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Ausgabe:

1894

Spalte:

466-468

Autor/Hrsg.:

Burckhardt-Biedermann, Th.

Titel/Untertitel:

Bonifacius Amerbach und die Reformation 1894

Rezensent:

Enders, Ernst Ludwig

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Theologifche Literaturzeitung. 1894. Nr. 18.

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das Breve vom 13. Juli 1886 (S. 581) gehört nicht hierher
— ift eine Verordnung des Generals Beckx vom
J. 1858 über die Wiedereinführung eines dreijährigen
(ftatt des zweijährigen) philofophifchen Curfus (S. 555).
Darin findet fich auch S. 567 ein Verzeichnifs von 81
philofophifchen Sätzen, die nicht gelehrt werden dürfen.

In den ,Moralftreitigkeiten' wird S. 488. 511 in Kürze
über die neue Ratio berichtet, S. 499 auch über die
neueren Erklärungen der Jefuiten über die Autorität des
Thomas von Aquin, die bei Duhr fehlen. — In dem
Abfchnitte über den Gefchichtsunterricht an den Jefui-
tengymnafien (S. 105) wird auch das Handbuch des P.
Maximilian Dufresne befprochen, das als Rudimenta
Historien und .hiflorifcher Anfang' von 1727 an in einer
Reihe von Ausgaben erfchien. Wenn dasfelbe ,fehr
fcharf angegriffen wurde' (S. 115), fo bezogen fich übrigens
die Angriffe nicht blofs auf die Reformationsge-
fchichte, fondern auch auf die Gefchichte der mittelalterlichen
Päpfte und Kaifer und anderes. Vgl. die Auszüge
in der Preiburger Zeitfchrift ,Der Freymüthige' 1782,
2. Bd. S. 484 ff. (und im .Deutfchen Merkur' 1887, 209).
— In den Regeln für Gymnafialfchüler in der alten
Ratio hiefs es: 'Neque ad publica spcctacula, co/noedias,
ludos eant neque ad supplicia reorum, nisi forte haereti-
corutn. In der neuen Ratio find die drei letzten Worte
geftrichen (Moralftreitigkeiten S. 671). Die Streichung
war 1829 von den Schweizer Jefuiten beantragt (Duhr
S. 405). Diefelben beantragten 1830 die Streichung des
ganzen Verbotes, ne discipuli eant ad supplicia reorum,
nisi forte haereticorum, mit der Motivirung: Friburgi
enim Hclvetiorum ex antiquissima consuctudine non solum
peniuttitttr, 11t adsint auditores suppliciis, sed, ut adcsse
possint, etiam scholae vacant (S. 445). 1835 fchlugen fie
vor, den Worten: nec ad supplicia eant beizufügen: nisi
aliter regionis mos postulct (S. 536). — Ueber die Schulkomödien
, die früher in den Jefuitenfchulen eine grofse
Rolle fpielten (Moralftreitigkeiten S. 579, 602; P. Pachtler
wollte denfelben wenigftens zwei Bände widmen), wird
bei der Redaction der neuen Ratio bemerkt: fie hätten
geringen Nutzen und feien nicht immer unbedenklich,
könnten aber in einigen Gegenden nicht abgefchafft
werden; fie feien dann in der Landesfprache aufzuführen;
andere Uebungen feien aber nützlicher und paffender
(S. 479; von Duhr S. 462 ungenau wiedergegeben). —
Ein drolliges Actenffück ift die .Tifchordnung des Münchener
Seminars' von 1612, die P. Duhr S. 332 abdrucken
läfst, mit dem lebhaften Bedauern, dafs er, wegen Mangels
an Raum nicht eine gröfsere Zahl diefer Documente
bringen könne'. Unter anderen wird in No. 17 bemerkt
: ,Ueber Tifch viel reufpern und fpugen, naffen-
grüblen, fchneizen, kopfkrazen ift nit höflich, fondern
bayrifch'.

Bonn. F. H. Reufch.

