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Ausgabe:

1894 Nr. 14

Spalte:

370

Autor/Hrsg.:

Brandt, W.

Titel/Untertitel:

Mandäische Schriften, aus der großen Sammlung heiliger Bücher gen. Genzâ od. Sidrâ Rabbâ 1894

Rezensent:

Krüger, Gustav

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Theologifche Literaturzeitung. 1894. Nr. 14.

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geftellt, die Evangelien kennen keine andere als die des
Leidens. Nicht nothvvendige Form für die Durchführung
feiner Heilsabficht ift das Leiden, fondern diefe Heilsthat
felbft. Aber nicht der Verzicht auf das Gericht als folcher
ift heilbefchaffend. Der Inhalt des Leidens mufs von der
Art fein, dafs er jenen Verzicht erklärt. Darüber geben
die Aussprüche vom Iviqov und beim Abendmahl Klarheit
. Vorher hat er nicht reden, jetzt hat er nicht
fchweigen können.

Daher folgt nun die Unterfuchung über das Opfer
S. 74 ff., und zwar in der Zufpitzung: kann das Opfer
kixQor fein? Jedes Opfer, auch das Dankopfer erklärt
fich aus dem fchlechten Gewiffen. Es ift Erfatzleiftung,
daher kann es mit Ivtqov combinirt werden, und zwar
liegt in Pf. 49 indirect der Gedanke der Aequivalenz, das
aber nicht im Sinn des Schuldbekenntnifses, fondern der
objectiven Schuldzahlung. Diefe Vorftellung vom Opfer
hat Jefus gehabt. Nun wird S. 95 ff. in diefem Licht
Leidensgefchichte und Auferftehung gedeutet. Jefus fieht
einer Unheilserfahrung entgegen im Gegenfatz zu der
fonft von ihm bezeugten Gottesgemeinfchaft. Er hat erfahren
, was der Sünder erfährt, wenn ihm Gott feine
Gnade entzieht; fonft fleht das Leiden Jefu nicht einmal
auf der Stufe der Märtyrer. Gottes Zorn hat er erfahren,
wenn auch nicht das Bewufstfein perfönlicher Schuld.
Aber gerade in folchem Erleben hat Jefus feine Gemein-
fchaft mit Gott bewährt: eine gröfsere Bewährung des
Glaubens ift undenkbar. Jedoch nicht eine Unheilserfahrung
kann Abfchlufs diefer Gefchichte fein, fondern
eine Heilserfahrung als Beftätigung des objectiven Rechts
der fubjectiven Gewifsheit Jefu, die Auferftehung. An die
Stelle einer Gerichtsübung fetzt alfo Jefus eine Gerichtserfahrung
, worin er auf die Seite der Welt tritt. Er ift
Object des Gerichts geworden, damit er Subject göttlicher
Heilswirkung fei. Möglich ift (f. o.) diefe Stellvertretung
, und zwar im exclufiven Sinn, weil Jefus nicht
allein Repräfentant der Welt ift, fondern der, welcher zur
Welt die Stellung Gottes einnimmt. Nur die Liebe, welche
die Sünde, die fie vergiebt, trägt, welche fie darum der
Welt nicht zurechnet, weil fich zurechnet, ift eine Liebe,
an die wir glauben können. ■—

Bei einer Arbeit wie der vorliegenden ift die Hauptfache
ein genaues Referat. Zu einem Urtheil mit wenig
Worten ift die Sache zu grofs. Ich kann hier um fo mehr
darauf verzichten, weil ich an anderem Ort mit Beziehung
auf den Hrn. Verf. mich darüber ausgefprochen (Zur Ver-
föhnungslehre 1893. S. 39.86. 92 ff.) Im einzelnen möchte
ich hervorheben, dafs die Darftellung des Begriffs Reich
Gottes bei Ritfehl 42 ff. nicht genau, und die Gefammt-
charakteriftik Ritfchl's im Verhältnifs zu Hofmann nicht
fcharf genug ilt. Beides kann zugeben, auch wer fich
ganz auf den Standpunkt des Hrn. Verf. ftellt. Dielen Punkt
zu erwähnen, fcheint mir eine Pflicht dogmengefchicht-
licher Gerechtigkeit, zu der wir uns in den verfchieden-
ften Lagern delto herzlicher ermuntern wollen, je mehr
vielgenannte Namen aus der theologia viatorum Abfchied
nehmen. Was die Sache felbft betrifft, fo fleht die be-
fprochene Schrift der Auffaffung von Gefs und Kähler
am nächflen. Ich darf mich wohl auf den letzteren zum
Beweis dafür berufen, dafs die Einfchränkung des Heilandsberufs
auf die Heilsthat des Sündetragens dem Reichthum
der evangelifchen Gefchichte nicht gerecht wird;
und auf Gefs dafür, dafs auch bei Luther das ftellver-
tretende Strafleiden keineswegs Ein und Alles ift. Be-
fonders anfechtbar ift ferner die Sicherheit, mit der in
den A. T. Opferbegriff alles das hineingelegt wird, was
der Docrmatiker nachher daraus entwickeln will. Gewifs
aber fcheiden viele Lefer wie der Ref. von der Arbeit
lieber mit dem Ausdruck des Dankes dafür, dafs der liebevollen
Verfenkung in das Geheimnifs des Kreuzes unter
der Hillen Anregung des Pfarramts eine Arbeit erwachfen
ift, welche jeden, der in diefer Thatfache Grund und
Gegenftand unferes Glaubens fleht, aufs neue zur Prüfung

