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Ausgabe:

1894 Nr. 21

Spalte:

535-538

Autor/Hrsg.:

Dobschütz, Ernst v.

Titel/Untertitel:

Das Kerygma Petri, kritisch untersucht 1894

Rezensent:

Bousset, Wilhelm

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Theologifche Literaturzeitung. 1894. Nr. 21.

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ten von Binz über J. Weier und A. Lercheimer zu vergleichen
, über Befeffenheit und Exorcismus (S. 45. 54)
Index II, 218.

Das Theatrum vitae humanae .eines pfeudonymen
Lycoflhenes' (S. 35) wird auf dem Titelblatte bezeichnet
als a Conrado Lycosthcne Rubeaquensi inchoatum et a
Theodore- Zwingero absolutum. Lycoflhenes war der
richtige Name des Stiefvaters von Th. Zwinger (A. D. B.
19,797). Ueber die Disputatio, qua anonymus probare
nititur, midieres hotnines non esse (S. 114), die Valens
Acidalius zugefchrieben wurde, f. Index 2,162. Statt,Diogenes
, der Schüler Pauli' S. 47 ift zu lefen Dionyfius
Areopagita. Bei den Citaten S. 7 Nr. 1—3 fehlt der
Name Tertullian. — Man zählt nicht heben Cardinal-
tugenden (S. 10), fondern drei göttliche oder theologifche
und vier Cardinaltugenden und fagt richtiger: lieben
Hauptfünden {peccata capitalid) als heben Todfünden (p.
mortalia.) Dafs Thiere als , Attribute' (Symbole) der .Todfünden
' galten, dazu hat fchvverlich Jer. 5, 6 ,den erften
Anftofs gegeben' (S. 10). Der .mittertägliche Teufel'
(S. 23) ift das daemonium meridianum Pf. 90, 6 Vulg.

Bonn. F. H. Reufch.

Brieger. Prof. D. Thdr., Die fortschreitende Entfremdung
von der Kirche im Lichte der Geschichte. Akademifche
Rede. Leipzig, Hinrichs, 1894. (28 S. gr. 8.) M. —.50.

Die vorliegende Rede ift von dem Verf. als Prorector
der Univerhtät Leipzig zur Feier des Geburtstags des Königs
Albert von Sachfen am 23. April d. J. in der Aula der Univerhtät
gehalten worden. Sie darf als eine hoch bedeutfame
Erfcheinung bezeichnet werden. Die fortfehreitende Entfremdung
von der Kirche, welche hch auf dem Gebiete
des deutfehen Proteftantismus vollzieht — denn nur von
den Zuftänden und Vorgängen auf proteftantifchem Boden
ift die Rede, — ift eine nicht wegzuleugnende verhäng-
nifsvolle Thatfache. Der Verf. redet von ihr mit ehrlichem
Wahrheitsmuthe und voller Unbefangenheit. Seine
Schilderung des Gangs der Dinge bis zu der heutigen
Wirklichkeit ift meifterlich zu nennen. Sie enthält nichts
von Verfuchen, unerfreuliche Thatfachen zu verhüllen
oder zu befchönigen, aber auch nichts von übertreibenden
Klagen oder Anklagen. Der Eindruck, dafs wir an
einem Punkte angelangt find, wo viel, unendlich viel auf
dem Spiele fleht, tritt mit überzeugender Klarheit hervor.
Aber Brieger erkennt in jener bedrohlichen Entfremdung
nicht einen mit unabwendbarer Nothwendigkeit fich vollziehenden
Naturverlauf. Die Entwickelung des Proteftantismus
feit der Reformation ift nach einer Richtung eine
fehlerhafte gewefen, weil ein fehlerhaftes Princip von Anfang
in diefelbe aufgenommen war. ,Man hatte —• fagt
der Verf. — von Anfang an operirt ohne Rückficht auf
den pfychologifchen Procefs der Glaubensbildung, wie
er in der Wirklichkeit fich abfpielt, und deshalb war man
unglücklich in der Wahl des Grundfteins, auf welchen
fich die Gewifsheit des Glaubens gründen follte. Nur fo
hatte man dazu kommen können, die verftandesmäfsige
Annahme eines Lehrganzen, welches fich auf die heilige
Schrift ftützte, zur Vorausfetzung für den Glauben zu
machen und wohlgemerkt, für den Glauben im evan-
gelifchen Sinne. Und worauf follte fich diefe Annahme
gründen? Da fie nicht auf irgend eine Erfahrung des
Gewiffens zurückgehen follte, ift von vornherein klar, dafs
diefer Grund nur eine von aufsen her an den Menfchen
herantretende und aufserhalb des Menfchen verbleibende
Autorität fein konnte. Diefe Autorität war die heilige
Schrift als das Wort Gottes, die Unterwerfung unter fie
alfo die erfte Bedingung'. Ueber diefen Punkt find wir
noch nicht hinaus. Der alte Fehler ift noch nicht gehoben
, und er hat je länger, defto verderblicher fortgewirkt
bis auf diefen Tag. ,Die ev. Chriftenheit des
ausgehenden 19. Jahrhunderts wird im Ganzen unter-
wiefen wie die aus der Blüthezeit der Orthodoxie. Wie

