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Ausgabe:

1894 Nr. 17

Spalte:

439-444

Autor/Hrsg.:

Zahn, Theodor

Titel/Untertitel:

Forschungen zur Geschichte des neutestamentlichen Kanons und der altkirchlichen Literatur. V. Theil 1894

Rezensent:

Hennecke, Edgar

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Theologifche Literaturzeitung. 1894. Nr. 17.

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feine Rede find doch, wenn auch nur fpärlich, biblifche
Reminiscenzen und Anklänge eingeflochten' (204).
Nimmt man hinzu, dafs das Wenige, was Arift. davon
bietet, durchaus verfteckt auftritt, fo ift nicht einzufehen,
wie der Ueberfetzer zu Gunften einer in kirchlichem
Gebrauch befindlichen Ueberfetzung (der Pefchittha) Abweichungen
hätte einführen follen. — Ueberhaupt darf
die Frage nach der Entlehnung biblifcher Wendungen
und Sätze, gerade bei diefem Autor, nicht überfpannt
werden. Die literarifchen Beziehungen der kleinen Schrift
find in diefer Hinficht möglichft gering zu bemeffen;
und aus vereinzelten Anklängen (f. die Zufammenftellung
204; vgl. 211 ff.) zu folgern, ,dafs Arift. fleh mit einer
grofsen Anzahl neuteft. Schriften, obgleich er directe
Gitate nicht braucht, vertraut zeigt', ift gewagt (ftarke
Behauptungen bot Lemme, Neue Jahrbb. für deutfehe
Theol. II 2 p. 303 ff.). Hat A. auch den Römerbrief
ficher gekannt [Entlehnungen von Rom. I, 25. (V. 23).
V. 22 (gegen Seeberg 165. 350 unten). 14, 18. (11, 36).
Anklänge an einzelne Wendungen in Rom. 1, 18. 20 f.
23 f. 7, 8. 12. 16. (24.) 12, 13], und war ihm daneben
manches aus den Evangelien geläufig, fo wirft doch gerade
die freie, dem ursprünglichen Zufammenhange der
Stellen zuwiderlaufende Citationsweife auf feine Schätzung
jener Schriften fowie auf fein Verftändnifs ein eigen-
thümliches Licht, zumal wenn man hinzunimmt, dafs an
altteft. Anklängen nahezu nichts vorliegt (f. nur Hiob
12, 25 LXX zu c. 16 extr. V. i6b zu c. 1 extr. — Darf
man hieraus und aus dem vereinzelten Auftreten von
Matth. 13, 44 auf ein Vorkommen diefer Stellen in altkirchlichen
Lectionen fchliefsen?), während eine flüchtige
Bekanntfchaft mit Plato's Timaeus ganz von fernher
durchblickt. Auffallend dagegen und einer befonde-
ren Behandlung werth erfcheint mir eine faft durchgehende
Berührung der Apol. mit der Areopagrede
des Paulus {Act. ap. 17, 22b—31). Mit Recht erklärt es
S. für ,erwiefen, dafs Arift. die Praed. [Petri] gekannt
hat und dafs fie auf feine Darftellung einen eingreifenderen
Einflufs als irgend ein neuteftamentliches Buch ausgeübt
hat'. Beachtet man dabei, dafs wir nur einige, wenn
auch wichtige, gerade die Identität der apologetifchen
Methode erweifende — fie ift auch beim Briefe an Diognet
die gleiche —■ Stücke der Praed. befitzen, fo wird man
zögern, den Kreis von (aufserkanonifchen) Schriften (vgl.
215 f.), der die Leetüre des A. vor Abfaffung feiner
Apol. umfpannte, auch auf epist. Clem. ad Cor., Pastor
Hermae, die Clemenshomilie {epist. II ad Cor.) auszudehnen
(das sv nveviiazi äyiqi darf jedenfalls hiefür
nicht ausgebeutet werden!), wie es S. zuerft zaghaft
(220 ff.), dann aber mit ziemlicher Beftimmtheit (245) thut.
Mit einiger Sicherheit läfst fleh nur noch die Benutzung
der Didache behaupten, aus der mehrere Sätze, falls fie
nicht auch in Praed. Petri ftanden, zur Befchreibung des
Chriftenlebens (vgl. Tertull. ad Scap. 4. Hippol. can. 30
Arcliel. et Man. disput. 3) verwendet werden. Für feine
Polemik gegen den griechifchen Götterglauben mögen
ihm wie Späteren (aufser den Apologeten, z. B. Theoph.
ad Autol. I 9 f. III 3, vgl. Ps. Clem., hom. und recogn.;
Ps. Justin, oratio; acta disput. S. Achatii, bei Ruinart,
acta tnart. ed. Antwerp. p. 152 ff. 412 f.) polemifche Handbacher
aus jüdifchen oder Philofophenfchulen (Lucian!
cf. 288 A. 1) zur Verfügung geftanden haben, wie feine
Bekämpfung der Vergötterung der Elemente gleichfalls
ihre Analogien bei Späteren hat (f. den Index meiner
Ausg. sub aznr/sia und dazu Aphraates hom. 23 ed. Bert,
TU. III 3 f., 410). Es fei noch bemerkt, dafs S. die Benutzung
des A. durch den Verf. des Diognetbriefes für
gefichert hält, — desgl. die durch Celfus (?) —, und be-
achtenswerthe Parallelwendungen aus der or. ad gentes
des Athanafius aufweift (,ftudirt' hat Äthan, den Ariftides
fchwerlich). Die pfeudomelitonifche (fyrifch erhaltene)
Apol. will S. dem Miltiades (Euf. h. e. V, 17 cf. 28, 4)
zuweifen (2386". Anm.).