der Gedanken anleitet, in denen er fie feinem Verftändnifs
näherzubringen fucht. Befondere Beachtung fcheint mir
namentlich die abfichtliche Reflexion darauf zu verdienen,
dafs der Repräfentant Gottes als Repräfentant derMenfch-
heit handelt, — ein Gedanke, der vielleicht den Hrn. Verf.
noch zu eingehenderer Würdigung Ritfchl's führt und umgekehrt
die, welche Ritfehl dankbar find, fragen heifst,
was an den Motiven und Abfichten der dogmatifchen
Gedankenarbeit des Hrn. Verf. dem Sinn des urfprüng-
lichen und unverkürzten Evangeliums entfpricht. Irre
ich nicht, fo ift die Differenz in der Methode weit gröfser
als die in der Sache; eine Reihe unerläuterter bezw. nicht
in ihrem Recht erwiefener Begriffe in der vorliegenden
Schrift mag vielleicht gerade dann geneigt machen, die
Methode des von ihr bekämpften Theologen gerechter zu
würdigen, wenn umgekehrt das bleibende religiöfe Intereffe
an der Abficht feiner Begriffe offen zugegeben wird.

Göttingen. Th. Häring.

Heard, Rev. J. B., A. M., Alexandrian and Carthaginian
theology contrasted. The Hulsean lectures, 1892—93.
Edinburgh, T. & T. Clark, 1893. (XII, 362 S. 8.)
geb. 6 s.

Das vorliegende Buch bietet nicht, oder wenigftens
nicht blofs, was fein Titel verfpricht. Es fetzt vielmehr
das Wefen und gegenfeitige Verhältnifs der alexandri-
nifchen und carthaginienfifchen Theologie als bekannt
voraus, feine nähere Erforfchung dem ecclcsiastical anti-
quarian überlaffend (318) und will felbft den Beweis
führen, dafs die Theologie der Zukunft wieder an Ori-
genes und nicht mehr an Auguftin anknüpfen müffe.
Denn deffen Syftem befteht aus afterthoughts, wie H.
im Anfchlufs an den Bifchof von Manchefter, Dr. Moor-
house (IX) und den allzu früh verdorbenen Hatch (328)
fagt, d. h. aus abgeleiteten, nicht fchriftgemäfsen, meta-
phyfifchen Anfchauungen oder Dogmen, während die
urfprüngliche Didache nur Gott und feine Beziehungen
zu uns betraf (53 vgl. 31. 91. 105). Ja die drei Carthager
überhaupt — Tertullian, Cyprian und Auguftin — waren
mehr Carthager als Chriften, mehr Peffimiften als Plato-
niften (vgl. 63); aber obwohl anfangs durch Vincentius
von Lerinum und Theodor von Mopsvefte als Neuerung
verurtheilt (83 f.), wurde ihre Lehre doch die herrfchende.
Auch die Reformation ,war nur ein lahmer Compromifs,
der zu gleicher Zeit zu weit und nicht weit genug ging,
und zu jener Umbildung des alten fcholaftifchen" Augu-
ftinianismus führte, die wir als urfprünglich und katho-
lifch anfehen follen, die aber in Wahrheit von beidem
weit entfernt ift« (224). Nur die Myftiker, Quäker und
fog. Cambridger Platoniften (40. 279), fowie in unferm
Jahrhundert Erskine (78), Hampden (166), Hare und
Whewell (107 f.) fetzten die alexandrinifche Theologie,
die allein diefen Namen verdient, fort; an fie mufs man
jetzt wieder anknüpfen, ,wenn der Welten nicht in den-
felben Moraft des Aberglaubens verfinken foll, wie der
Often' (195). ,Wenn der Auguftinianismus die Kirche
verdarb, würde der frühere Alexandrinismus, hätte man
ihm als einem Vorbild des Antifacerdotalismus angehangen
, fie haben retten können. Es war ein frühreifer
philofophifcher Proteftantismus, um mich populär auszudrücken
, zum Untergang beftimmt, wie alle frühreifen Er-
fcheinungen' (196). Die neue Theologie war in Wahrheit
die allerältefle (VII).

Der Verf. verdankt diefe Anfchauung dem Buch von
Prof. Allen in Cambridge, Maff., 77^ Continuity of Christian
Thought, a Study of Modern Theology in the Light
of its History 1884, das in Amerika viel Anklang gefunden
haben foll (vgl. auch deffen, ThLz. 1894, 37,
angeführte Aeufserung und das Citat aus Bigg, The
Christian Platonists 279 bei H. 332 f.); aber auch fo bleibt
fie originell genug: pflegt man doch fonft heutzutage,