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Ausgabe:

1894 Nr. 21

Spalte:

532-534

Autor/Hrsg.:

Winer, G. B.

Titel/Untertitel:

Grammatik des neutestamentlichen Sprachidioms 1894

Rezensent:

Blass, Friedrich

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Theologifche Literaturzeitung. 1894. Nr. 21.

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und Schriftchen verdankt. Leider entfpricht die er-
wünfchte diplomatifche Genauigkeit der Veröffentlichungen
keineswegs dem darauf verwendeten Fleifs, und ftatt
gröfserer Sicherheit über die alten Texte werden wir
nur durch eine fernerhin zu berückfichtigende Unficher-
heit gequält.

Der Codex Vercellensis, den das Capitel zu Vercelli
wohlweislich forgfältig bewahrt, ift von Belsheim hier in
feinen Bereich gezogen. Das Vorwort bietet uns einige
Bemerkungen über die Ausgaben der Handfchrift. Es
wäre beffer gewefen, hätte B. uns eine genauere Beliehen
Partien hervor. Dagegen hätte ich etwas weniger
dogmengefchichtlichen Ballaft gewünfeht. Gegen die
breiten dogmengefchichtlichen Ausführungen, die Verf. zu
jedem wichtigen Begriff giebt, erheben fich denn auch
flarke Bedenken. Verf. ift zunächft zu wenig kritifch
gegen die auf diefem fo höchft unficheren Gebiet der
Dogmengefchichte des 2. Jahrhunderts fogenannten Re-
fultate. Es fleht für ihn feil, dafs Ignatius nach 138,
Hermas um 140 anzufetzen ift. Er fpricht von einer Linie
Clemens — Ignatius — Irenaeus, von einer Uebergangs-
ftufe der altchriftlichen zur apologetifchen Literatur, von

fchreibung des gegenwärtigen Zuftandes und Inhaltes der ! Schriften, die in diefe Uebergangsperiode fallen. Gegen
Blätter gegeben. Auf das Vorwort folgt der Text. Wel- ! diefe dogmengefchichtlichen ,Linien' ift denn doch zu

eher Text aber? Der der Handfchrift? Diefen hätte B.
uns geben follen, denn er hat, laut S. V, alles, was noch
zu lefen ift, genau mit den Ausgaben von Irico und
Bianchini verglichen. Dem ift aber nicht fo. Man lefe
S. VI—VII: erftens folgt Belsheim der Ausgabe von
Irico, auch wo vielleicht etwas falfches im Codex ftand;
doch bemerkt er nicht ausdrücklich, dafs dies nur geerinnern
, dafs diefelben als Hülfsconftructionen zu unferer
Orientierung von Werth find, aber auch die Gefahr in
fich fchliefsen, dafs nun über den Linien und Formeln
der Reichthum des gefchichtlichen Lebens vergeffen
wird. Vor allem wird dabei aufser Acht gelaffen, dafs
die Entwickelung der Kirche je nach den verfchiedenen
Provinzen eine aufserordentlich verfchiedene gewefen

fchehen ift an Stellen, die heute nicht mehr zu lefen ! ift, dafs die einzelnen Schriftfteller unter individuellen

find; — zweitens verläfst er den Codex nur an wenigen
Stellen, die, 6 an der Zahl, angegeben werden; doch erregt
die Art diefer Bemerkung Belsheim's kein Vertrauen
dazu, dafs er diefe Stellen verglichen, und dafs er nur
diefe verändert hat; — drittens folgt B. an einigen Stellen
Bianchini (42 Stellen werden aufgezählt), befonders wo
der Codex jetzt unleferlich ift; alfo, Irico und doch nicht
Irico; — und viertens braucht er die Rechtfehreibung
und die Interpunktion Bianchini's, wobei Niemand fich
verhehlen wird, wie weit das Alles den urfprünglichen
Text entftellt. Alfo der Text ift weder Irico noch Bianchini
noch Codex, und ficherlich ift viel dabei von Belsheim
aus lauter Nachläffigkeit verfälfeht. Einen folchen
Text kann man unmöglich brauchen. Die 133 Seiten,
ohne kritifchen Apparat, ohne alle weitere Unterfchei-
dung zwifchen den Quellen der Angaben, wären beffer
ungedruckt geblieben.

Leipzig. Caspar Rene Gregory.

