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Ausgabe:

1894 Nr. 16

Spalte:

420-421

Autor/Hrsg.:

Paulus, Nik.

Titel/Untertitel:

Johann Wild. Ein Mainzer Domprediger des 16. Jhd 1894

Rezensent:

Reusch, Franz Heinrich

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Theologifche Literaturzeitung. 1894. Nr. 16.

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feinerfeits in einer ausführlichen Erwiederung prüfte (Revue
de Laufanne, 1885), in Zukunft nicht gegen jeden Angriff
gefichert fein, noch jedem Sturm Trotz bieten würde;
namentlich vertrat er die Kenofislehre, zu welcher er
fich bekannte, nicht mit der Plerophorie und der Sieges-
gewifsheit, die zu jener Zeit in den durch den Einflufs
Godet's beherrfchten Kreifen zu Haufe war. Und in der
That traten die offen und muthig geäufserten Retracta-
tionen bald ein. Die Beftimmtheit, mit welcher der aus
demUniverfitätsunterricht in den Pfarrftand übergefiedelte
Theologe in die Debatten eingriff, und die feierliche
Gelegenheit, die er ergriff, um feine Stellung darzulegen
und zu begründen, riefen in der franzöfifchen Schweiz
eine nicht geringe Bewegung hervor und fchaarten um
feinen Namen eine erhebliche Zahl jüngerer Geiftlichen
und Lehrer, welche bereits durch Aftie u. A. angeregt
und vorbereitet, ihm tapfer, vertrauensvoll und arbeitsfroh
zur Seite flehen. Am 20. Mai 1891, bei Gelegenheit der
Einweihung der neu errichteten Univerfität von Laufanne,
hielt Pfr. Chapuis vor einer grofsen aus Schweizern und
auswärtigen Theologen gebildeten Verfammlung einen
Vortrag über die innerhalb der modernen Theologie fich
vollziehende Umbildung des chriftologifchen Dogma's.
Durch die Veröffentlichung diefes zuerft in der Revue
de Laufanne (Septemberheft 1891, Januarheft 1892) abgedruckten
, dann durch ein wichtiges Capitel (S. 89—125)
erweiterten Vortrags hat fich Pfr. Chapuis ein wefent-
liches Verdien!! um die proteflantifche Theologie franzö-
fifcher Zunge erworben. Allerdings find die hier ausge-
fprochenen Gedanken für den deutfehen Lefer nicht neu,
ja fie find grofsentheils deutfeher Herkunft, aber feiten
genug find fie unter uns in einer fo klaren und lebendigen,
fb weithin verftändlichen Form ausgefprochen worden.
Der durch den ganzen Vortrag fich hindurchziehende
Grundgedanke ifl die Notwendigkeit einer Umfetzung
der phyfifch-metaphyfifchen Kategorien der altgriechi-
fchen Chriflologie in fittlich-religiöfe, aus dem Evangelium
gefchöpfte, durch das Evangelium normkte Glaubensgedanken
. Die im Ausdruck durchaus würdige und pietätvolle
Kritik ift fachlich fcharf und beftimmt; die pofitiven
Ausführungen ftützen fich auf eine eingehende Kenntnifs
des biblifch-theologifchen und dogmenhiftorifchen Materials
. Selbflverftändlich konnte Chapuis in dem Rahmen
eines wenn auch für den Druck erweiterten Vortrags das
chriftologifche Dogma nicht in feinem ganzen Umfang
und feinen weitverzweigten Zufammenhängen behandeln,
und es wäre unbillig, an feine Arbeit einen die Eigen-
thümlichkeit derfelben verkennenden Mafsftab anzulegen;
ebenfo begreiflich ift es, dafs fich der Verfaffer vorzüglich
den in der Gegenwart behandelten Fragen zugewandt
hat (vgl. z. B. die kritifchen Auseinanderfetzungen
mit der Kenofislehre 17—39, die Prüfung des Präexiftenz-
begriffs 48—64, 89—125, die Beantwortung der gegen
feinen Standpunkt erhobenen Einwendungen 79—84).
Doch hat er in der eingehenden Berückfichtigung von
Anflehten, die kurzer Hand erledigt werden konnten,
vielleicht des Guten zuviel gethan; andererfeits wäre eine
nähere Betrachtung der Entftehungsgründe und der treibenden
Motive und Factoren des von ihm gefchilderten
Umfchwungs erwünfeht gewefen; die S.62—63 enthaltenen
Notizen find doch gar zu dürftig und könnten ibgar,
wollte man fie in ihrer Allgemeinheit gelten laffen, ein
fchiefes und ungenaues Bild abgeben. Aufserdem fcheint
mir Ch. die im evangelifch-reformatorifchen Glaubensbegriff
enthaltenen, bildungsfähigen und zukunftsreichen
Keime unterfchätzt und Luther's fowie Calvin's fruchtbare
chriftologifche Anfätze nicht in ihrer vollen Tragweite
gewürdigt zu haben. Diefe Ausheilungen follen
aber nicht den Werth der intereffanten und geiftvollen
Schrift herabfetzen, und mit dankbarer Freude begrüfsen
wir die von dem Verfaffer in Ausficht geheilten Studien
(S. III—IV) über die , Heiligkeit ChriftT und über ,das
an Chrihus gerichtete Gebet', welche die durch das bereits
Gebotene hervorgerufenen Erwartungen gewifs nicht
täufchen werden.