In einer Beigabe behandelt Zahn ,eine Predigt und
ein apologetifches Sendfehreiben des Ariftides'. Beide
Stücke find uns durch die armenifche Tradition unter
dem Namen des A. aufbewahrt, kennzeichnen fich aber
auf den erften Eindruck als Producte der monophyfitifchen
Streitigkeiten des (vierten und) fünften Jahrhunderts (f.
für die Homilie Harnack, TU. I 114; für das Fragment
wird dies auch von Harris in den Texts and Studies etc.
Ii p. 33 bemerkt). Es mag verlockend fein, der (trotz
des Nichtvorkommens jener Stücke bei Eufebius) unverdächtig
erfcheinenden Tradition über den Verf. zu folgen
und eine Rettung derfelben zu unternehmen, aber was
Zahn und nach feinem Vorgange Seeberg (II f. o.) —
Letzterer für die Homilie ausführlicher und überficht-
licher — zu diefem Behufe beibringen, ift nicht überall
einwandsfrei und vermag dem Nachfpürenden die fichere
Ueberzeugung von der Authentie der Stücke nicht zu
vermitteln. Eine genauere Befprechung der in Frage
kommenden Einwände hier vorzunehmen, geftattet der
Raum nicht. Sie fei einem anderen Orte vorbehalten. —
Zu vorläufiger Nachprüfung möge dagegen hier bereits
der Wortlaut des Fragments in einer deutfehen
Ueberfetzung Karapet's vorgelegt werden, der die Güte
hatte, das Parifer Mf. {cod. armen. 85 fol. 609 a. 1704)
für mich einzufehen:

Aus dem Briefe an jeden Philofophen von
dem Philofophen Ariftides.

Alle Leiden(fchaften) hat der wahre Sohn
Gottes erlitten an feinem Leibe, welchen er nach
dem Willen des Vatersund des heiligen Geiftes
angenommen — und fich zum Leibe vereinigt —
hat von der hebräifchen Jungfrau, von der heiligen
Mariam, in unfafsbarer und . . . Einheit.

1) Zu Sohn Gottes bemerkt K.: ,Hier fleht nach
dem Wort der wahre ein anderes verftümmeltes,
welches keinen Sinn hat; ich glaube den Text in der
gegebenen Weife herftellen zu können'; 2) zu unfafsbarer
: ,Das Wort drückt das „über alle Vernunft {plur.)"
aus; das darauf nach und folgende Wort (bisher: et
indivisibili) ,ift falfch gefchrieben und läfst fich nicht
mit Sicherheit überfetzen'. —

An Druckfehlern oder Verfehen find mir bei Zahn
aufgeftofsen 417 Anm. 5 Z. 5 v. u. ft. III : IV — 423 Anm.
Z. 2 zu löyov add. zov titor! — 429 Anm. 2 Z. 8 und
10 v. u. lies oüq/m — 435 Z. 2 v. u. ft. IO:II; bei See-
berg ift zu verbeffern in s30. 9 Anm. Z. 2 v. u. l68t. 23,0
(ftatt IV, 3 : V, 4); im griechifchen Text der Apologie,
der diesmal nur mit den Varianten der beiden anderen
Veriionen abgedruckt wird (cf. o.), die drei oben angemerkten
Verfehen, und dazu in den Anmerkungen S. 32
Z. 17. 20. Z. 2 v. u. (Accentverfetzungen). Z. 18 {dvllaß e).
42, v.u.{om. zauza vor cptjasiei'). 43 Anm. Z. 5 {'Padä/nctv-
irvv). 7 {zd ft. zb). 47 Anm. Z. 2. 55 Anm. Z. 4. 59 Anm.
Z. 4. 6. Seeberg fendet auch für die Apologie ein kurzes
einleitendes Referat in diefer Sonderausgabe voraus,
die mit der Abficht erfolgt fei, ,einerfeits dem gröfseren
theologifchen Publicum das bisher bekannte Material
über Ariftides vorzulegen, andererfeits den Studirenden
für Seminarübungen etc. eine bequeme und leicht zugängliche
Sammlung zu bieten' (S. III).

Berlin. E. Hennecke.

Crousaz-Cretet, P. de, L'eglise et l'etat ou les deux puis-
sances au XVIIIe siecle (1715 —1789.) Paris, V. Retaux
et fils, 1893. (V, 371 S. 8.)

Die letzte religiöfe Bewegung grofsen Stils, die der
franzöfifche Katholicismus erlebte, ift der janfeniftifche
Streit. Er zieht fich feit der Bulle Unigenitus und dem Tode
Ludwigs XIV ohne eigentliche Löfung weit in das 18. Jahrhundert
hinein. Aber die religiöfen Fragen, welche anfänglich
die Gemüther bewegten, verlieren für die religiös