Dobschütz, Ernft v., Das Kerygma Petri, kritifch unter-
fucht. [Texte u. Unterfuchgn. zur Gefchichte der
altchriftl. Literatur, hrsg. von O. v. Gebhardt u.
A. Harnack, XL Bd., 1. Hft] Leipzig, Hinrichs, 1893.
(VII, 162 S. gr. 8.) M. 5. —

In der Einleitung diefer Erftlingsfchrift giebt der
Verfaffer einen Ueberblick über den pfeudopetrinifchen
Schriftenkreis und befpricht dann zunächft die äufseren
Zeugnifse für das Kerygma Petri. Dabei wird — zunächft
mit Recht — in dubio gelaffen, ob die in Rufin's Ueber-
fetzung von Origenes' tzbqI <xq%<~>v (praef. 8) erwähnte
Schrift doctrina Petri identifch mit dem Kerygma fei,
da Rufin an andern Stellen der Ueberfetzung (vgl. auch
die Recogn. dem.) y.rjovyiia mit praedicatio wiedergäbe.
Entfchieden abgewiesen wird die Beziehung des Citats
in de rebaptismate aus der Praedicatio Pauli auf unfre
Schrift. Ich mufs geftehen, dafs die räthfelhafte Wendung
Clem. Alex. Strom. VI, 5,42 h: nobg t(p ntzqov y.rj-
Qvyfiari b änoazoXog Xey(>>v navloc, in Verbindung mit
der Erwähnung der praedicatio Petri et Pauli Lact. div.
instit. IV, 21 doch immer wieder zu jener Combination
verlockt. Doch hat D. natürlich völlig Recht, wenn er
von jenem Citat zunächft abfieht.

Es folgt in § 3 die Herftellung des Textes (ich mache
auf die glückliche Conjectur xoidfjvai für xtiotHjvai
Fragment IX aufmerkfam), dann eine Ueberfetzung und
Erklärung der Fragmente. In der Erklärung zeigt D.
eine umfaffende litterarifche, gefchichtliche und dogmen-
gefchichtliche Kenntnifs, eine glückliche Combinations-
gabe und kritifch-philologifche Genauigkeit. Die Vorzüge
der Arbeit treten namentlich in den rein gefchicht-

und uns vielfach unbekannten Einflüffen ftanden, dafs
fie verfchiedene Zwecke mit ihren Schriften verfolgten
etc. etc. Ich möchte doch z. B. gegen den Satz von
D.'s: der Weisfagungsbeweis fei der Beweis der heiden-
chriftlichen Kirche, daran erinnern, dafs diefer Beweis
wefentlich und charakteriftifch fich bei Juftin findet, bei
ihm so ausgebildet wie bei keinem der Apologeten. Da
wäre doch zu beachten, dafs Juftin aus Samarien flammt
und umfaffende Kenntnifs jüdifcher Theologie zeigt.
Geht man noch weiter zurück, fo bin ich überzeugt, dafs
man den Hebräerbrief nicht gut verftanden hat, wenn
man ihn fo einfach heidenchrifllich zu nennen fich gewöhnt
hat.

Ein zweites Bedenken erhebt fich gegen die Methode
D.'s. In den dogmengefchichtlichen Ausfuhrungen wird
zu fehr alles mit allem verglichen. Die paulinifch-jo-
hanneifche Theologie auf der einen, die fpätere chrift-
liche Litteratur auf der andern Seite find wirklich in-
commenfurable Gröfsen. Durch frühzeitiges Vergleichen
fchädigt man das Verftändnifs beider. Vor allem aber
ift D. der fo naheliegenden Gefahr nicht entgangen, an
dem paulinifch-johanneifchen Chriftenthum als dem normalen
die fpätere Entwickelung zu meffen. Als wenn
jene Ausprägung die einzig mögliche wäre. — Wie kann
man überhaupt den Begriff oeßeoÖ-ai mit niozig <)/-
yaioaüvrj vlodsaia vergleichen! Wenn dann gar aus der
Betonung der itezdvoza in unfern Fragmenten unter dem
Hinweis, dafs diefer Begriff bei Paulus und Johannes
nicht vorkomme, auf eine moralifierende Wendung der
Schrift gefchloffen wird, fo würde am Ende nach diefer
Methode an Paulus und Johannes zu meffen auch das
Evangelium Jefu einmal fchlecht wegkommen können.

Drittens hat fich der Verf. vor der Gefahr des
Syftematifierens nicht gehütet. Wenn Chriflus in dem
erften Fragment loyoq und vöiiog genannt wird, fo verbietet
eben einfach die Kürze des Fragments die Frage
überhaupt aufzuwerfen, ob das mehr in fpeculativ-kos-
mifchem oder ethifch-religiöfem Sinn zu verftehen fei.
Noch ein Beifpiel möchte ich hier beibringen. In Fragment
IV heifst es von den Juden, dafs fie Gott nicht
verftehen, indem fie Engeln und Erzengeln, dem Monate
und Monde dienen, und wenn der Mond nicht fcheine,
feierten fie ihre Feile nicht. Hier entdeckt v. D. in einer
langen und viel intereffantes bringenden Specialunter-
fuchung eine mildere Wendung gegen das Judenthum,
namentlich im Vergleich zu der parallelen Stelle aus der
Apologie des Ariftides. Denn es fei hier das Cultgefetz
der Juden nicht direct als Engeldienft betrachtet. Aber
mit demfelben Recht könnte man auch die Stelle fo erklären
, dafs jene Werthung des jüdifchen Cultus die ftiil-
fchweigende Vorausfetzung des Satzes bildet, und dafs in
feiner zweiten Hälfte nur eine befonders beweifende IUu-