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Ausgabe:

1894 Nr. 18

Spalte:

464-466

Autor/Hrsg.:

Thümmel, W.

Titel/Untertitel:

Zur Beurtheilung des Dogmatismus 1894

Rezensent:

Achelis, Hans

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Theologifche Literaturzeitung. 1894. Nr. 18.

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Ordnung abzulegen, fowie der anderen Forderung, an
der reformirten Abendmahlsfeier theilzunehmen, nachzukommen
. Andererfeits halten ihn aber fowohl perfön-
liche Verhältnifse, als auch eine tief-innerliche Liebe zu
feiner Vaterftadt ab, dem Rath feiner Freunde nachzugeben
, auszuwandern und einer der in jener Zeit mehrfach
an ihn ergangenen Berufungen nach auswärts Folge
zu leiften, obgleich er fich manchmal doch zur Auswanderung
verfucht fühlt und in diefer Angelegenheit
Juni 1531 fogar an Luther, mit deffen Abendmahlslehre
er fowohl in der Verwerfung der Transfubftantiation als
auch in der Beibehaltung des wirklichen Empfangs des
Leibes und Blutes Chrifti übereinftimmte, zu fchreiben,
feine Meinung fich darüber erbittend: ob es evangelifch
fei, zum Abendmahl zu zwingen? er felbft ftehe den
Verhältnifsen rathlos gegenüber: ohne fein Gewiffen zu
verletzen, könne er nicht bleiben, und doch auch wiffe
er nicht, wo er hingehen folle, da anderwärts, wohin er
gehen könne, nicht das reine Evangelium gelehrt werde:
,Nec tarnen hinc descedenti alio quam ad Caesarianos
migrandi facultas est, apud quos ut sane verum Christi
corpus in coena adesse non negent, ita complura alia,
qiiae purum pidum Evangelium non redoleant, doceri non
ignoras} Am liebften wäre es ihm, ja er würde es als
einen Gewinn anfehen, wenn er nach Wittenberg auswandern
könnte; aber fo weit fort könne er nicht, er
würde feine Familie ruiniren. Doch ift es fehr fraglich,
ob diefer Brief jemals abgefchickt wurde, von einer
Antwort Luther's ift wenigftens durchaus nichts bekannt.
So zieht fich der Conflict mehrere Jahre hin, bis ihm
endlich 1534 zwei Schriften des Strafsburgers Bucer, in
welchen eine Vermittelung zwifchen der Schweizer und
der Lutherifchen Lehre verfucht war, fowie die von
Bucer im December 1534 zu Kaffel zu Stande gebrachte
vorübergehende Einigung mit Melanchthon, der fich auch
Bafel geneigt zeigte, ihn erlöfte und fein Gewiffen von
der Angft befreite, fo dafs er jetzt Theil an dem Abendmahl
nehmen und mit feinen Mitbürgern wieder in un-
geftörtem Frieden leben konnte. Der fo durch eigene
bittere Erfahrungen Hindurchgegangene hatte aber als
Gewinn derfelben für feine eigene Perfönlichkeit eine
Toleranz und Abneigung gegen Dogmenftreitigkeiten,
bei allem perfönlich lebendigen und innigen Chriften-
thum, davongetragen, die ihn gewiffermafsen als vereinzelten
Vorläufer fpäterer Ideen erfcheinen läfst, für
welche die damalige Zeit auf beiden Seiten, auch nicht
auf evangelifcher, noch nicht reif war.

Der gefchichtlichen Darftellung hat der Verf. ein
diefelbe an Umfang überragendes werthvolles Beilagen-
Material, beftehend in Briefen, dem Tagebuch aus der
Conflictszeit u. f. w., beigegeben, das er mit erläuternden
Noten und Hinweifungen auf die betr. Literatur verfah.
Manche intereffante Einzelheit zur Reformationsgefchichte,
die nicht gerade Amerbach felbft betrifft, läfst fich den
Briefen entnehmen; fo war es z. B. dem Referenten neu,
dafs unter den Begleitern Luther's nach Worms 1521
aus freiwilligem Antrieb fich auch der damalige Wittenberger
Student Thomas Blaurer aus Conftanz, der fpäter
für die Reformation feiner Vaterftadt fo thätige Bürger-
meifter und Bruder des bekannten Ambrofius Blaurer,
befand (S. 152), der weder von Köftlin, Luth.2 I, 439,
noch von Kolde, Luth. I, 321 erwähnt wird.

Zu S. 1903, wo Burckhardt auf das Verhältnifs
Joh. a Lasco's zu Amerbach eingeht und anführt, dafs
Bartels in feinem: Joh. a Lasco 1860, unter den Basler
bekannten Lasco's Amerbach nicht erwähnt, bemerken
wir, dafs dagegen Dalton, Joh. a Lasco 1881, der
Burckhardt bei feinen fonftigen genauen und fehr zahlreichen
Literaturangaben entgangen zu fein fcheint,
mehrfach auf das Freundfchaftsverhältnifs Beider zu
fprechen kommt, vgl. die betr. Stellen im Regifler von
Dalton s. v. Amerbach.

