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Ausgabe:

1894 Nr. 1

Spalte:

7-9

Autor/Hrsg.:

Berger, Samuel

Titel/Untertitel:

Notice sur quelques textes latins inédits de l‘Ancien Testament 1894

Rezensent:

Schürer, Emil

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Theologifche Literaturzeitung. 1894. Nr. 1.

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auch von ihm anerkannten Räthfels, dafs eine nach
feinem eigenen Zugeftändnifs fo unvollkommene und in
dem, was fie obenanflellt, fo tief flehende Religion fo
herrliche Früchte zeitigt. Und doch ift fie fo fchwer
nicht zu geben, und obendrein werden mit ihr auch die
Grenzen jener fo hoch gepriefenen Wirkungen bezeichnet.
Nicht religiöfe, fondern fociale Urfachen find für jene
Wirkungen vorwiegend verantwortlich zu machen. Nicht
trotz alles Druckes und aller Verfolgungen hat das
Gefetz Israel aufrecht erhalten, fondern wegen derfelben.
Nur für ein gänzlich auf fich befchränktes, unfreies, gedrücktes
Volk ift die Gefetzesreligion des fpäteren Israel
gefchaffen, nur an einem folchen konnte fie fich als
fegensreich beweifen. Wohl mochte der Angriff auf
diefes letzte Gut die Verzweifelten zu gewaltigen An-
ftrengungen begeiftern und gelegentlich, wie in der
Makkabäerzeit, die Kraft wecken, das Joch abzuwerfen;
aber fobald das erfte Feuer verflackert war, mufste die
Religion felbft eben unter der Freiheit zu Grunde
gehen, und erft neue Knechtfchaft gab ihr neue und
gewaltig verftärkte Kraft. Ein freies Volk oder gar eine
Summe von freien Völkern zu heben und zu fördern
und ewigen Zielen zuzuführen, das geht über ihre Kräfte;
gerade unfere Zeit lehrt, dafs in demfelben Mafse wie
die Judenfchaft befreit und geiftig gehoben wird, das
Judenthum abftirbt und zufammenbricht. Auch das mufs
wieder zum Beweife dienen, dafs nicht im Rabbinismus
mit feinem falfchen, fondern im Chriftenthum mit feinem
echten und ewigen Ideal die wahre Erfüllung des A.T.'s
zu fuchen ift.

Auf Einzelnes einzugehen fehlt leider der Raum.
Aber der Dank für fein fo freimüthiges und herzenswarmes
Werk foll dem Verfaffer trotz wefentlich abweichender
Meinung nicht fehlen.

Strafsburg i/E. K. Budde.

Berger, Samuel, Notice sur quelques textes latins inedits
de l'Ancien Testament. Tire des Notices et Extraits
des Manuscrits de la Bibliotheque Nationale et autres
Bibliotheques, tome XXXIV, 2« partie. Paris, Klinck-
fieck, 1893. (38 S. 4-)

Berger's Studien über die Gefchichte der Vulgata
im früheren Mittelalter (f. Theol. Litztg. 1893, Nr. 26)
haben auch eine reiche Ausbeute an Itala-Texten des
Alten Teftamentes ergeben. Namentlich manche Vul-
gata-Handfchriften Spaniens, aber auch einige aus Böhmen
und Irland, enthalten, während fie fonft die Ueberfetzung
des Hieronymus wiedergeben, einzelne Bücher des A. T.
nicht nach diefer, fondern nach einer älteren Ueberfetzung.
Sie zeigen uns damit, wie lange es befonders in den
von den Centren des Culturlebens entfernteren Ländern
gedauert hat, bis das Werk des Hieronymus völlig zur
Aufnahme gelangte. Die von Berger entdeckten Texte
gehören theils bisher nicht bekannten Handfchriften an,
theils folchen, die zwar bekannt, aber nicht näher unter-
fucht waren. Er will in der vorliegenden Publication
nur Notizen und Proben geben. Auf eine Mittheilung
umfangreicherer Texte verzichtet er fchon deshalb, weil
die Münchener Akademie (was Ref. bisher noch nicht
wufste und mit Freuden begrüfst) die Herausgabe eines
Corpus der Itala-Texte des Alten Teftamentes in Angriff
genommen hat. Wie reich der Stoff ift, welcher
durch Berger's Arbeiten der Italaforfchung zugewachfen
ift, mag folgende Inhalts-Angabe feiner Publication
darthun.

1. Ein bisher unbekannter lat. Text des Buches
Ruth aus der grofsen Bibelhandfchrift von Alcalä saec.
IX oder IX— X, jetzt Nr. 31 der Univerfltätsbibliothek
in Madrid. Berger druckt den Text vollftändig ab (S. 8—12)
und weift darauf hin, dafs Ambrofius eine Stelle (4, 11—13)
faft wörtlich übereinftimmend mit unferem Texte citirt.

