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Ausgabe:

1894 Nr. 10

Spalte:

266-267

Autor/Hrsg.:

Renan, Ernest

Titel/Untertitel:

Histoire du peuple d‘Israel. Tome IV 1894

Rezensent:

Horst, L.

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209 Theologifche Literaturzeitung. 1894. Nr. 10. 270

licum-Streites auch Schriften über das der evangelifchen
und katholifchen Kirche gemeinfame alte Bekenntnifs
herausgegeben. Was die Verfaffer über die Bewegung,
foweit fie eine innerevangelifche ift, urtheilen, kann hier
gleichgültig fein. Die wiffenfchaftliche Frage haben fie
beide ernftlich, in einzelnen Beziehungen felbftändig gelehrt
und im Urtheile nicht befangener als viele pro-
teftantifche Theologen, die fich neuerdings geäufsert
haben, behandelt. Man kann von jedem von beiden
in der einen oder anderen Beziehung lernen. Baeumer's
Schrift ift die ftofflich reichhaltigere, Blume's die metho-
difch zum Theil umfichtigere.

Nach einer Einleitung, die dem ,Falle Harnack' gilt,
wendet fich Baeumer zuerft zu ,Name' und ,Begriff' des
Symbols. Es handelt fich hier um die Titel Glaubensregel
, Kanon und Symbolum. Was B. fagt, ift nicht neu.
Er vertritt zunächft die auch bei den meiften Proteftan-
ten (doch nicht den gegenwärtig fachkundigften: Zahn
und Harnack) zu Tage tretende Anfchauung, wonach
die Glaubensregel ,freien' Charakter hat: fie ift immer
eine Geflalt der Lehre, die blofs ad hoc ihre Form
empfängt. Das Symbol i(t dagegen eine wirkliche Formel
: es ift ein liturgifches Stück. Mit dem katholifchen,
von mir fehr hoch gefchätzten Forfcher F. Probft geht
B. dann noch des befonderen Weges, dafs er als ,Kanon'
die Gebete der Meffe, infonderheit das grofse Dankgebet
, auffafst. Die ,regu/a precis' ift nach ihm (wie
nach Probft) neben dem Symbol die Grundlage der
,regula fideP. Darin fteckt m. E. ein richtiger Kern:
Problt's gelehrte Nachweife darüber haben mich feit je
überzeugt, dafs er eine Thatfache vor Augen habe, welche
den proteftantifchen Dogmenhiftorikern entgangen ift.
Aber Probft, und mit ihm B., zieht zu weit gehende
Confequenzen. So einfach, wie er den Thatbeftand fich
vergegenwärtigt, ift er nicht gewefen. Doch das kann
ich hier nicht darlegen. —■ Was die befondere Gefchichte
des Symbols anbelangt, fo fetzt B. ein bei Fauftus
von Reji, bezw. Caefarius von Arles; von letzterem
behauptet er, dafs man bei ihm ,ganz wörtlich alle Theile
unferes jetzigen Symbolums' treffe. Sofern Caef. zu
Anfang des fechften Jahrhunderts ,der Hauptvertreter
römifcher Gebräuche, römifchen Glaubens und römifcher
Liturgie' fei, fo ift ihm das ,Grund genug, anzunehmen,
dafs um's Jahr 500 das füdgallifche Symbol das damalige
römifche war'. Es ift überhaupt B.'s Hauptthefe, dafs die
jetzige forma rccepta des Apoftolicums, die man, zumal
nach Cafpari, proteftantifcherfeits meift ihrer Provenienz
nach für ,füdgallifch' erklärt, vielmehr aus Rom flamme
und hier wohl fchon um 5CO .wefentlich' fertig gewefen
fei. Nachdem B. diefe Thefe aufgtftellt hat, führt er feine
fkritifche Unterfuchung' vor. Zur Einleitung giebt er
eine Ueberlicht über die ,hauptfächlichfte Literatur über
das Symbolum'. Hier nennt er mit Auszeichnung die
Arbeiten von Cafpari, von denen er durchgängig Gebrauch
macht. Leider hat er fich jedoch durch diefelben
nicht ganz zu derjenigen Präcifion der Eruirung und
Unterfcheidung der Texte anleiten laffen, ohne welche
man fichere Refultate nie erzielen wird. Das Problem,
welches unfer textus reccptits uns aufgiebt, ift in feiner
Weife ein höchft eigenthümliches. Die Thatfache will
erklärt fein, wie eine Formel, die deutlich eine Variante
zu dem fog. altrömifchen Symbol, der Mutterformel aller
(fage ich zur Vorficht: mindeltens aller abendländifchen)
Symbole, ift, eben die Mutterformel und alle fonftigen
Varianten, vor denen fie fachlich meift gar nichts voraus
hat, vollftändig hat verdrängen können. Die erfte
Frage ift ohne Zweifel die, wo und wann zuerft diefe
Formel wirklich wörtlich conftatirt werde. Man darf
Fauftus von Reji da ficher nicht nennen. Auch B. fieht,
dafs hier mancherlei Einzelnes anders ift, als in unferer
Form. Caefarius von Arles kommt näher an fie heran.
Aber man kann es doch auch wenigftens nicht beweifen,
dafs fein Symbol ganz identifch fei mit unferem Apofto-