Landwehr, Hugo, Die Kirchenpolitik Friedrich Wilhelms, des
Grossen Kurfürsten. Auf Grund archivalifcher Quellen.
Berlin, E. Hofmann & Co., 1894. (XII, 385 S. 8.) M. 7. 20
Unfere Kenntnifs der Regierungsthätigkeit des grofsen
Kurfürften nach der Seite der kirchlichen Verhältnifse
hat durch das vorliegende Werk eine werthvolle Bereicherung
erfahren. Es ift die Frucht von zehnjährigen,
umfaffenden und eindringenden Forfchungen, zu welchen
den Stoff hauptfächlich das geheime Staatsarchiv zu
Berlin, dann das Archiv des dortigen Confiftoriums, fo-
wie eine Anzahl von Bibliotheken geliefert hat, aufser-
dem neuere Quellenfammlungen, wie die ,Urkunden und
Actenftücke zur Gefchichte des Kurfürften Friedrich
Wilhelm von Brandenburg'. Kirchenarchive, welche ihm
zugänglich waren, hat der Verfaffer meift in fo verwahrlostem
Zuftande gefunden, dafs ihre Benutzung unmöglich
war, ein Wink für die betreffenden Behörden. Die Dar-
(tellung des Verf.'s bezieht fich ausfchliefslich auf die Verhältnifse
der evangelifchen Kirche, fo dafs das Buch als
Ergänzung zu dem Werke von Lehmann ,Preufsen und
die katholifche Kirche' hinzutritt. Der Verf. glaubt auf
Grund feiner Studien über die Kirchenpolitik des grofsen
Kurfürften ,das landläufige Urtheil über diefe Vorgänge
umftofsen zu können'. ,Der grofse Kurfürft hat keine
Unionspolitik verfolgt, fondern nur die Toleranz zwifchen
den beiden fo nahe verwandten Bekenntnifsen angeftrebt'.
Es fragt fich doch, ob es als das landläufige Urtheil bezeichnet
werden kann, dafs der grofse Kurfürft eine
Unionspolitik verfolgt habe. Es genügt, an die kühle
Aufnahme zu erinnern, welche die unklare Unionsagitation
des Duräus bei dem Kurfürften gefunden hat, um das
Urtheil über jene angebliche Unionspolitik klar zu (teilen.
Von einer Union im heutigen Sinne, d. h. einer Ver-
fchmelzung der beiden evangelifchen Confeffionen zu einem
einheitlichen kirchlichen Organismus, ift bei ihm nie die
Rede gewefen, davon war dieZeit noch viel zu weit entfernt.
Dafs er blofs daran gedacht habe, gegenfeitige Toleranz
zur Geltung zu bringen, wäre freilich zu wenig gefagt.
Er verfolgt das Ziel, die evangelifchen Confeffionen als
gleichberechtigte Formen evangelifchen Chriftenthums
unter gegenfeitiger Anerkennung neben einander flehen
zu laffen. Unfer Verf. redet mit unverhohlenem Mißfallen
davon, dafs der Kurfürft bei diefem Streben den
Reformirten mehr Gunft erwiefen habe, als Grund und
Anlafs dazu vorhanden war. Er weift das verbreitete
Urtheil, dafs zu jener Zeit die Lutheraner die Friedensstörer
gewefen feien, ,während die Reformirten in Wahrheit
doch ebenfo kampfluftig waren', entfchieden zurück.
Ein kräftiges confeffionelles Bewufstfein hat ficherlich
den Reformirten damals fo wenig gefehlt, wie den Lutht-
rifchen, aber zelotifcheVerdammungsfprüche wie jener, der
von der Kanzel der Berliner Nicolaikirche gelegentlich zu
vernehmen war: ,wer nicht lutherifch ift, der ift verflucht'
(S. 197), wären bei keinem reformirten Prediger möglich
gewefen, und die wiederholten Verbote des Verketzerns
und Verläfterns richteten fich nicht zufällig vorherrfchend
gegen die Lutheraner. Begünftigungen der Reformirten,
z. B. durch die Einführung auswärtiger Anfiedler reformirten
Bekenntnifses oder durch die Erleichterung refor-
mirter Gemeindebildung, find vorgekommen, aber keine
folchen, welche den Lutheranern Grund zur Befchwerde
über Rechtskränkung hätten geben können, und dafs
der Kurfürft hier oder dort ,angriffsweife' gegen feine
lutherifchen Unterthanen vorgegangen fei (S. 278), läfst
fich mit den Thatfachen nicht erweifen.

Alles in Allem kommt der Verf. zu dem Schlufs,
dafs von einer einheitlichen Kirchenpolitik des grofsen
Kurfürften eigentlich nicht oder kaum die Rede lein
könne. ,Die Kirchenpolitik des grofsen Kurfürften ftrahlt
nicht in grofsen genialen Zügen, fie geht vorsichtig abwartend
überall zu Werk. — Sie war eine Opportunitäts-
politik, die von den gegebenen Umständen fich stets abhängig
machte'. Es ift wahr, der Kurfürft hat unter den
unglaublichsten, oft geradezu unbesiegbaren Hindernifsen
und Schwierigkeiten in der Politik wie auf dem kirchlichen
Gebiete feinen Weg machen müffen; er hat nicht
feiten Zugeftändnifse machen, fich mit halben Erfolgen
begnügen müffen, um nicht Alles auf's Spiel zu fetzen.
Dazu machte die grofse Verfchiedenartigkeit der Verhältnifse
in den verfchiedenen, weit auseinander gezogenen
Gebieten, die er beherrfchte, ein gleichartiges Verfahren
zur Unmöglichkeit. Seine Politik hat mit den Verhält-
nifsen rechnen müffen, aber eine Opportunitätspolitik im
fchlechten Sinne kann fie darum nicht heifsen. Ein einheitlich
kenntlicher Grundcharakter fehlt ihr nicht. Es
ift der einer bewufst und entfchloffen durchgeführten
evangelifchen Politik. Es ift ja richtig, wenn Landwehr
(S. 351) darauf hin weift: ,Der Reformator der Deutfchen
war und bleibt Luther, er fleht noch heute unferer Volks-
feele näher als Zwingli oder gar Calvin. Die Grundrichtung
der deutfchen Reformation ift lutherifch'. Aber