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Ausgabe:

1894 Nr. 15

Spalte:

387-388

Autor/Hrsg.:

Bickell, Gust.

Titel/Untertitel:

Das Buch Job 1894

Rezensent:

Siegfried, Carl

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Seite 1

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391 Theologifche Literaturzeitung. 1894. Nr. 15. 392

dienenden Schriften V.'s handeln foll. In der That bleiben
die der katholifchen Periode angehörenden aufser Betracht
, und nur auf die Wormfer Rede über die Einheit
und den Frieden der Kirche wird näher eingegangen.
Da nun V. einerfeits in diefer Rede (1541) üch noch als
gut katholifch darftellt, freilich ohne die Engherzigkeit,
welche fchon fehr bald als erfte Vorbedingung für die
Zuerkennung diefes Prädicates feitens der in Rom domi-
nirenden Partei galt, und andererfeits er felbft von der
Zurückweifung, die ihm 1546 in Trient zu Theil wurde,
feine bewufste Zuwendung zum Proteftantismus datirt,
fo würde freilich gerade in der Entwickelung V.'s innerhalb
diefer fünf Jahre der Schlüffel für das Verftändnifs
des Mannes felber gefucht werden müffen. Hier ift noch
von keinem das letzte Wort gefprochen — der Aufgabe,
diefes Problem zu löfen, will und kann auch unfer
Verfaffer fich nicht ganz entziehen, obwohl die Begrenzung
, welche er feinem Thema gegeben hat, fie ihm
eigentlich nicht zuweift. Uebrigens ift mir an keiner
Stelle eben diefe Begrenzung fo bedauerlich gewefen
wie hier — vielleicht auch dem Herrn Verfaffer felber.

Der gefammte Stoff wird nun in fünf Capiteln behandelt
. I. Die erften proteftantifchen Jahre, während
der Reifen nach Pofchiavo und Bafel und der
Wirkfamkeit V.'s in Vicofoprano, im Bergell überhaupt
und in Bünden. In diefe Zeit fallen die erften Streit-
fchriften gegen katholifche Einrichtungen und Lehren,
auch der ,Unterricht im Chriftenthum'. II. Dann beginnt
der unerbittliche Kampf gegen das wieder tagende
Trienter Concil, daneben Spott- und Schmähfchriften
gegen Päpfte, gegen Mutio, Madruzzi, Naufea. III. Be-
fonders fruchtbar wird V.'s Feder, als Herzog Chriftoph
ihn beruft (1553); was er da gegen die Verzeichnisse
verbotener Schriften vorbringt, wie er fie ergänzt und
verhöhnt, das ift für den Literarhiftoriker im höchften
Grade inftructiv. IV. Und als dann 1560 nach jahrelanger
Suspenfion das Concil zur letzten Tagung
berufen wird, da ift V. wieder auf dem Plan, fchreibt
über die ,Anfage', an Delfino, Gonzaga, an die Bifchöfe
in Trient, gegen Hofius, über das unzüchtige Treiben in
Rom u. f. w. Seine Schriftftellerei gegen das Concil be-
fchliefst ein Ende 1562 entftandenes Schriftchen an die
Veltliner, in dem V. das Concil, wie es fein foll, darftellt.
Der .Bedeutung der Publiciftik V.'s' ift das fünfte Ca-
pitel gewidmet. Confeffionelle Polemik fteht nicht erft
feit geltern im Verruf; die höchfte Stufe theologifcher
Schriftftellerei bezeichnet fie ja auch nicht. Aber es
kommen Zeiten, wo fie unumgänglich wird, und da folche
Zeiten heutzutage leider wieder da find, fo mag manche
Ausführung des gewiegten Kenners katholifcher Einrichtungen
noch heute mit Nutzen beachtet werden.

1. Erdmann, Pfr. O., Die Glaubwürdigkeit der heil. Schrift
als des Wortes Gottes. Gütersloh, Bertelsmann, 1893.
(120 S. gr. 8.) M. 1. 60.

2. Falke, Divif.-Pfr. Rob., Die geschichtlichen Thatsachen
des Neuen Testaments, unterfucht nach ihrer Gewifs-
heit und religiöfen Bedeutung. Gütersloh, Bertelsmann,
1893. (112 S. gr. 8.) M. 1. 50.