licum. Es fehlt bei feiner Umfchreibung (denn wörtlich
citirt er fein Symbol ja nicht) einmal das ,creatorem codi
et terrae1, fodann bietet er ,sedet ad dexteram patris',
läfst alfo ,Deil und ,omnipotentis' vermiffen. Möglich
erfcheint, dafs er gelefen hat ,in coelis cum caruc ascaidif
Vielleicht oder wahrfcheinlich hat er ein Mal zwei Artikel
anders geftellt, als unfer Text fie zeigt. Ueber die
grammatifche Structur feines Symbols bleibt man im
Unklaren. Nach allem dem ift mindeftens in keiner
Weife ficher, dafs er unfere jetzige Recenfion vertrete,
bez. der erfte ,Zeuge' für fie fei! So wahr es ferner fein
mag, dafs Caefarius in fpecififcher Weife römifche Bräuche
verbreitet hat, fo wenig ift daraus zu fchliefsen — gefetzt
einmal, dafs er wirklich unteren jetzigen Text vorausfetze
, wo er in feiner Weife auf das Symbol anfpielt —,
dafs er verrathe, welches zu feiner Zeit das römifche
Symbol gewefen fei, gar dafs er es gewefen, der in
Gallien die ,neue' römifche Formel eingeführt habe.
Nach B. hat man fich zu denken, dafs in Rom feit
etwa der Zeit Leo's des Grofsen die alte ftrenge Form
verlaffen und eben diejenige Summe von Zufätzen im
Symbol zugelaffen oder eingeführt worden fei, die das
alte Symbol zur fpäteren, der noch jetzt gültigen Formel
ftempelte. Es find nur fehr befcheidene Indicien
für diefen Procefs, der alfo in der zweiten Hälfte des
fünften Jahrhundert fich abgefpielt haben foll, auf die
B. die Aufmerkfamkeit hinlenken kann. Einzelne Citate
bei Leo können merkwürdig erfcheinen, wenn man vorausfetzt
, dafs er noch genau den alten Wortlaut des
Symbols kenne und auch fefthalte. Sie find doch mit
diefer nothwendigen Vorausfetzung zuletzt nicht wirklich
unvereinbar! Es ift aber ferner für fo gut wie ficher
zu erachten, dafs auch Gregor der Grofse noch gar kein
anderes Symbol benutzt und, fo weit er unmittelbaren
Einflufs übte, verbreitet hat, als die ganz intacte
altrömifche Formel. Auch in der Zeit, die jetzt folgt,
ift in Rom aller Wahrfcheinlichkeit nach noch nicht alsbald
diefe Formel preisgegeben worden. Denken wir
wieder an Caefarius, fo ift wohl unter keinen Umftänden
der Schlufs geftattet, dafs er aus feiner Ergebenheit
gegen Rom Anlafs genommen hätte, überhaupt an dem
Symbol in Gallien etwas zu ändern. Man kann es nicht
beweifen — keinerlei Notiz führt darauf hin —, dafs
unter feiner Einwirkung über ein neues, ein einheitlich
neugeordnetes, etwa ein ,revidirtes' Symbol ein Concils-
befchlufs zu Stande gekommen wäre. Nach Lage der
Dinge wäre es an fich nicht unglaublich, dafs er gegenüber
den vielerlei Varianten, die fich gerade in Gallien
entwickelt hatten, darauf gedrungen hätte, dafs man die
eigentliche Mutterformel, das letztlich allein authentifche,
echte Formular, welches in Rom noch in vollen Ehren
gehalten wurde, wieder allgemein herftelle. Es ift nur
nichts darüber bezeugt. Und das altrömifche Formular
hat er — das ift ganz klar — auch eben nicht vertreten.
Ift es nicht ganz ficher, wie eigentlich die Formel gelautet
, die er andeutet, fo ift auch nicht ficher, wohin
diefe Formel gehört. Ift fie die Formel von Arles?
Oder die feiner Heimathsftadt, Cabilonum (Chälons sur
Saone)? Oder ift der Sermon, den er dem Symbol widmet
— offenbar ein .Muflerfermon' — gar nicht auf einer
fpeciellen Localformel erbaut, vielmehr etwa fo zu ver-
ftehen, dafs er Anfpielungen auf die verfchiedenen im
Brauche flehenden Formeln enthielte? Es wäre wohl
möglich, dafs keine Einzelformel als folche darin angedeutet
wäre, fondern mehr oder weniger die Summe
aller üblichen wichtigeren Varianten feiner Zeit, wefent-
lich diejenigen, die man in Gallien hatte. An diefe Idee
laffen (ich wieder allerhand Combinationen knüpfen.
Das Problem ift viel complicirter als B. erkannt hat.
Allerdings hat auch Cafpari, die Gerechtigkeit verlangt,
dafs man das betone, das Problem fich durchaus nicht
vollftändig klar gemacht. Ueberhaupt ift Cafpari's Behandlung
der Frage, wie die jetzige Form die altrömifche

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