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Ausgabe:

1894 Nr. 19

Spalte:

488-490

Autor/Hrsg.:

Papadopoylos-Kerameys, A.

Titel/Untertitel:

Jerosolymitiche bibliothiche etoi chatalogos ton en tais 1894

Rezensent:

Achelis, Hans

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Theologifche Literaturzeitung. 1894. Nr. 19.

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aller kirchenhiftorifchen Handbücher der letzten Jahrzehnte
die Palme mit Erfolg ftreitig machen kann. Anordnung
wie Einzelausführung, Stoffauswahl und Literaturbenutzung
können in gleicher Weife gerühmt werden.
Und fo zweifellos auch der Forderung ihr Recht wird,
deren Beachtung das Charakteriftifche moderner Kir-
chengefchichte zu werden verfpricht — der Forderung,
dafs die Gefchichte der Kirche nicht ifolirt werde
gegenüber der Gefchichte der die Entwicklung in der
Kirche mitbedingenden, politifchen und culturellen
Verhältnifse: fo zweifellos ift doch diefe Gefchichte der
Reformation und Gegenreformation ein theologifch.es
Buch, das als folches jeden Theologen erfreuen mufs,
der der Hoffnung lebt, dafs auch die Kirchengefchichte
mit daran helfen wird, ein Theologengefchlecht heranzubilden
, das in den unverfälfchten Grundgedanken der
Luther'fchen Reformation und ihrer confequenten Durchführung
das pofitiv wie negativ gleich wirkfame Pleil-
mittel für die traurigen Zuftände der kirchlichen Gegenwart
finden lernt.

Der verewigte Möller hat nur noch geringen An-
theil an diefem Bande: I1/, Seiten nur (das Kleingedruckte
S. 349 u. 350) flammen fall unverändert aus feiner Feder;
die übrigen directen Vorarbeiten, die fein Nachlafs für
die Fortfetzung feiner Kirchengefchichte bot, bezogen
fielt auf folche Abfchnitte der neueren Kirchengefchichte,
die aus dem Rahmen diefes in der Mitte des 17. Jahrh.
abbrechenden Bandes herausfallen. Möller's Colleg-
hefte lagen allerdings in z. Th. neuen Ausarbeitungen
vor und ,mit Dank und Nutzen find fie verglichen worden'.
Allein fo liebenswürdig die Pietät ift, die auch diefen
Band unter Möller's Namen hat ausgehen laffen, er ift
doch wefentlich ein Ehrendenkmal, das fremde Hand
dem unter uns geachteten Namen gefetzt hat: er ift
Kawerau's Werk. Pietätvoll hat Kawerau im Vorwort
(p. VIII) hervorgehoben, dafs er abgefehen von
den unabhängig von Möller's Heften gearbeiteten ,Abtheilungen
I und VII und manchen Capiteln in den
andern Abtheilungen' Möller's Hefte regelmäfsig verglichen
und manches aus ihnen herübergenommen habe.
Doch Abtheilung I allein (.die deutfche Reformation
bis 1555') umfafst 148 Seiten! Und wenn Kawerau fagt,
dafs er fchon durch feine ftark abweichende Dispofition
des Stoffes, fowie durch das Bedürfnifs, die Forfchungen
der letzten Jahre möglichft ausgiebig zu verwerthen,
den Heften gegenüber zu weit gröfserer Selbftändigkeit
veranlafst fei, als er bei Uebernahme der Arbeit vorausgefetzt
habe, fowird jeder Lefer, der Kawe rau's Arbeitsart
auf Schritt und Tritt in dem Buche wiedererkennt,
an diefen Worten ermeffen können, dafs Kawerau dem
Verftorbenen zu Ehren feine eingeftandenermafsen nicht
kleine Arbeit an dem vortrefflichen Buche doch noch
zu klein hat erfcheinen laffen. Denn es gereicht dem
Andenken des vor 2 Jahren nach längerer Krankheit aus
unferer Mitte abgerufenen Möller nicht zur Unehre,
wenn man conftatirt, dafs das Werthvollfte an diefem
Bande zweifellos auf Kawerau's Rechnung zu fetzen ift.
Die Gefchichte der Reformation und Gegenreformation
ift feit den letzten Jahrzehnten ein Gebiet fo ausgedehnter
Specialforfchung geworden, und noch die letzten
fünf bis zehn Jahre, in denen Möller's Arbeitskraft
fchon gefchwächt und durch andere Aufgaben in An-
fpruch genommen war, haben foviel Neues gebracht,
dafs Möller eine fo vollkommen den gegenwärtigen
Stand der Forfchung wiederfpiegelnde Darftellung nicht
hätte geben können. Kawerau ift feit mehr als einem
Jahrzehnt einer der gefchätzteften Specialforfcher auf
dem Gebiet der Reformationsgefchichte, von feiner
Belefenheit und Akribie wiffen vornehmlich auch die
Spalten diefer Zeitung zu zeugen: die Darftellung der
deutfch-fchweizerifchen Reformation bis 1555 von feiner
Hand (Abtheilung I) mit ihrer fachgemäfsen Verwerthung
auch entlegener Quellen, ihrer Nutzbarmachung einer

