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Ausgabe:

1894 Nr. 1

Spalte:

9-18

Autor/Hrsg.:

Schubert, Hans v.

Titel/Untertitel:

Die Composition des pseudopetrinischen Evangelien-Fragments 1894

Rezensent:

Harnack, Adolf

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Theologifche Literaturzeitung. 1894. Nr. 1.

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fchrift von Avila, jetzt in der National-Bibliothek zu
Madrid, die allerdings wahrfcheinlich keinen felbfländigen
Werth hat, da hier das vierte Buch Efra aus der oben
genannten Bibel von Alcala abgefchrieben zu fein fcheint,
5) eine Handfchrift zu San Ifidro in Leon, datirt vom
J. 1162 n. Chr., welche befonders merkwürdig ift, da fie
für den Text des vierten Buches Efra eine von der fon-
ftigen ftark abweichende Tradition darftellt. Bei diefem
Reichthum neuen Materiales wäre es dringend zu wün-
fchen, dafs die von Bensly (f 24. April 1893) feit zwei
Decennien vorbereitete Ausgabe endlich zum Abfchlufs
und zur Veröffentlichung gelangte.

Neues Material weift Berger auch für den altlatei-
nifchen Text des Buches Efther nach. Eigentümlich
und, wie es fcheint, werthvoll ift namentlich der Text
der Handfchrift von Lyon (Nr. 356), von welchem Berger
Proben mittheilt.

Bisher unbekannte altlateinifche Texte hat Berger
für die beiden Makkabäerbücher entdeckt. In Sa-
batier's grofsem Werke ift für das erfte Makkabäerbuch
nur ein unvollftändiger Text, der bei Cap. 13 abbricht,
aus cod. Sangermäncnsis 15 (= BibliotJieqnc Nationale
n. 11553) mitgetheilt. Denfelben Text enthält aber voll-
ftändig die grofse Bibelhandfchrift von Alcala (Madrid,
Univerfitätsbibliothek Nr. 31). Nach Berger's Urtheil
bietet die letztere Handfchrift häufig beffere Lesarten als
der Sangenuanensis. Die Handfchrift von Alcala enthält
aber auch einen bisher unbekannten altlateinifchen
Text des zweiten Makkabäerbuches, von welchem Berger
Proben mittheilt. Sabatier kannte einen folchen überhaupt
nicht; und der von Peyron aus Cod. Ambros.
E 26 Inf. herausgegebene ift ein völlig anderer. Peyron's
Ausgabe ift übrigens nach B. fehr incorrect, da Peyron
in den zahlreichen Fällen, wo die Handfchrift corrigirt
ift, auf die Lesarten erfter Hand keine Rückficht genommen
hat. Als bemerkenswerth hebt B. endlich noch
den Text der Makkabäerbücher in der Bibelhandfchrift
von Lyon (Nr. 356) hervor, deffen Grundlage die Vul-
gata bildet, die aber hier fehr ftark mit Lesarten der
alten Ueberfetzung gemifcht ift.

Die werthvollen Funde Berger's zeigen, wie viel auf
diefem Gebiete noch von künftiger Arbeit zu leiften ift.

Kiel. E. Schürer.

1. Schubert, Prof. D. Hans v., Die Composition des pseu-
dopetrinischen Evangelien-Fragments (mit einer fynopti-
fchen Tabelle als Ergänzungsheft). Berlin, Reuther &
Reichard, 1893. (XII, 196 S. gr. 8.) M. 4. 50.

2. Schubert, Prof. Dr. H. v., Das Petrusevangelium. Synop-
tifche Tabelle, nebft Überfetzung und kritifchem
Apparat. Berlin, Reuther & Reichard, 1893. (IV, 31 S.
gr. 8.) M. —. 50.

3. Schubert, H. von, The Gospel of St. Peter. Synoptical
Tables with translation and critical apparatus. Author-
ised English translation by Rev. John Macpherson,
M. A. Edinburgh, T.&T. Clark, 1893. (IV, 31 S. gr. 8.)

Der Verfaffer hat in der erftgenannten Schrift die
eingehendfte Bearbeitung des Pfeudopetrinifchen Evangelienfragments
vorgelegt, die bisher erfchienen ift, in
der zweiten eine dankenswerthe fynoptifche Tabelle beigegeben
. In der etwas fpäter erfchienenen englifchen
Ueberfetzung diefer Tabelle konnte er nicht nur einige
Fehler berichtigen, fondern auch die unterdefs veröffentlichte
authentifche Ausgabe von Gebhardt's benutzen.

