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Ausgabe:

1894

Spalte:

273-275

Autor/Hrsg.:

Weyl, Richard

Titel/Untertitel:

Die Beziehungen des Papstthums zum frännkischen Staats- und Kirchenrecht unter den Karolingern 1894

Rezensent:

Frantz, Adolf

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1 heologifche Literaturzeitung. 1894. Nr. 10.

278

S. 9), wobei freilich Münzer's Ausfage noch zu recht
beftehen kann.

Kiel (Breslau). G. Kawerau.

Buchwald, Diak. Lic. Dr. Geo., D. Martin Luthers letzte
Streitschrift. Im Original aufgefunden und zum erften
Mal herausgegeben. Leipzig, G. Wigand, 1893. (12 S.
Lex.-8.) M. 1.20.

Wiederum ift Buchwald ein Lutherfund geglückt,
diesmal in einem Sammelband der Univerfitätsbibliothek
in Jena. Es ift die letzte wiffenfchaftliche Arbeit Luther's,
freilich nur ein Torfo, denn Luther kam nur noch dazu
, die Einleitung zu der gröfseren Streitfchriftzufchreiben,
welche den 76 Propofitionen gegen die Löwener folgen
follte. Diefe Einleitung liegt in zwei Recenfionen vor,
von denen die eine mit Buchwald in den September zu
fetzen ift; die andere mufs Luther noch im December

1545 niederzufchreiben begonnen haben (vergl.S. 10, Z. 18),
während er fie vor der letzten Reife nach Mansfeld vollendete
. Buchwald's Januarmanufcript' ift alfo nicht ganz
genau. Buchwald hat die kleine Schrift in flottefter Aus-
ftattung herausgegeben und eine forgfältig gearbeitete
Einleitung vorangefchickt, wie fie diefes letzte Denkmal
von Luther's Geift verdiente, das zugleich ein Zeugnis
,feines fleifsigen und forgfältigen Arbeitens' ift. Freilich
mufs man beim Lefen diefes Denkmals das Geftändnifs
Luther's in feinem Brief an Jakob Probft vom 17. Januar

1546 im Auge behalten: iratus sum in ista brnta plus,
quam deceat tan tum nie theolo gum et senem. War
fein Zorn über das Papftthum noch einmal in der Schrift
.Wider das Papfttum zu Rom vom Teufel geftiftet' mit
faft elementarer Kraft und mit dem Feuer des jungen
Mannes losgebrochen, fo ergiefst fich feine Zornesfchale
ebenfo kräftig und derb über die papiftifchen Theologen,
denen er aber mit Recht vorwirft, dafs fie nichts gelernt
und nichts verlernt; denn die ganze Geiftesarbeit der Reformationszeit
war an diefen Leuten fpurlos vorübergegangen
, die ganze Literatur, welche feit ihrem erften Angriff
gefchaffen worden war, exiftierte für fie einfach nicht.
Sehr bezeichnend ift der Hohn Luther's über den Stolz
der Akademiker, die fich im Talar und Biret brüften,
fein Scharfblick, mit dem er die Achillesferfe in den Artikeln
der Löwener entdeckt: omiserunt illos locos trcs
necessarios de lege, peccato, gratia, quae sunt in hac causa
puppis et prosa, Alpha et 0, fein Urtheil über den geheimen
Hintergrund des Stolzes der Löwener und Parifer,
das Pochen auf den weltlichen Arm, während die faty-
rifche Etymologie der Namen Köln, Löwen, Paris aus
dem Hebräifchen faft zu gekünftelt ift, um ihren vollen
Eindruck zu machen. Zu bedauern ift, dafs Buchwald
die in der einen Recenfion vom Buchbinder hinwegge-
fchnittenen Worte nicht durchgängig zu ergänzen gefucht
hat, wie S. 10 Anm. 2. Was die Anm. 2 S. 8 foll, wo
Buchwald super eil ii mit superpellicium erklärt, während
Luther offenbar an alt um supercilium denkt, ift nicht
verftändlich. Druckfehler S. 8 Z. 3 v. u. reliogissimas, S. 9
Z. 22 v. u. volebaut Z. 4 v. u. L S. 4.

Nabern. G. Boffert.

Schmoll er, Dekan, Pfarrer, Lic. Otto, Geschichte des Theologischen
Stipendiums oder Stifts in Tübingen. I. Die Anfänge
des Theolog. Stipendiums (Stifts) in Tübingen
unter Herzog Ulrich 1536—1550. Stuttgart, Kohlhammer
, 1893. (VIII, 88 S. gr. 8.) M. 1.60.