Strafsburg i/E. P. Lobhein.

Christlieb, Dr. F. [Prof. Dr. F. Chr. Fauth], Handbuch
der evangelischen Religionslehre. Zum Gebrauche an
höheren Schulen nach den neuehen Lehrplänen bearb.
2. Aufl. Leipzig, G. Freytag, 1894. (gr. 8.) M. 3. —;
geb. in Leinw. M.3. 50; in 4 Hftn. M.3.20; geb. M.4.80.

Inhalt: i. Kirchenlieder. Luthers kleiner Katechismus u. Sprüche.
(VI, 38 S.) M. — 40; geb. M. — 80. — 2. Das chriflliche Kirchenjahr
. Der chriftlicheGottesdienft. Das Reich Gottes im Alten Teftament.
Das Reich Gottes im Neuen Teftament. Mit I Karte in Farbendr. u.
15 Textabbildgn. (139 S.) M. 1. 20; geb. M. I. 60. — 3. Die Kirchen-
gefchichte. (III, 122 S.) M. 1.—; geb. M. 1.40. — 4. Glaubens- u.
Sittenlehre. (70 S.) M. — 60; geb. M. 1. —

Die Einführung des vorliegenden Handbuchs der
evangelifchen Religionslehre zum Gebrauche an höheren
Schulen ifl durch Erlafs des Kgl. preufsifchen Cultus-
minifleriums vom 16. Februar d. J. von Oflern d. J. an
genehmigt worden. Mit vollflem Rechte; denn der Verf.,
der feinen Namen von gutem Klang bei diefer zweiten
Auflage feines Werkes genannt hat, bekundet, dafs er es
verftanden hat, im Anfchluffe an die neueften Lehrpläne,
die nun einmal zu Recht beliehen, den im Religionsunterrichte
der höheren Schulen durchzunehmenden Stoff
vortrefflich zu behandeln.

Das Handbuch ifl entweder in einem Band oder in
vier Heften, die in Beziehung auf Papier, Druck und
Einband fehr hübfeh ausgeftattet find, zu haben. Da
die letztere Ausgabe uns vorliegt, fo folgen wir diefer
bei der Inhaltsangabe. Das erfle Heft enthält theils
34 Kirchenlieder, theils Luther's kleinen Katechismus
und Sprüche. Im zweiten Hefte finden wir folgende
Abfchnitte-. ,Das chriflliche Kirchenjahr. Der chriflliche
Gottesdienfl. Das Reich Gottes im A.T. Das Reich Gottes
im N.T.' Beigegeben find: eine Karte von Paläflina in
Farbendruck und 15 Textabbildungen, von denen wir
diejenigen zum falomonifchen Tempel und den Grundrifs
des alten Jerufalems als befonders werthvoll für den
Unterricht hervorheben möchten. Im dritten Hefte findet
fich die Kirchengefchichte, im vierten die Glaubensund
Sittenlehre.

Es fei uns geftattet, indem wir die im erften Hefte
gegebene Auswahl von Liedern und Sprüchen als durchaus
zweckentfprechend bezeichnen, aus dem reichen Inhalte
der übrigen Abtheilungen befonders Charakteriftifches
kurz hervorzuheben. Es begegnet uns zunächfl das Reich
Gottes im Alten Teftament. Seine ganze Entwicklung
wird auf Grund eingehender, auch die neueften Forfchungen
taktvoll berückfichtigender Studien meifterhaft gefchildert.
,Die äufsere Gefchichte des Volkes Israel hat überall für
uns ihren Werth durch die Beziehung zur Religion.
Israel ifl das Volk der Religion. Seine Aufgabe war:
1. die wahre Erkenntnifs Gottes zu empfangen und
auszubilden und 2. den Weg zu bereiten, auf dem man
zur Gemeinfchaft mit Gott gelangt'. So heifst es zu
Anfang des Ueberblicks auf S. 57, und von diefer grund-
fätzlichen Anfchauung aus, nach welcher auf jeder Stufe
der Entwicklung dem Empfangen der göttlichen Offenbarung
trotz alles fich wiederholenden Abfalls, den die
mächtige Stimme der Propheten bekämpfte, ein Handeln
von Seiten des Volkes entfpricht oder wenigftens ent-
fprechen foll, ifl die ganze Gefchichte des Reiches Gottes
im A.T. gefchrieben. Einzelne Geftalten wie Samuel und
David, Arnos und Hofea, Jefaja und Jeremia und zuletzt
noch der zweite Jefaja find markig gezeichnet, die Poefie
Israels, wie fie fich namentlich im Buche Hiob und in
den Pfalmen ausgeprägt hat, ift in ihrer erhabenen Schönheit
gewürdigt, von der Erfüllung des Alten Teftaments
aber treffend und wahr gefagt: ,In der Perfon Jefu
Chrifti findet das Alte Teftament fo feine Erfüllung, da