weitverzweigten, ad hoc gar nicht zu bewältigenden Literatur
, ihren vortrefflichen Literaturangaben werden
Kirchenhiftoriker und politifche Reformationshiftoriker
in gleicher Weife fchätzen müffen, auch wenn diefe und
jene an verfchiedenen Orten das für fie Belehrendfte
finden. In den übrigen Abtheilungen, die nicht fo aus-
fchliefslich lediglich Kawerau's Arbeit find — Abtheilung
VII (Die kleineren akatholifchen Gruppen), die
auch ausfchliefslich feiner Feder entflammt, hat nur geringen
Umfang (S. 394—429) —, ift, was von Möller
herrühren mag, als folches nirgend zu erkennen. Denn was

| an Möller's Darftellungsweife befonders gerühmt ift,
die vornehme Ruhe und Sicherheit, die Sorgfalt und

j Gerechtigkeit derfelben, die gleichen Vorzüge weift
K awerau's Darftellung in Abtheilung I einem befonders
fchwierigen Stoffe gegenüber auf. Das ganze Buch
könnte deshalb fich darflellen wie ein Werk eines Guffes,
auch wenn der Möller'fchen Sätze mehr darin wären,

I als wahrfcheinlich der Fall ift. Dennoch merkt man
überall Kawerau's Arbeit, den Einflufs feiner (launens-
werthen Belefenheit, die Verwerthung neuefter Forfchungen
. Da auch der Druck fehr correct ift und da
es mir unpaffend erfcheint, wenn ich eine für mich viel-

j leicht refultatlofe Jagd auf kleine Verfetten anflehen
wollte, fo könnte ich die Anzeige fchliefsen, wäre nicht
die Art der Dispofition noch einer befonderen Hervorhebung
bedürftig.l)

In der Reformationsgefchichte hat fich in den älteren
Lehrbüchern die fchematifche Dispofition des Stoffes

j allerdings nicht fo ftörend geltend gemacht, wie in den
Abfchnitten der Kirchengefchichte, für welche Karl
Müller's Grundrifs den erften Verfuch einer Befeitigung
derfelben darfteilt. Die Schemata mufsten hier vielfach
der allzu deutlichen Einficht in die fachlichen Zufam-
menhänge weichen. Dennoch blieb von dem alten
Schematismus viel: Reformation und ,Deformation', die
Lehrftreitigkeiten und die territoriale Entwicklung der
Reformation, katholifche Reftauration und katholifches
Mönchthum u. f. w. wurden reinlich in verfchiedenen

| Fächern untergebracht, fodafs die Dispofition mehr an
die eines Bibliothekskatalogs als daran erinnerte, dafs in
gefchichtlicher Darfteilung die Dispofition ein Hülfsmittel
des gefchichtlichen Verfländnifses fein foll. Bricht
man mit diefer Regiftratortradition, fo ift die Dispofition
des Stoffes gerade für die Zeit von 1517—1648 vielfach
fo deutlich durch die gefchichtlichen Zufammenhänge
und durch die Rückficht auf pädagogifch wirkfame Con-
trafte vorgezeichnet, dafs, wenn einmal der Anfang ge-

1 macht ift, fich bald eine beffere Tradition bilden wird
als die bisher herrfchende. Kawerau hat diefen Anfang
gemacht, und mir ift's eine Freude gewefen, zu
fehen, dafs meine feit Jahren für meine Zuhörer gedruckten
Dispofitionen, in der Gefammtordnung wie im
Einzelnen vielfach in erfreulichfter Weife mit ihm zufam-
mentreffend, mir beweifen, dafs eine Uebereinftimmung

1) Nur in fachlichem InterefTe erwähne ich, dafs ich die auch von
I Kawerau feilgehaltene herkömmliche Darftellung der Altenhurger Verhandlungen
mit Miltitz nicht für richtig halte. Ich verdanke diefe Er-
kenntnifs der Bemerkung, die Brieger in diefer Zeitung I I 886 Sp. 207)
über den angeblich zweiten Brief Luthers an Leo X. (Enders I Nr. 159)
1 gemacht hat. Briegers Behauptung, jener Brief fei ein in Altenburg ver-
fafstes, aber nie abgefchicktes Concept, ift zweifellos richtig. Rechnet
man nur einmal ex hypothesi mit ihr, fo erkennt man, dafs man bisher
irrig die Verhandlungen mit Miltitz nach de Wette I, 108 S. 207 f. dar-
geftellt hat. Luther hat die dort dem Kurfürften gemachten Zuge-
ftändnifse zwar Miltitz auch angeboten, diefer aber hat fie nicht für ge-
I niigend angefehen. Die Uebereinkunft mit Miltitz erfolgte auf der Bafis
j der beiden Abmachungen, welche Luther in dem fpätern Briefe bei de
I Wette I, 109 S. 209 angiebt. Der .Unterricht auf etliche Artikel' u. f. w.

ift doch erfchienen, weil der Kurfürft eine folche Schrift
| wünfehte. Der in ep. 108 geplante Brief Luthers an den Pabft ift bei
| der .endlichen' (ep. 109) Uebereinkunft mit Miltitz durch einen Brief des
j letztern ersetzt worden. — Ob Brieger im Einzelnen über die Verhand-
| hingen in Altenburg ebenfo denkt, als hier angedeutet ift, weifs ich nicht;
I doch fcheint mir das Gefugte fo nothwendig mit dem von ihm Bchaup-
I teten verbunden zu fein, dafs ich feine Anficht zu vertreten glauben darf