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Ausgabe:

1894 Nr. 21

Spalte:

540-541

Autor/Hrsg.:

Erhardt, Franz

Titel/Untertitel:

Metaphysik. I, Bd 1894

Rezensent:

Glogau, Gustav

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Theologifche Literaturzeitung. 1894. Nr. 21.

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katechismusgefchichtlicher Werth und der Reichthum des
in ihm bewältigten, theils ganz neuen, theils in neue Beleuchtung
tretenden Materials klar hervor. Die 7 Capitel,
insbefondere die 4 letzten (4—7), führen in feffelndfter
Weife den Lefer in das innerfte kirchliche Leben der
Pfalz und der aufserdeutfchen reformirten Territorien
und in das edle Ringen des ref. Proteftantismus um eine
einfetzungsgemäfse und kirchlich-würdige Abendmahlsfeier
ein. Es ift darum eine wahre Freude, dem feine
Quellen fo feft beherrfchenden und gefchickt verwer-
thenden Verf. zu folgen, wenn er uns von einem ref.
Kirchengebiet zum anderen hinüberführt und die jugend-
frifche Entwicklung des reformirten Kirchenwefens,
aber auch die fchweren Kämpfe und Anfeindungen gegen
dasfelbe vor Augen ftellt. Nur auf einiges ganz Wenige
kann bei der erdrückenden Pulle des Stoffs und der
Kürze des geblatteten Raums hingewiefen werden. Wie
intereffant und anfchaulich fchildert G. in Cap. 4 (f. o.)
den neben dem Hoplitenkampf der Fürften und ihrer
Kanzleien (Cap. 1 u. 2) in Form von .fliegenden reden
und zetteln' einhergehenden Klein- und Tirailleurkampf
um das hl. Abendmahl, den Heid. Kat, das Büchl. v.
Brotbr. und A., nachdem Cap. 3 die durch das eben genannte
Büchlein entfeffelte Bewegung und Gegenbewegung
zur Anfchauung gebracht hatte. Die eben erwähnten
,Flugblätter' waren theils blofs handfchriftliche, theils
im Druck erfchienene. Von erfteren ift leider nur eines
(anonym), das Wolters i. J. 1867 u. d. T.: ,Ettliche
Artickell. So die Zwinglianer jn der Pfalz jn jrem
Synodo berathfchlagt und angerichtet haben' (Theol.
Stud. u. Krit, S. 15—18) veröffentlichte und Gooszen,
S. 243—245 hat neu abdrucken laffen, uns bekannt geworden
. Beffer unterrichtet find wir über die damals
im Druck erfchienenen, aber leider nicht auf uns
gekommenen Pamphlete. Erwähnt werden in diefer Hinficht
von den Vertheidigern des Heidelb. Kat. eine für
Speier, Worms u. a. Städte beftimmte leichtfertige und
entfetzlich verlogene Spottfchrift des Predigers Laurentius
Albertus und ein Pamphlet von dem wegen feiner
Ränkefucht und Unredlichkeit entlaffenen Heidelberger
prof.jur. Franciscus Balduinus (S. 247fr.). Man mufs
die .Ertliche Artickell' a. a. O. felbft nachlefen, um fich
zu überzeugen, wie damals die interconfeffionellePolemik
getrieben, und insbefondere, was von ,lutherifchen'
Fanatikern an Verdächtigungen und Verdrehungen gegenüber
dem Kirchenwefen der Pfalz geleiftet wurde! Be-
fonders über die forma et ceremoniae1 bei der Abend-
mahlsfeier, in specie das .Brotbrechen', ergoffen fich
Spott und Zorn der Gegner, die z. B. den ref. Pfälzern
andichteten, dafs fie ,des Herrn A.M. einer gemeinen
zech und malzeit gleich machen und halten, dasfelbe
mit Löffeln ausz Schüffein effen, einander darin zutrinken,
das h. Brot des Herrn mutwillig auff die erde fallen
(laffen r), mit füffen vertretten, und die Hund hinweg
tragen laffen' (S. 246): Läfterungen, die fogar die Kur-
fürftin Maria von der Pfalz zur brieflichen Action und
energifchem Proteft dagegen brachten (S. 246 f.).

Neben den Pamphleten, deren läfterlichen Verleumdungen
man verachtendes Stillfchweigen entgegen-
zufetzen befchlofs, erfchienen ernfter gehaltene Streit-
fchriften, wie das ffnditiuvd der Marburger Synode in
Sachen des H. Kat. v.J. 1563 (S. 249—252), die .Widerlegung
Eines Klein, deutfch. Calvin. Catecliismi u. f. w.'
v. Flacius Illyricus v. Ende 1563, und die ,Trewe
Warnung für den Heidelb. Calvin. Catecliiszmnm u. f. w.'
von Til. Hefshufius, v. Febr. 1564 (S. 253—256). Zur
Vertheidigung gegen diefe Angriffe (bef. des Flacius)
und zugleich, um die wichtige und viel umffrittene Abendmahlsfrage
noch einmal direct zu behandeln und das
pfälzifche-Abendmahlsbekenntnif s vor der ganzen
Kirche Chrifti feftzuftellen (S. 256—259), erfchienen auf
Veranlaffung des Kurfürften im März 1564 der .Gründt-
liche bericht vom h. Abendmal u. f. w.', .geftellt von

den Heidelberger Theologen', in specie von Urfinus,
ferner des letzteren: a) .Verantwortung über den H.
Kat.', v. Frühjahr 1564, und b) ,Antwortt auff etlicher
Theologen Cenfur' über die Schriftzeugniffe im H. K.,
v. April 1564: über welche 3 .Apologien' Gooszen auf
S. 260—275 ausführlich und fehr anregend handelt.