Der Schwerpunkt der v. Schubert'fchen Unterfuchung,
die jedoch keine Seite des Problems aufser Acht läfst,
liegt in der Feftftellung des Verhältnifses des Petrusevangeliums
zu den kanonifchen Evangelien. Ich felbft
hatte in meiner Ausgabe ausdrücklich darauf verzichtet,
diefe Frage zu Ende zu führen und mich demgemäfs auf

wichtige Beobachtungen befchränkt, ohne fie überall noch
auszugleichen, wo fie conträr waren. Meine erfte Ver-
muthung, nachdem ich das Fragment identificirt und zu
ftudiren begonnen hatte, war die Abhängigkeit von
i unferen vier Evangelien, aber eine Abhängigkeit, die für
befondere z. Th. werthvolle Ueberlieferungen Raum
liefs. Gegen diefe Annahme fliegen mir in der Folge
Zweifel auf, die fich verftärkten. Doch habe ich (f.
2. Ausgabe S. 79) das Gewicht der Gründe, die für eine
Benutzung auch des Matth., Luc. und Joh. fprechen, niemals
abgefchüttelt, wenn ich auch nicht verkennen
konnte, dafs bei der Selbftändigkeit und Kürze der erften
Hälfte des Fragments die Annahme einer vierfachen
Abhängigkeit fchwierig ift und zu complicirten Vor-
ftellungen über den Urfprung des neuen Evangeliums
führen mufs. So fixirte ich unter Vorbehalt befferer
Einficht das, was mir zur Zeit am wahrfcheinlichften
fchien. Eine folche Haltung in einer Publication wäre
nicht geftattet gewefen, wenn es fich um ein längft bekanntes
und bereits vielfach bearbeitetes Stück gehandelt
hätte. Aber ich war der Erfte, der in Deutfchland
das Stück hervorgezogen und unterfucht hat. An die
erfte Publication fchlofs fich nothgedrungen in rafcher
Folge eine zweite und dritte. Ich konnte nicht mehr
geben, als ich wufste und befafs. Die Folgenden
hatten es leichter, brauchten auch nicht zu fchreiben,
bevor fie mit fich felber ins Reine gekommen waren.
Ich erlaube mir an diefe Thatfachen zu erinnern, weil
man, abgefehen von böswilligen Verdrehungen meiner
Anficht über das Petrusev., ungerechtfertigte Angriffe
gegen mich gerichtet und die Haltung meiner Ausgabe
mifsverftanden hat oder nicht verliehen wollte. Um fo
dankbarer bin ich v. Schubert für die Art feiner
Polemik.

Das Ergebnifs feiner Unterfuchungen ift folgendes:
1) Das Petrusevangelium hat nicht nur unfere vier Evangelien
gekannt, fondern ruht auf ihnen. 2) Seine eigen-
thümliche Haltung und die Abweichungen von den kanonifchen
Ew., die Auslaffungen und Zufätze erklären
fich aus dem Zufammenwirken verfchiedener Tendenzen,
a) einer nationalen, antijüdifchen [die Juden werden u. A.
auch als Dummköpfe vorgeftellt| und philorömifchen
Tendenz, b) einer apologetifchen (ftärkere Berückfich-
tigung der LXX, Weisfagungsbeweis), c) einer dogma-
tifchen, fpeciell chriftologifchen, d) einer chronologifchen.
3) Diefe Tendenzen find aber höchft wahrfcheinlich nicht
felbftändiges Erzeugnifs des Fälfchers, fondern ,führen
durchaus nur auf fecundäre refp. tertiäre Tendenzarbeit
zurück von vielfach nachweisbarer Herkunft und nachweisbarer
Verwandtfchaft'; fie waren wahrfcheinlich bereits
in alten, vorjuftinifchen Pilatusacten vertreten, von
denen der falfche Petrus abhängig ift. 4) Ift dem fo, fo
bleibt dem Petrusev. überhaupt nur fehr Weniges, das
persönliche Hervortreten des Petrus, doketifch-gnoftifche
Pinfelftriche, auffallende Gedankenlofigkeiten, einzelne
befonders phantaftifche und plumpe Züge, überhaupt das,
was es der apokryphen Acta-Literatur verwandt erfchei-
nen läfst. 5) Das Ev. mag bald nach der Mitte des
2. Jahrh. in Syrien entftanden fein. Der ,Herr' diefes
Ev. könnte uns Evangelifchen der Heiland nicht fein.

Das Petrusev. ift hiernach alfo ein tertiäres Product.
Durch diefe Annahme wird aber das gewonnene Ver-
hältnifs zu den kanonifchen Ew. wiederum in Frage
geftellt; denn wenn das Ev. fo ftark von .Pilatusacten'
abhängig ift, wer bürgt dafür, dafs nicht feine Abhängigkeit
von einem oder mehreren kanonifchen Ew.
. nur eine vermittelte ift? oder — noch fchlimmer — wer
1 bürgt dafür, dafs jene älteften Pilatusacten felbft wirklich
die kanonifchen Evangelien und nicht eigenthümliche oder
| parallele Berichte benutzt haben ')? Wir würden damit

1) Nach v, Schubert ift dem wirklich fo. Die finguläre Erzählung
PE v. 6. 7, Juftin, Apol. I, 35 wird auf fie zurückgeführt.

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