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Ausgabe:

1894 Nr. 1

Spalte:

494-495

Autor/Hrsg.:

Müller, Ernst (Hrsg.)

Titel/Untertitel:

Luther’s Erklärung der heiligen Schrift. I - III 1894

Rezensent:

Bossert, Gustav

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497 Theologifche Literaturzeitung. 1894. Nr. 19.

tendes weitläufig gefchildert, allerdings fo, dafs ihre
Mifiionsverbote die gebührende Vei urtheilung finden,
und es werden die Stimmen einzelner Beamten, welche
nach einer Chriftianilirung und Anglifirung des Landes
verlangten, forgfältig gefammelt. Man bekommt hier in-
tereffante Auffchlüffe über fönst wenig bekannte That-
fachen. Der Grund, weshalb die deutfche Miffion von
Smith fo fehr ignorirt wird, fcheint der zu fein, dafs er
felbft der Anglifirung ftark das Wort redet, wobei die
deutfchen Miffionare keine willfährigen Gehilfen find.
Smith fordert allerdings in dem Abfchnitt über die Mif-
fionsmethode die Predigt in den Landesfprachen als
Schlüffel zu den Herzen, freut fich aber, dafs das Eng-
lifche fchon von Taufenden unter den Gebildeten ge-
fprochen wird, und beruft fich gegenüber den Anti-
Angliciften darauf, dafs die Weisheit Gottes das Grie-
chifche zur Sprache des Neuen Teftaments gewählt habe
(p. 178), — eine Begründung, die wir nicht gerechtfertigt
finden. Man follte denken, es könnte ihn in der Erwartung
, dafs die Anglifirung auch die Chriftianifirung
und die littliciie Entwicklung Indiens befördern werde,
der Umftand bedenklich machen, dafs, wie er felbft anfuhrt
, der Brahma Samadfch, mit deffen Gründer Smith
perfönlich bekannt war, jetzt feindlicher gegen das
Chriftenthum auftritt, und der Arya Samadfch, der zu
den Vedas zurückkehren will, bereits 40000 Mitglieder
zählt (p. 220). — Bei den ftatiftifchen Tabellen über die
Religionsverhältnifse ift auffallend, dafs Smith die Zahl
der evangelifchen Chriften in allen Welttheilen auf 200
Millionen, die der römifchen Katholiken auf 195 Millionen,
die der Mohammedaner auf 180 Millionen fchätzt. Er erkennt
eine befondere Schwierigkeit für die Chriftianifi-
rung von Indien aufser dem Kartensystem darin, dafs der
indifche Pantheismus fich über das Chriftenthum ftellt
und dasselbe nur als ein Phänomen im Univerfum betrachtet
(p. 216). Aber er fieht darin, dafs die Hindus
nun auch predigen und Tractate vertheilen zur Ver-
theidigung ihrer Religion ein Zeichen, dafs diefelbe wirklich
erfchüttert ift. Erfcheinungen wie der Arya Samadfch
könnten allerdings an den Neu-Platonismus erinnern.
Selbst unter den Mohammedanern ift eine bis jetzt noch
kleine Reformpartei entstanden. Unter den 2 Millionen
eingeborener Chriften, welche die Volkszählung von
1890 conftatiert hat, find 560OOO Evangelifche in Vorderindien
, 89000 in Barma. Die fyrifchen Chriften,
welche im 17. Jahrhundert vom Neftorianismus zum Jakobismus
übertraten, werden auf 300000 gefchätzt, die
übrigen find römifch-katholifch. Smith erwartet bedeutende
Fortfehritte des Chriftenthums in der nächsten
Zeit befonders dadurch, dafs verhältnifsmäfsig viele eingeborene
Chriften die höheren Schulen befuchen und
die akademifchen Grade erlangen. Unter 650 Graduirten
lind 100 Christen und nur 7 Mohammedaner.

Wenden wir uns nun zum Werk unteres deutfchen
Landsmannes, fo möchten wir vor allem unfere Freude
darüber ausfprechen, dafs uns hier ein Mittelglied geboten
wird zwifchen den Vifitationsreifen der Miffions-
infpectoren, die auch bei dem aufrichtigsten Wahrheits-
finn aus Rückficht auf die Perfonen und das Werk nicht
alles veröffentlichen dürfen, was fie beobachtet haben,
und den Berichten fonltiger Reifenden, die häufig nach
fehr oberflächlicher Kenntnifsnahme ihr Urtheil abgeben,
nicht feiten ein abfprechendes. Als Grundemann 1890
in Potsdam einen Vortrag gehalten hatte über der Men-
fchen Pläne und Gottes Wege in der Miffion, fagte in
der nachfolgenden Discuflion ein anwefender Miffionar
zu ihm: ,Wenn Du auch 30 Jahre lang die Miffion ftu-
dirt hast, — wie es wirklich auf dem Miffionsfeld aussieht
, weifst Du doch nicht' (S. 23). Diefe Aeufserung
brachte in Grundemann den Entfchlufs zu einer Reife
nach Oftindien zur Reife, für welche er vom preufsifchen
Cultusminilterium eine namhafte Subvention bekam. Von
den Ergebnifsen diefer Reife hat er fchon in Warneck's |