2. Der Lobgefang der Hanna (I Samuel. 2) nach
einer aus Böhmen flammenden Vulgata-Handfchrift, jetzt
in Einfiedeln, datirt vom J. 1420. Das Stück fleht hier
am Rande des Vulgata-Textes. Es ift nach einer andern
Handfchrift fchon durch Vercellone bekannt gemacht
worden. Dafs es ein Itala-Text ift, beweift ein mit un-
ferm Text übereinftimmendes Citat bei Lucifer von Calaris.

3. Das Buch Hiob nach der von Hieronymus angefertigten
Revifion des altlateinifchen Textes {lob juxta
LXX). Bekanntlich hat Hieronymus, ehe er fein grofses
Werk einer Ueberfetzung des alten Teftamentes nach
dem Hebräifchen unternahm, verfucht, den altlateinifchen
Text auf Grund der LXX zu verbeffern. Von diefer
Arbeit find uns die Pfalmen und Hiob erhalten. Letzterer
ift bereits von Martianay nach einer Handfchrift
von Tours herausgegeben worden. Den Text einer
zweiten Handfchrift {liodleian. auctarium E infra 1) hat
vor einigen Jahren Lagarde in feinen ,Mittheilungen,
II, 1887, S. 189fr. abgedruckt. Berger macht nun auf
eine dritte Handfchrift aufmerkfam Sangallensis Nr. 11.
Diefelbe ift älter als die bisher bekannten; ihr Text fleht
aber an Güte hinter denfelben zurück. Berger giebt
daher nur eine kurze Probe.

4. Fragmente des altlateinifchen Textes des Buches
Hiob hat Berger in der grofsen Vulgata-Handfchrift zu
San Ifidro in Leon (in Spanien), datirt vom J. 960 n. Chr.,
entdeckt. Sie flehen hier als Varianten zum Vulgata-
Text. Varianten derfelben Art finden fich hier auch
im Pentateuch, in den Büchern der Könige und der
Chronik, wovon die zu den Büchern der Könige bereits
durch Vercellone bekannt gemacht worden find (denn
fein codex gothicus legionensis ift eben unfere Handfchrift
von San Ifidro in Leon). Die Fragmente aus Hiob find
deshalb von befonderer Wichtigkeit, weil fie uns zum
erften male in den Stand fetzen, die Arbeit des Hieronymus
zu controliren. Berger giebt auch von diefem
Texte nur Proben. Eine baldige Herausgabe des Ganzen
wäre fehr zu wünfchen.

5. Excerpte aus den falomonifchen Schriften,
die bisher nicht bekannt waren, enthält ebenfalls die
fchon erwähnte Handfchrift von Sanct Gallen {Sangall. 11).
Berger theilt die Excerpte aus den Proverbien, Koheleth
und dem Hohenliede vollftändig mit; diejenigen aus Sirach
und Weisheit nicht, da diefe wefentlich mit dem
Vulgata-Texte übereinftimmen. Der Umfang diefer Fragmente
ift nicht fehr grofs. Der Schreiber hat offenbar
nur die Sprüche zufammengeftellt, an welchen er be-
fonderes Gefallen gefunden hat. Der Text ift, wie fich
aus patriftifchen Citaten feftftellen läfst, derjenige der
alten Itala.

6. Die reichfte Ausbeute an altlateinifchen Texten
haben Berger's Forfchungen für die Apokryphen ergeben
. Theils hat er für die fchon bekannten Texte
Handfchriften nachgewiefen, die bisher nicht beachtet
waren, theils hat er auch neue Texte entdeckt. Erfteres
gilt von Tobit, Judith, Baruch, III Efra. Berger begnügt
fich hier damit, die jetzt bekannten Handfchriften
zu nennen. Für Tobit und Judith ift die Zahl ungefähr
doppelt fo grofs wie die, welche ich in meiner Gefch.
des jüd. Volkes erwähnen konnte. Auf völlig neuer
Grundlage mufs künftig der lateinifche Text des vierten
Buches Efra conftruirt werden. Alle bisherigen Ausgaben
ruhen auf einer Handfchrift: dem Sangermanen-
sis, der bekanntlich in Cap. 7 eine Lücke hat. Berger
kann jetzt nicht weniger als fünf davon unabhängige
Handfchriften aufzählen: 1) die Handfchrift von Amiens,
aus welcher Bensly das fehlende Stück herausgegeben
hat, 2) die grofse Bibelhandfchrift von Alcalä,, jetzt in
der Univerfltätsbibliothek zu Madrid Nr. 31, aus welcher
Palmcr ebenfalls nur das fehlende Stück abgefchrieben
hat, 3) die Handfchrift der Bibliotlieque Mazarine, auf
welche Berger fchon früher aufmerkfam gemacht hat
{Revue de theol. et de philos. 1885), 4) eine Bibelhand-