viele von uns find nicht in der Vorftellung aufgewachten,
die Vorbedingung für die gläubige Annahme des Evangeliums
fei die Verftandesüberzeugung von der Wahrheit
eines gewiffen Complexes dogmatifcher Sätze'. Aber
man foll fich keine Täufchung darüber machen, dafs die
Zeit des Autoritätsglaubens abgelaufen ift. .Nicht auf
eine von aufsen her gegebene Autorität ift zurückzugehen,
Herz und Gewiffen wollen getroffen fein. Im Worte
Gottes oder im Evangelium lebt nur Einer, Jefus, der
Chriftus ift. Seine Perfon allein, fein Leben und Wirken
ift es, was Eindruck machen kann auf das Gewiffen.
Und wo diefer Eindruck mit feiner überwältigenden Kraft
fich erzeugt, da hat das chriftlich-religiöfe Leben begonnen
, da ift der Punkt gegeben, in welchem die reli-
giöfe Ueberzeugung, die wir Glauben nennen, ihre Wurzel
hat. Sie geht, wie in ihrer Weife fchon jede fittliche
Ueberzeugung, von einer inneren Erfahrung aus und bedarf
daher keiner Bekräftigung durch einen hiftorifchen
Beweis'. Der Verf. ftreift hier eine tiefgreifende Princip-
frage, welche freilich in diefem Zufammenhang nur ge-
ftreift, nicht gelöft werden kann: es ift die nach der
Stellung des apologetifchen Elementes in der chriftlichen
Unterweifung. Es ift ohne Zweifel richtig: was fich chrilt-
liche Ueberzeugung nennen läfst, das ift nicht anders zu
erwecken als auf dem Wege durch das Herz und das
Gewiffen. Aber haben diejenigen, die von Herzen Chriften
fein wollen, kein Recht zu fordern, dafs ihnen die chrift-
liche Unterweifung auch zu Hilfe komme, um der
Schwierigkeiten, welche fich für den zweifelnden Ver-
ftand erheben, Herr zu werden? Bei dem Syftem der
doppelten Buchführung flehen zu bleiben, darf nicht das
Ende fein. — Nicht weniger fchwierig, geradezu ver-
hängnifsvoll ift eine andere Principfrage, welche Brieger
am Schluffe, gleichfalls nur flüchtig andeutend, berührt.
Er redet von den Verfuchen, welche in wohlmeinender
Abficht gemacht werden, an die Stelle des alten Evangeliums
, um die dem Chriftenthum entfremdeten Volksmaffen
wieder zu gewinnen, eine neue Form des Chriftenthums
zu fetzen, die fociale. ,Theologen, Geiftliche, Dilettanten
in der Nationalökonomie ftellen wirthfehaftliche Programme
auf, und der Dilettantismus ift dabei noch nicht
das Schlimmfte. ,Viel fchlimmer ift die Begründung der
dilettantifchen Forderungen. Im Namen des Chriftenthums
werden fie erhoben, als ob ich als Chrift Stellung
zu nehmen hätte zu wirlhfchaftlichen Problemen!' Als
.fchwarmgeiftifche Phantome' und dazu hochgefährlich
bezeichnet Br. die focialpolitifchen Tendenzen, die er im
Sinne hat. Er hat völlig Recht, wenn er auch hier den
Grundfatz fefthält, dafs das Wort allein es thun müffe,
und davor warnt, dafs die Kirche in den wirthfehaftlichen
Kämpfen der Gegenwart Partei ergreife. Aber läfst fich
feiner obigen Frage nicht mit gleichem Recht die andere
zur Seite ftellen: was giebt es in der Welt, wozu ich als
Chrift nicht Stellung zu nehmen hätte? Die Kirche foll
in den wirthfehaftlichen Kämpfen der Zeit nicht Partei
nehmen, aber die Chriften follen ihre Schuldigkeit darin
thun, und zwar als Chriften follen fie es. Die Frage ift
zu umfaffend und tiefgreifend, um hier erfchöpfend erörtert
zu werden.

Es wird der Rede Briegers nicht an ernftem, vielleicht
gereiztem Widerfpruche fehlen. Sie fpricht zu Vieles
aus, was Viele nicht gefagt oder wenigftens nicht fo laut
und ohne Rückhalt gefagt wünfehen werden. Aber fie
ift ein Wort zu feiner Zeit und ein Anzeichen, dafs es
Frühling werden will.

Darmftadt K. Köhler.

Erhardt, Privatdoz. Frz., Metaphysik. 1. Bd. Erkenntnistheorie
. Leipzig, Reisland, 1894. (X, 642 S. gr. 8.)

M. 12.-

Dem vorliegenden, fehr umfangreichen Bande (X u.
642 S.) foll in einigen Jahren ein zweiter folgen, dem