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Miffionszeitfchrift einzelnes veröffentlicht, und in der vorliegenden
Schrift bildet der fo eben genannte, vor der
Reife gehaltene Vortrag den ersten Abfchnitt. Darauf
folgen 6 weitere, nicht näher zufammenhängende Ab-
fchnitte: 2) Was ich in Indien gefehen und gehört habe;
3) die Selbstverleugnung in der Miffion; 4) die Miffion
und die Kunst; 5) die Miffion und die Gewohnheit;
6) Ueber die Qualität der gegenwärtigen heidenchrittlichen
Gemeinden; 7) die Miffion in den Centralprovinzer.
Wir möchten befonders den zweiten und den dritten
Abfchnitt hervorheben. Nicht nur Land und Leute
werden in kurzen Zügen anfehaulich gefchildert, fondern
auch die Licht- und Schattenfeiten der indifchen Chriften
nach Beobachtungen auf den verfchiedenften Gebieten
der deutfchen und der englifchen Miffionen im Zufam-
menhang mit ihrer ganzen nationalen und religiöfen
Entwicklung forgfältig dargestellt. Im Unterfchied von
den Engländern legt Grundemann den gröfsten Werth
darauf, dafs die eingeborenen Chriften nicht entnationa-
lifirt werden, und glaubt, dafs nur fo die Bekehrung
der Völker angebahnt weiden könne. Ueber den Erfolg
der Miffion in Indien, wo die Fortfehritte immerhin
langfamer find als auf den meisten anderen Miffionsge-
bieten, ift Grundemann fo wenig zweifelhaft, dafs er
S. 58 fügt: ,Wenn ich nicht Frau und Kinder hätte, und
wenn mir nicht in unterer Miffionsconferenz meine befondere
Arbeit zugewiefen wäre, fo würde ich überhaupt
nicht aus Indien zurückgekommen fein, fondern hätte
mit Hand an die Arbeit gelegt, da, wo der Arbeiter fo
wenige find'. Nur in zwei Punkten kann Ref. den Vor-
fchlägen Grundemann's nicht beiftimmen. Für's erfte,
dafs die Miffion, um die Chriften nicht zu entnationali-
firen, der indifchen Kunft fich anfchliefsen und durch
eine in christlichem Geist erfolgende Verwirklichung des
indifchen Schönheitsideals in Baukunlt, Bildnerei, Malerei
und Mufik der Chriftianifirung des Volkes die Wege
bahnen foll (S. 84—126). Grundemann fcheint hier, trotz
vielen Widerspruchs, den er fchon erfahren, unermüdlich
ein Steckenpferd zu reiten. Wir möchten nur darauf
hinweifen, dafs die alte christliche Kirche die griechifche
und römifche Kunft, die doch die mafsvollfte und voll-
endetfte Kunft war, nicht ohne Weiteres herübergenommen
hat in das Chriftenthum. Sollte die mafslofe
indifche Kunft, die feit den Zeiten des Buddhismus fehr
verfallen ift, fo grofse Berücklichtigung verdienen? —
Wir trauen es Grundemann zu, dafs er keine vielköpfigen
und vielarmigen Chriftusbilder zulaffen möchte, aber
wir können uns nicht recht denken, wie das indifche
Schönheitsideal in chriftlichem Geift verwirklicht werden
foll. — Der andere Punkt, den wir beanstanden möchten,
ift der Satz, dafs ,nicht aus bekehrten Seelen Gemeinden
gefammelt werden follen, fondern in gefammelten Gemeinden
der Herr durch feinen Geift die Seelen bekehrt,
ebenfo wie in den volkskirchlichen Gemeinden der alten
Christenheit' (S. 175). Es ift gewifs richtig, dafs manche
Miffionare zu einfeitig die Einzelbekehrung in's Auge
gefafst haben, wenn fie auch die Chriftianifirung des
ganzen Volkes wünfehten, und dafs die urfprünglich
pantheiftifche Bedeutung der Sanskritwörter, welche für
die christliche Glaubenslehre gebraucht werden, die
Hindus erst nach längerer Unterweifung zum eigentlichen
Verftändnifs der christlichen Religion kommen läfst.
Allein die evangelifche Heidenpredigt mufs doch die
apoftolifche Praxis zum Vorbild nehmen, nicht die
Verhältnifse unferer Volkskirchen. Wir wollen hier nicht
über den Begriff der Bekehrung streiten; aber das ift
doch klar, dafs der Uebertritt eines Heiden, zumal unter
dem Druck des indifchen Kaftenfyftems, in der Regel
einen viel fchwierigeren Entfchlufs zur Umkehr vom
bisherigen Lebensweg erfordert, als ihn ein Christ zu
faffen hat, der tiefere religiöfe Eindrücke empfängt.
In der Regel wird man alfo im Heidenland ohne wirkliche
Bekehrung von Einzelnen keine Gemeinden fammeln