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Ausgabe:

1894 Nr. 20

Spalte:

517-520

Autor/Hrsg.:

Brandt, Sam. (Ed.)

Titel/Untertitel:

Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum. Vol. XXVII, part II, fasc. I 1894

Rezensent:

Krüger, Gustav

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Theologifche Literaturzeitung. 1894. Nr. 20.

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Geift. Von diefem Gefichtspunkt aus wird das Ganze j vornherein zur Herftellung der vollen Gemeinfchaft mit

der Dogmatik und Ethik dargeftellt, anch die Dogmatik
ethifch gerichtet, auch die Ethik berufen, darzuftellen,
was die Dogmatik zur Verwirklichung ihrer Grundgedanken
fordert. Wir folgen mit Intereffe den lebendigen
, auch dem Nichttheologen mein: verftändlichen Ausführungen
, die, mit Citaten aus Dichtern und Denkern
verfchiedener Zeiten und Völker ausgefchmückt, uns an
den mannigfachften Fragen des Erkennens und Lebens
vorüberführen — mit Intereffe, aber auch nicht ohne
Bedenken gegenüber dem Grundgedanken und manchen
Einzelnheiten.

Chrifto fordern muffen — freilich nothwendig in diefer
Geftalt nur für die Gemeinde und für den Einzelnen in
der Gemeinde; für den, der aufserhalb des Gemeindelebens
fteht, kann ,im Wort zugleich mit dem Geift der
Leib und das Blut Chrifti angeignet werden'. ,Die Taufe
ift in der Vereinigung der Gläubigen mit Chrifto der
erfte Kufs, das Abendmahl die eheliche Vereinigung'
(S. 488). Und folcherlei Gedanken foll der Herr feine
Jünger fchon gelehrt haben!

Was der Verf. über den Wandel im Geift fagt,
wird mit Gefchick gegliedert nach 1 Cor. I, Chriftus ift uns
Der Ausdruck ,Geift, Vergeiftlichung' ift gewifs und ! gemacht zur Weisheit und zur Gerechtigkeit und
mit Entfchiedenheit im fittlichen und religiöfen, nicht j zur Heiligkeit (nicht Heiligung) und zur Erlöfung.
im phyfifchen und metaphyfifchen Sinne gemeint. Den- | Auch hier können wir dem, was über die Aufgaben des
noch hat die einfeitige Hervorhebung gerade diefer Ka- Chriftenlebens im Verhältnifs zu Gott wie zu der Welt
tegorie, des Gegenfatzes von Fieifch und Geift, die be- und über die Gefinnung, die fie erfordern, gefagt wird,

greifliche Gefahr, dafs beide Gebiete, das fittliche und
das phyfifche, nicht immer fcharf genug von einander
fich fcheiden. Dies zeigt üch fchon in der Lehre von
der Sünde. Gewifs wird in Abrede geftellt, dafs die

im Allgemeinen nur beiftimmen, aber auch hier finden
wir jene Grenzfeheiden zwifchen Phyfifchem und Ethi-
fchem nicht in voller Klarheit innegehalten. Schon das
über das Abendmahl Gefagte, das wefentlich aus diefem

Sündenurin der menfehlichen Sinnlichkeit oder Schwäche 1 Theile entnommen ift, gehört hierher, ferner die Anficht,
wurzele, aber entftanden foll fie doch dadurch fein, dafs dafs Ehelofigkeit für die Pflicht fei, die die Gabe dazu
die Seele des Menfchen üatt dem Geifte — Verf. hat j haben (S. 482), befonders auch die Ausführungen über
die trichotomiftifche Anfchaung vom Menfchen — viel- j das Leiden gegen Ende des Buches. Wer kann die Be-
mehr dem Leibe fich zugewendet habe (S. 21). Ebenfo j deutung des Leidens in dem Leben der Kirche, wie des
wird allerdings das Lebensbild Chrifti in feiner Hoheit j einzelnen Chriften zu hoch fchätzen! Allein das äufsere
und fein Werk in feiner religiöfen Bedeutung mit vollem | Leben führt doch Gott nach feiner Weife und er kann
Ernft und in aller Entfchiedenheit hingeftellt, aber wie 1 auch ohne äufseres Leiden zu dem Sterben und Begra-
gelegentlich (S. 605) erwähnt wird, dafs Chriftus auch ; benwerden führen, von dem Rom. 6 die Rede ift. Auch
an Leibesfchönheit vermöge feines Geiftes der fchönfte | die .Himmelfahrt', die bei dem Chriften ebenfo felbft-
unter den Menfchenkindern gewefen fein müffe, fo wird j verftändlich fein foll, wie bei Chrifto, ift zu fehr gleich-
auch auf feine Auferftehung und Himmelfahrt befonders fam als der Abfchlufs eines Naturproceffes im höheren
in dem Sinne Gewicht gelegt, dafs er ,nun in feiner j Sinne dargeftellt.

