, aus einer orphifchen v.aräicxaig elg"Aidov ge-
fchöpft habe. Nun hat eine confequent durchgeführte
Evolutionstheorie ftets ihre bedenklichen Schattenfeiten,
denn unwillkürlich verfällt man in die Verfuchung, heterogene
, auf ganz anderem Boden entwickelte Vorftellungen
in das einheitliche Syftem einzupreffen und dadurch einzelnen
Thatfachen Gewalt anzuthun. So fehr auch D.
von der ,vvüften Methode' A. Wirth's entfernt ift, fo hat
er doch an manchen Stellen den Eindruck feiner Behauptungen
durch Mangel an Präcifion abgefchwächt. In
Rückficht auf die Lefer laffe ich das antike Material un-
befprochen, nur bei Plato möchte ich einen Augenblick
verweilen, indem ich für Vergil auf den Auffatz von
Norden im Hermes 1894, S. 312fr. verweife.

Der Verf. unterfucht nämlich lang und breit die
eschatologifchen Mythen Plato's; auf S. 112, Anm. 3
erwähnt er die Arbeit von Döring über dasfelbe
Thema, der aber die Prüfung der Ausfagen Plato's über
den Urfprung und die Glaubwürdigkeit der Berichte ausdrücklich
bei Seite gelaffen, dafür aber die bezüglichen
Stellen: Phaedr. 245 BC, 247 C; Gorgias 523 A, 524 B,
526 D (ftatt 626), 527 A; Phaedon 107 D (ftatt 167), 114D;
Republ. 614 B, 621 C angegeben hat. Man follte nun erwarten
, dafs der Verf. auf diefe näher einginge, da fie ja
die Grundlage für feine Unterfuchungen bilden mufsten,
aber — charakteriftifch genug — fie werden nicht einmal
erwähnt, gefchweige denn befprochen. Es bedurfte gar
nicht des ungeheueren Aufwandes von Combinationen, da
ja Plato die Quelle feiner Mythen nicht deutlicher angeben
konnte als im Gorgias 493 A: v.ai TOVTO uoce rig
fiv&oXoyäv '/.our/'öc dvr'jQ, l'oiog Hr/.elög rig ti liahiv.og
und ibid. D: akMrv am elv.öva ).tyio kv. tov avtov yv[i-
vuaiov. Hätte der Verf. die fämmtlichen Stellen genau
geprüft, fo hätte er auch bemerkt, dafs trotz aller Ueber-
einftimmung doch bemerkenswerte Unterfchiede find, die
unmöglich auf ein einheitliches Hadesbuch zurückgehen.
Plato hat vielmehr noch mündliche Ueberlieferungen in
Sicilien erhalten, wie er fagt: ijv.oiaa ttöv ßncpior und ojg
twij 6 ngog etif Ityiov und u iyw cc/.ry/.owg inartvio
eivai, denn diefe Worte find m. E. mehr als poetifche
Einkleidung. Den Mythos des Er in der Republ. hat
er ficherlich einer fchriftlichen Quelle entnommen, wenn
er 621 C fagt: v.ai oi'rojg itv&og tawai] v.ai OVX AnWMKO.

Aber nun zu den Erörterungen des Verf.'s über die
Apokalypfe! Ein Philologe mufs erft bei einem Texte
eine Reihe von Ueberarbeitungen oder Quellen aufdecken,
um feinen Scharffinn zeigen zu können. So hat auch D.
eine Menge ganz künfllicher Hypothefen von Aufsen an
den Text herangebracht, ftatt von Innen heraus den Inhalt
und Zweck zu begreifen. Er nimmt zunächft an
der übereinftimmenden Schilderung der beiden Seligen
und des Ortes der Herrlichkeit Anftofs; die Fuge der
Ineinanderarbeitung findet er deutlich dort, wo Petrus
allein zu reden beginnt, und nimmt an, dafs eine der
Verklärungsgefchichte ähnliche Erzählung durch die Jen-

feitsvifion beeinflufst zu einem Bericht von der Erfchei-
nung zweier Himmlifchen wurde. Aber leider kann von
einer Fuge nicht die Rede fein. Schon in dem
am Anfang ift deutlich Petrus der Sprecher im Namen
der Jünger und der Erzähler des Ganzen; felbft von v. 12
an, wo er allein fragt, tritt ftets das ijaeig wieder hervor.
Dem leysi [im folgt unmittelbar ibv q&tfaqoats Tag [looqjdg
löslv und v. 16 £</i' t][tüg ev.si&sv tpegeodai, noch beffer
v. 20: Aeyej i)[tlv h v.vgiog. Daraus geht deutlich hervor,
dafs eyiö und mielg durch das ganze Buch ohne Unter-
fchied abgewechfelt haben.