Der Druck ift im Ganzen correct; von finnftörenden

Druckfehlern, die dem Lefer Schwierigkeiten machen
könnten, ift Ref. nur einer aufgeftofsen, S. 274: in com-
munem lecum ftatt lectum. Leider ift die Handfchrift
Amerbach's eine fo fchwer zu lefende, dafs der Herausgeber
an vielen Stellen zu den .... feine Zuflucht nehmen
mufste. Ein fehr fchöner Stich des Bruftbilds Amerbach's
aus jüngeren Jahren, nach einem Gemälde Holbein's, gereicht
dem Buche zum fchönen Schmucke, er bringt uns
die liebenswürdige Perfönlichkeit auch äufserlich näher,
von der Burckhardt mit Recht fagt S. IV: ,Es giebt
zum Glück auch Menfchen, die in keines der von Men-
fchen gefchaffenen Fächer hineinpaffen, die ohne die
Parteien und über denfelben leben'.

Oberrad. Enders.

PachtIer, G. M., S. J., Ratio studiorum et institutiones
scholasticae Societatis Jesu per Germaniam olim vigen-
tes, collectae, concinnatae, dilucidatae. Vol. IV. com-
plectens monumenta, quae pertinent ad gymnasia,
convictus (1600—1773) itemque ad rationem studiorum
(anno 1832) recognitam, adornavit ediditque Bernhard
Duhr S. J. [Monumenta Germaniae paedago-
gica. Hrsg. von Karl Kehrbach. 16. Bd.] Berlin,
A. Hofmann & Co. 1894. (XVIII, 620 S. gr. 8.)

M. 15.—

Die drei von P. Pachtler (f 1889) herausgegebenen
Bände habe ich 1887 Nr. 13, 1888 Nr. 13 und 1890 Nr. 24
befprochen. Der vorliegende von P. Duhr herausgegebene
Band bringt das Werk zum Abfchluffe und enthält
darum auch ein ausführliches Perfonen- und Sach-
regifter. P. Pachtler hatte noch eine Reihe von Bänden
in Ausficht geftellt (L.-Z. 1887, 301), mindeftens noch
vier. P. Duhr hat es aber für beffer gehalten, ,die von
verfchiedenen Seiten geäufserten Wünfche auf Kürzung
nicht unberückfichtigt zu laffen'. Ein ganzer Band follte
mit den gymnafialpädagogifchen Schriften der Patres
Sacchini, Jouvancy und Kropf gefüllt werden. Die Schriften
der beiden erften Autoren hat Duhr, da fie noch in
unterem Jahrhundert neugedruckt worden find, ganz
weggelaffen, von der zu München 1736 gedruckten
Schrift des P. Franz Kropf nur Stücke aufgenommen,
daneben aber auch Stücke von der faft gleichzeitig er-
fchienenen Schrift des P. Franz Wagner. Aufserdem
bringt die erfte Abtheilung Verordnungen über die
Heranbildung der Lehrer für die Gymnafialclaffen, Lec-
tionspläne von Gymnafiens, Verzeichnifse der Lehrbücher
und dgl., auch Verordnungen über die Sorge für arme
Schüler. Die zweite Abtheilung enthält Actenftücke, die
fich auf die von Jefuiten geleiteten Gymnafialconvicte
und theologifchen Seminarien beziehen. Der Abdruck
aller diefer Actenftücke ift dankenswerth, wenn auch
manche derfelben nur eine geringe Bedeutung für die
Gefchichte des Unterrichtswefens der Jefuiten haben.

Die dritte Abtheilung bringt Actenftücke zu der
neuen Ratio studiorum, die im Jahre 1832 fertig geftellt,
aber noch immer nicht von einer Generalcongregation
genehmigt worden ift und darum noch keine Gefetzes-
kraft erlangt hat. Ihre Abweichungen von der älteren
Ratio hat P. Pachtler in dem 2. Bande mitgetheilt.
P. Duhr giebt S. 459 eine kurze Ueberficht über diefe
Aenderungen, S. 470 die ausführliche Motivirung derfelben
durch die von dem General Roothan niedergefetzte
Commiffion. Aufserdem bringt die 3. Abtheilung
Actenftücke, die fich auf die Vorbereitung der neuen
Ratio in den Jahren 1814—32 und auf die Durchführung
derfelben in den Jahren 1834—58 beziehen. Die meiften
diefer Actenftücke waren bisher noch nicht gedruckt oder
doch in weiteren Kreifen nicht bekannt. Das letzte
hierher gehörende Actenftück — die ,Neubeltätigung der
Privilegien der Gefellfchaft Jefu durch Leo XIII.' durch