,Es thut einem das Herz weh, wenn Theologen die
heiligen Schriften wie ein vile corpus zerfchneiden, Adam,
Henoch, Abraham, Ifaak und Jakob in der allgemeinen
Sintfluth der alles bezweifelnden Kritik ertränken, Mofe
als einem Gefetzgeber faft den Gnadenftofs geben, David
als den lieblichen Sänger Israels befeitigen, Daniel
wieder in die Löwengrube, in die des alles verfchlingen-
den Unglaubens, hineinwerfen' (S. 9—10) .... ,Die moderne
Theologie erlebt den Triumph, dafs fie unter den
pofitiven Theologen, welche mit allem Nachdruck ihr
entgegentreten follten, eine gewiffe Zerfetzung ihrer Lehre
hervorruft, und es ift betrübend, dafs gläubige Theologen,
um die Citadelle der heiligen Schrift zu halten, die Aufsen-
werke, die Richtigkeit der angeblich nebenfächlichen Ge-
fchichtsnotizen und fonftige weltliche Wiffenfchaften angehende
Angaben, mit der Lehre von der Irrthumsfähigkeit
der Schrift in fogenannten Nebenfachen preisgeben
. Wir meinen, die gläubige Theologie müfste fich
die Aufgabe ftellen, auch die Aufsenwerke zu fchützen'
(S. 17). Einen Beitrag zur Löfung diefer Aufgabe will
der Verfaffer liefern. Es würde zu weit führen, die grofse
Zahl jener Aufsenwerke zu befichtigen. Einige jedoch
mögen hier Erwähnung finden: ,Die Stiftung des Sabbats
im Paradiefe wird bekräftigt durch die Thatfache, dafs
wir die Feier des fiebenten Tages bei den alten Brah-
manen, den Chinefen, den Aegyptern, den Affyrern, den
Phöniziern, den Griechen und bei allen Völkern von
Nordeuropa finden (S. 62). Wenn 2 Sam. 24, 9 angiebt,
David fand bei der Volkszählung in Israel 800000 tapfere
Männer und die Chronika an der entfprechenden Stelle
(I, 22, 3) Iiooooo aus Israel und 470000 aus Juda erwähnt,
fo kann fehr wohl eine doppelte Aufftellung nach ver-
fchiedenem Mafsftabe gemacht worden fein, da bei
einem geringeren Erfordernifs der Kriegstauglichkeit
mehr Männer fich ergeben mufsten (S. 75—76). Der
Mofis-Pfalm, die beiden falomonifchen Pfalmen, die 12
Pfalmen Affaph's und die 12 Pfalmen der levitifchen
Sängerfamilie Korah und die 73 Pfalmen David's tragen
das Gepräge ihrer Zeit und ihrer Verfaffer und erweifen
fich daher aus innern Gründen als echt' (S. 81). ,Man hat
von I Mofe 2 bis zum Ende des Buches Maleachi 333
Weisfagungen auf Chriftum gezählt' (S. 85). ,Das vierte

So hat Hubert's Arbeit auch eine gewiffe actuale Be- ! Evangelium ift mit dem erften Briefe, wie Profeffor Weifs

deutung — io scrivo per quei che nol (= non 16) sanno,
e forse questi non sono pochi: das gilt heute wohl in
noch höherem Grade als damals.

Zum Schlufs noch einige Kleinigkeiten. S. 49, Z. 1
ift ja wohl ,bekanntem' zu ftreichen; S. 65, Z. 13 v. u. find
die ,duoi ladroni' = die Schächer, zwifchen die Pole gebracht
wird; S. 218, Z. 4 ift trotz S. 317, Z. 1 Betti zu
fchreiben. Endlich zu S. 93, Z. 3 h, wo V. den Mund etwas
voll nimmt, wenn er von 400 Jahren redet, fei auf die
Interpellation des Verf.'s hin bemerkt, dafs nach Cantü,
Eretici d'ltalia III, 129 und Albanefe, Inquisizionc (von
mir citirt in der ,Gefch. der Ref. in Venedig' S. 120, n. 33),
welche beide aus Sarpi's Discorso sulV Inquisizione
fchöpfen, das Jahr 1249 dasjenige war, in welchem zuerft
in Venedig eine zwar ftaatliche, aber dem Patriarchen
von Grado zur Auffpürung und Ausrottung der Ketzer
beigegebene Inquifition errichtet wurde.

Königsberg. Benrath.

mit befonderer Betonung von Joh. I, 14 „Wir, die Apoftel,
fahen feine Herrlichkeit", dargelegt, von Johannes als
einem Zeugen des Lebens Jefu verfafst. Das erfte Evangelium
dem Apoftel Matthäus abzufprechen, liegt kein
Grund vor. Das Evangelium des Marcus, das Profeffor
Weifs für das ältefte hält, fchreibt felbft Renan (sie) einem
Augenzeugen zu' (S. 116). — ,Gebe Gott allen gläubigen
Profefforen und Pfarrern Kraft, mit den Waffen einer
bewährten theologifchen Wiffenfchaft für das Wort Gottes
und das apoftolifche Bekenntnifs einzutreten' (S. 20). Eine
bewährte theologifche Wiffenfchaft — wir Timmen
dem Wort des Verfaffers zu und möchten ihn von
dem Segen der Erfüllung feines frommen Wunfehes nicht
ausgefchloffen wiffen.

2. Die Schrift Falke's fteht wiffenfehaftlich ungleich
höher als die Erdmann'fche. Der Verf. verfügt nicht
nur über eine refpectable Summe innerlich angeeigneter
und verarbeiteter Kenntnifse, er hat auch für die Methode
und die Fragestellung der wiffenfchaftlichen Theologie
ein wirkliches Verftändnifs; er verfchmäht es nicht,
mit dem Gegner fich fachlich und principiell auseinander