Die altehrwürdige Anftalt, welche der württembergifchen
Kirche mehr als 300 Jahre treue Diener und der
deutfehen Wiffenfchaft tüchtige Gelehrte auf den verfchie-
denften Gebieten des Wiffens herangebildet hat, mufste
fich bis jetzt mit der Gefchichte ihrer Entwicklung begnügen
, welche ihr Vorfteher, derfpätereKanzlerSchnurrer,
feinen , Erläuterungen der Württembergifchen Kirchen-,
Reformations- und Gelehrtengefchichte' 1798 beigegeben
hat. Schnurrer war ein gründlicher P orfcher und fchrieb
einen angenehmen Stil, aber fein Quellenmaterial war be-
fonders für die Zeit des Herzogs Ulrich dürftig. Seitdem
hat Hirzel in der für die württembergifche Landes- und
Kirchengefchichte ergiebigen Fundgrube der Rcyfcher'-
fchen Sammlung der württb. Gefetze die für das Stift
erlaffenen Verordnungen, welche einen Blick in den Organismus
der Anftalt und ihre Entwicklung ermöglichen,
mit den nöthigen Erläuterungen herausgegeben. Jetzt hat
der durch feine biblifch theologifchen Arbeiten in weiteren
Kreifen bekannte Lic. Schmoller, der in höchft erfreulicher
Weife der württembergifchen Kirchengefchichte
feine Mufse widmet, durch mühfames Suchen eine Reihe
neuer Actenftücke und das Album der älteften Stipendiaten
aufgefunden, wodurch die Gefchichte des Stiftes
neues Licht gewinnt.

Für die Charakteriftik des Herzogs Ulrich in feiner
zweiten Regierungsperiode bietet Schmoller's Arbeit werthvolle
Beiträge. Der Mann, den ein Janffen als Schlemmer
und Praffer hinzuttellen wagte, erfcheint hier eifrig bedacht
, für den Dienft des Landes evangelifch gebildete
Männer, welche tüchtig in der Bibel befchlagen find, im
geiftlichen und weltlichen Dienft heranzuziehen. Dazu
fchafft er die Mittel, dazu läfst er fich die mühfeligften
Verhandlungen mit der Univerfität, welche der jungen
Anftalt keineswegs freundlich entgegenkommt, nicht ver-
driefsen, dazu forgt er für anftändige Verpflegung feiner
Stipendiaten.

Ueberrafchend ift die erfte unbehilfliche Organifa-
tion der Anftalt, der Mangel an Veranftaltungen zur Beförderung
des künftigen Fachftudiums der Stipendiaten,
während für ihre gründliche Bildung in der facultas ar-
tium und für Bibelkenntnifs derfelben wohl geforgt ift.

Recht klar ift, wieviel Ulrich in Heffen gelernt hat
zur Vorbereitung auf die Reformation feines Landes.
Für das Tübinger Stipendium ift das Vorbild in Marburg
gegeben. Die Schwierigkeit, welche den Reformatoren
in der Heranbildung einer echt evangelifchen Geiftlich-
keit, die in Lehre und Leben zuverläffig war, entgegen
trat, zeigt fich freilich auch in der Heranbildung der
jungen Stipendiaten. Ueberaus lehrreich find die von
Schmoller mitgetheilten Zeugnifse, wenn man den fpäteren
Lebensgang der jungen Leute daneben hält. Neben den
Bluthen, welche welk abfallen und die Hoffnung täufchen,
flehen tüchtige Männer, welche ihre Tübinger Vergangenheit
gründlich vergeffen machen.

Unter den Stipendiaten aus Ulrich's Zeit find nicht
gerade viele hervorragende Geifter, welche fich dem Dienst
der Kirche widmen. Neben Jacob Andreä und den aus
Heffen flammenden Gebrüdern Bidenbach find es einige
tüchtige Superintendenten und ein guter Theil rechtfehaf-
fener Pfarrer, der gröfsere Theil der begabteften Leute
wendet fich andern Berufsarten zu. Von Jacob Andreä
ftach fchon im Stift fein Bruder Philipp (S. 78 nr. 12)
wegen Unfleifses ftark ab, wie er denn auch fpäter den
Kirchenbehörden viel zu fchaffen machte.

Ueber die urfprüngliche Beftimmung des Stiftes
herrfcht noch ein Streit. Schmoller vertritt in feiner
Schrift und neuerdings im evangelifchen Kirchenblatt
für Württb. Nr. 38 und 39 gegenüber von Dr. Schneider
in feiner württb. Ref.-Gefchichte und dem Ref. in der
1892 erfchienenen württb. Kirchengefchichte die althergebrachte
Anficht, dafs das Stift von vornherei n zur Bildung
von Theologen beftimmt war, wie das jedenfalls
unter Herzog Chriftoph der Fall ift, während Schneider
und mit ihm Ref. auf Grund der officiellen Kundgebungen
Ulrich's, der Stipendiatenordnung und des Stipendiateneides
annehmen, dafs Herzog Ulrich für alle Zweige
des öffentlichen Dienftes in Kirche, Schule, Verwaltung
und Medicinalpolizei gründlich evangelifch gefchulte Diener