Einen der intereffanteften und wichtigften Abfchnitte
unferer Schrift bildet das von den Formen der Abendmahlsfeier
und den gedruckten Abendmahls-Liturgien
in den einzelnen reformirten Kirchengebieten
handelnde 5. Capitel (S. 276—336). Hier werden uns
nacheinander die nicht allein für die Ceremonien beim,
fondern auch für die Lehre vom Abendmahl hoch-
bedeutfamen einzelnen reformirten .Kirchenordnungen',
bzw.Abendmahls-Liturgien, vonZwingli's .Schlufs-
reden über die Meffe'(1524) an, vorgeführt. Wir hören
da u. a. von Farel's Summaire et briefve Declaration etc.
v. 1526, einem von vorwiegend praktifchen Gefichts-
punkten geleiteten iVlufterbild von Einfachheit und populär
-klarer Auseinanderfetzung der allein aus der Bibel
gefchöpften Lehre', und von feiner berühmten, vortrefflichen
.Liturgie': ,Maniere et fasson etc.' v. 29. Auguft
1533, die, wenn auch beeinflufst von Strafsburg und
Bern (Bern. Lit. von 1529), doch eine ganz felbfländige
Haltung einnimmt und, ohne jede falfche oder fchwäch-
liche Vermittelung, die urfprüngliche Zwingli-Bul-
linger'fche A.M.-Anfchauung (Ablehnung jeder Form
einer leiblichen Gegenwart Chrifti im A.M.) wieder-
giebt (S.314—325), aber auch von Calvin's (die ,Maniere'
Farel's in Genf verdrängenden) .La forme des priores etc.1,
von 1542 (S. 326 fr.), in welcher Liturgie bzgl. des A.M.
plötzlich ganz andere Töne erklingen, in der von ge-
heimnifsvoll-wunderbarer Vereinigung mit Chrifto,
von Ernährung der zu Chrifto in den Himmel emporgetragenen
Seele, ja — in ganz .myftifcher' und ,katho-
lifirender' Weife — von einer Speifung und Lebendig-
machung der Seelen durch ,die Subftanz Chrifti'
gefprochen wird (vgl. S. 329. 330. 331. 333). Ganz be-
fonders aber feffeln unfere Aufmerkfamkeit G.'s Ausführungen
(S. 302 ff.) über die im Wesentlichen von
Bucer verfafste, aber von allen Strafsburger Predigern
mitberathene und mitunterzeichnete und dem Kurfürften
Friedrich III. überfandte altftrafsburgifche Gottes-
dienft- und Abendmahls-Liturgie, v. Ende 1524 oder
j Anfang 1525, mit d. T. ,Grund und Urfach ausz gütlicher
fchrifft der newerungen an dem nachtmal

des Herren, fo man die Mesz nennt, Tauffu. f. w.--

durch und auf das Wort Gottes zu Strafsburg fürgenommen
', über welche A. Erichfon (in feiner kleinen,
aber fehr verdienftvollen Schrift ,Die Calvinifche und die
Altftrafsburgifche Gottesdienftordnung', Strafsb. 1894) ein
helleres und z. Th. neues Licht verbreitet hat. Diefe
ausgezeichnete Lit, für die befonders der Strafsb. Prediger
Theob. Schwarz infofern verdienftvolle Vorarbeit
lieferte, als er zuerft ,die Hand an die liturg. Reform
gelegt und diefelbe praktifch durchgeführt hat'(Er., S.2öf.),
ift geradezu eine matrix für deutfehe und franzöfifche
reformirte Kirchengebiete, auch für die in einer rela-
lativen Selbftändigkeit zu Str. beftehende und feit 1538
von dem jungen Calvin bediente ecclesia gallicana (Er.
S.6f.34 f.) geworden; und von diefer letzteren hat dann
auch Calvin die Liturgie in wefentlich fertiger Ge-
ftalt nach Genf mitgenommen und dort eingeführt.
,Selbft für das Schönfte und Ergreifendfte in feiner Liturgie
, die Confession des piches, mufs ihm---

die Verfafferfchaft abgefprochen werden' (Er., S.3of.). —
Mit ganz befonderem Intereffe hat Ref. das Schlufs-
Capitel (f. o.) gelefen, in dem fich G. mit Ad. Harnack
über den reformirten Proteft. auseinanderfetzt. Wenn
Harn. (D.Gfch. III, S. 760) fehr abfällig über den aus der
Dogmen-Gefchichte ganz ausgewiefenen und angeblich
durchweg gegen Luther fecundären und inferioren
Zwingli urtheilt und ihn gar mit Leuten wie Karlftadt,