geiftig verklärten Leiblichkeit der wirkfame Lebensgrund | Wenn wir die zahlreichen Citate des Buches muftern,
der Welt geworden fei und die ganze Gottesfülle leib- fo finden wir von neueren Theologen nur Beck und Nitzfeh,
haftig in fich trage' (S. 130). — Auch was Verf. von der von Dichtern und Denkern befonders Shakefpeare, Byron,

Rechtfertigung fagt, hängt damit zufammen. Die

Schopenhauer, vor anderen aber die Myftiker des Mittel-

Rechtfertigung ift ,der zweite Akt der Wiedergeburt, j alters und der fpäteren Zeit, Joh. Eckart, Angelus, Sile-
die aus Erleuchtung, Rechtfertigung und Heiligung be- I fius u. a. — bezeichnend für die Stelle, die Verf. felbft
fteht', und zwar ift fie derjenige Act der Wiedergeburt, | feinem Buch anweift. Wenn er auch die Spielereien
.durch den der Chriftus, der in der Verhöhnung von 1 der fog. myftifchen Theologie in ihrer Bilderfprache weit
Gott gemacht ift zur Gerechtigkeit für uns die Gerech- von fich weift, fo bekennt er doch entfehieden auf ihrem
tigkeit in uns wird'. Damit ift die Rechtfertigung als Grunde zu flehen (S. 437 ff). Wenn wir nochmals be-
actus forensis im Sinne der Reformatoren nicht geleugnet, i tonen, dafs er diefen Standpunkt mit evangelifchem
fondern die Sündenvergebung geht in diefem Acte voran Ernft und meift mit evangelifcher Nüchternheit innehält,
und die .Gerechterklärung von der Welt' fchliefst ihn ab, fo ift der Werth des Buches, aber auch die Gefahr der
aber dazwifchen liegt ,eine wirkliche und thatfächliche j Einfeitigkeit, die es nicht immer vermieden hat, damit
Mittheilung der Gnade und ihres Guts als einer wirk- | ausgefprochen.

famen Gotteskraft, die in Wirklichkeit in ihre wirklichen | Leipzig Harrnncx

Rechte und Güter, in die göttliche Gerechtigkeit als j ** _ arcung.

Eigenbefitz einfetzt' (S. 253f). Verf. beruft fich dafür auf j " "--

das Urtheil der Apologie. Aber fo gewifs für die Kieser, Archidiak. Hugo, Evangelisches und Vaterländisches
Apologie Rechtfertigung und Wiedergeburt thatfächlich j aus uer Wartburgstadt. Eine Sammlung von Reden,
zufammenfällt, fo ift doch die Gnade als innerer Eigen- | Predigten und Vorträgen. Jena, Mauke, 1804. (VI
befitz nicht die Vorausfetzung, fondern die Folge des „CTr <n at «

rechtfertigenden Unheils in feinem ganzen Umfange. — ^ä1 °- gr- °-> M. 2. ÖO

Von gröfster Bedeutung find nach Anficht des Verf.'s und Der Titel diefer Sammlung ift fehr glücklich ge-

für feine Gedankenentwickelung die beiden Johannis- wählt, denn Alles, was darin Aufnahme gefunden hat,
ftellen, Joh. III und Joh. VI, gleichviel ob fie unmittel- ift gleicher Weife durchweht, wie von dem Geifte evan-
bar von den beiden Sacramenten handeln oder nicht. | gelifchen Glaubens, fo von dem der liebenden Hingabe
Wie die Wiedergeburt nicht nur an den Geift, fondern an das Vaterland und an die thüringifche Heimath mit
an das materielle Mittel des Waffers gebunden ift, fo ift | ihren ftolzen und fchönen Erinnerungen. Mit Recht redet
auch das Effen des Fleifches und Blutes Chrifti, auch ab- 1 der Verfaffer von dem .Erdgeruch', den diefe Blätter
gefehen vom h. Abendmahl, ganz wörtlich zu nehmen nicht verleugnen follten: er ift felbft in den wenigen
(S. 488). Denn ,wie das Fieifch Chrifti im Grabe in eigentlichen Gemeindepredigten zu fpüren, die mit zum
die erfterbende Naturwelt als Lebensprincip eingefenkt Abdruck gekommen find, und es mag auch fchwer fein,
wurde, das von dem kleinen Punkte aus, an dem es fich am Fufse der Wartburg irgendwie feierlich zu reden,
der Natur einverleibte, vermöge feiner unvviderftehlichen ohne ihres berühmteften Gaftes und ihrer herzerquicken-
inneren Kraft weiter wirken mufste, fo mufs auch das , den Umgebung zu gedenken. Des Redners Geift und
vergeiftete Fieifch Chrifti in den Menfchen eingehen und [ Gemüth ift erfüllt von dem überwältigenden Eindruck,
das ift nur durch den Mund möglich'. So bringt uns den das Bild des grofsen Glaubenshelden in jedem ver-
das h. Abendmahl die Erfüllung deffen, was wir von | ftändnifsvollen Befchauer zurückläfst, und mit Verftänd-