Eine zweite Hypothefe des Verf.'s lautet dahin, dafs
wir in den erhaltenen Fragmenten keine felbftändige
Apokalypfe des Petrus, fondern ein Stück eines Evangeliums
befitzen. Dafs die ganze Erzählung in Form eines
evangelifchen Berichtes eingekleidet ift, kann nur bei demjenigen
Anftofs erregen, der die Art der apokryphen
Schriftftellerei nicht beachtet. Das ganze Machwerk ift
ja augenfeheinlich eine Tendenzfchrift. Der Verf. fand
nämlich keine authentifchen oder nur dürftige Ausfagen
Chrifti über dasJenfeits vor und fuchte einerfeits feine Neu-
i gierde zu befriedigen, andererfeits dem Mangel derErkennt-
I nifs, der fich befonders bei der Miffion fühlbar machte,
j durch feine Arbeit abzuhelfen. Mit klaren Worten hat der
Verf. diefe feine zwiefache Abficht in dem Satze iva löwfiev
Tioxanol eiai rr)v [iogq)i/v.ai D-agar/avieg aagaO-agaivomitv
v.ai zovg civ.aunviag tjfttäv dvtrgwrroig ausgefprochen. Um
nun ein folches Werk unterzubringen, bedurfte es des
Anfchluffes an die Evangelienform, und nur diefes hat
der Apokalypfe noch bis in die fpätere Zeit Geltung ver-
j fchafft. Ebenfo waren die 12 Jünger, wenn auch einer
als Sprecher gelten follte, vorgefchrieben; der Ort und
i die Zeit der Offenbarung waren felbftverftändlich. Es ift
1 auch nicht der Schatten eines Beweifes für die Thatfache
erbracht, dafs die Offenbarung in die irdifche Thätigkeit
Jefu fallen mufs. Die Ueberlieferung lehrt uns das Gegenteil
. Clemens AI. hat im 7. Buche der Hypothypofen
nach Eufeb. Ii. c. II, 1,4 die Legende erzählt, dafs der
Herr dem Jacobus [der Zufatz ,xäi 61v.m11/ ift Unfinn],
Johannes und Petrus nach der Auferftehung die yvi~>aig
mitgetheilt habe. Als Ort der Offenbarung ift ohne
Zweifel der .heilige Berg' gedacht. An diefe Legende
hat unzweifelhaft der Verf. der Apokal. angeknüpft.

Dagegen ftimme ich dem Verf. in der Anficht bei,
dafs die in dem Fund von Achmim enthaltenen Stücke
nicht einer verftümmelten Handfchrift angehören, dafs
vielmehr der Schreiber diefe Stücke mit Abficht in Rück-
fiöht auf die Beigabe ins Grab ausgewählt habe. Diefe
Thefe fchliefst aber m. E. ein gewichtiges Moment gegen
die weitere Annahme des Verf.'s ein, dafs der Schreiber
zwei Stücke aus dem Evangelium und ein drittes aus
Henoch entnommen habe. Denn einerfeits fpricht die
felbftändige Ueberlieferung der 3 Stücke eher dafür als
dagegen, dafs der Trilogie von Stücken auch eine Trilogie
von Schriften entfpricht — vielleicht denkt der Verf. noch
über den Zufammenhang diefer Trilogie mit der Dreizahl
im Todtencult nach —, andererfeits wäre es wunderbar,
wenn der Schreiber aus feinem Evangelium zuerft die
Leidensgefchichte und dann die eschatologifchen Reden
Jefu abgefchrieben hätte, zumal da nach des Verf.'s Anficht
zwifchen beiden Partien nach Analogie der fynop-
tifchen Evangelien nicht fehr viel geftanden hat.

Völlig unannehmbar hat der Verf.feineThefe durch die
Annahme gemacht, dafs fich das apokal. Stück des Evangel.
gefondert fortgepflanzt und daraus fich eine Apokalypfe
des Petrus entwickelt habe. Die Berufung für die geänderte
Fortpflanzung auf den Fund von Achmim ift
ein verzweifelter Ausweg; denn was für das apokalyp-
tifche Stück des Evangeliums gilt, müfste auch für Henoch
und das andere Stück gelten, während vielmehr der Fund
lehrt, dafs der Schreiber ad hoc für feinen verdorbenen
Mönchsbruder die Stücke ausgewählt hat. Diefe völlige
Verkennung eines einfachen Thatbeftandes nimmt nicht