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Ausgabe:

1894 Nr. 8

Spalte:

207-210

Autor/Hrsg.:

Curtius, Ernst

Titel/Untertitel:

Paulus in Athen 1894

Rezensent:

Heinrici, Carl Friedrich Georg

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207

Theologifche Literaturzeitung. 1894. Nr. 8.

208

Curtius, Ernft, Paulus in Athen. [Sitzungsberichte der I aus den gefchichtlichen Verhältnifsen Athens heraus-
Königl. Preufsifchen Akademie der Wiffenfchaften zu ' wächft, wie die Miffionsrede felbft in einzig fchlichter
Berlin. Philofophifch-hiftorifche Klaffe. 1893. XLIII, und eindringlicher Art die Brücke zwifchen der Weisheit
cot Hellenen und dem chnftlicnen Heilsgut fchlägt.

925 938-J Für die vollere Würdigung diefer Rede weift Curtius

Die Frage nach den Elementen der religiöfen Welt- j auf das einzigartige Nebeneinanderbeftehen des Dienftes,
anfchauung des Apoftels Paulus hat auch bei denen, j der dem bildlos verehrten höchften Gotte gewidmet
welche in dem mächtigen Heidenbekehrer eine gefchicht- ward, und jener Gaftfreundfchaft für fremde Culte, wo-
liche Perfönlichkeit erkennen, noch nicht eine überein- , durch Athen das buntefte Spiegelbild des Polytheismus
ftimmende Beantwortung durchgefetzt. Im Allgemeinen j wurde und die religiöfe Treue der Athener, ihre evoißeia,
überwiegt die Neigung, Paulus als verchriftlichten Rabbinen ! in abergläubifche Götterangft, dsiaidaifinvia, ausartete,
abzufchätzen. Der Eiferer für die väterlichen Ueber- ,An den nie erlofchenen Grundzug monotheiftifcher
lieferungen fei zum Eiferer für Chriftus geworden. Seine i Gottesanfchauung' darf daher in der nöXig xaisidwXog
Lehranfätze feien jüdifch-theologifche Conftructionen. ; Paulus anknüpfen. Ein Citat, das bei Aratus und in
In Methode und Zielpunkten bleibe er ein Pharifäer, an dem Hymnus des Kleanth (E. Maas, Aratea. 1892. S. 256)
deffen fprödem Geifte alles Helleniftifche faft eindrucks- j nachweisbar ift, das zugleich einen Lieblingsgedanken
los vorüberzog. Die Ablehnung einer höheren Werthung i der kynifchen und ftoifchen Philofophie wiedergiebt
des Hellenismus für das Geiftesleben des Apoftels be- j (Arrian — Epiktet i, 14. 2, 14: vri avvov ysyöva/tifv, tyo-
ftärkt fich durch die wagehalfigen Verfuche, welche iitv riva InnxXoEpv iiQug avxhv xai ayjaiv): ,Wir find
neuerdings die gefammte Paulinilche Literatur zu einem göttlichen Gefchlechts', benutzt der Apoftel daher als
tendenziöfen Kunftproduct der nachapoftolifchen Zeit orientirenden Gedanken. Das Befireben, die Aeufserungen
umftempeln möchten. des religiöfen Sinns der Heidenwelt gefchi chtlich zu

Zu diefer Frage nimmt Ernft Curtius das Wort.
Er will nicht fowohl in die Debatte eingreifen, als vielmehr
den Eindruck wiedergeben, den er von der Perfönlichkeit
und der Bildung des Paulus aus der Apoftelge-

begreifen und nach feinem Gehalte zu würdigen, leitet
diefe Auseinanderfetzung ebenfo wie die religionsge-
fchichtlichen Darlegungen der Briefe (Rom. 1, 18—3, 20.
9—11. 1. Kor. 1, 21 f.). Dies ift ein hellenifcher Zug.

fchichte und den ihm zugefchriebenen Briefen gewonnen Nach Feftftellung des hiftorifchen Charakters der

hat. Seihe bedeutfame Aeufserung verdient den Dank
und die Aufmerkfamkeit der Theologen. Topographifche
Studien zur Stadtgefchichte Athens haben ihn zur Be-
fchäftigung mit Paulus in Athen (Act. 17, 16—34) geführt.
Das Charakterbild des Apoftels, das ihm hier entgegentrat
, gab ihm den Reiz, auch in den Briefen jenen
Spuren hellenifcher Bildung nachzugehen, die aus der
Rede im Areopag ihm entgegenleuchtete. Die an fein-
iinnigen Beobachtungen reiche Skizze kommt zu dem
Ergebnifs : ,Paulus war der erfte Semit, der einem auserwählten
Stamme des Völkergefchlechts angehörig,
feinem Volke treu blieb und den werthvollften Befitz
desfelben, die Energie des religiöfen Lebens und reine
Gottesanfchauung, in hellenifcher Zunge nach Hellas
brachte. Damit ift er in die grofse Lücke hellenifcher
Bildung eingetreten'. Dazu aber befähigte ihn der vollwichtige
Antheil, den er auch an diefer Bildung als
Bürger von Tarfus, dem uralten Brennpunkte orienta-
lifcher und occidentalifcher Civilifation, befafs.

Zunächft erörtert Curtius die Rede in dem Areopag
und die Umftände, unter denen fie gehalten wurde. Aus
dem Bericht erhelle, dafs ein wohlunterrichteter Zeuge

Marktrede geht Curtius den Spuren hellenifchen Sinnes
in den Briefen des Apoftels nach. Am deutlichften leuchtet
derfelbe aus der Stimmung des Philipperbriefes, der ja
wie kein anderer ein Denkmal feines Gemüthslebens ift.
Die Mahnung zum yaiotiv (4, 4), das charakteriftifche
'evxprjtta (4, 8) kommen befonders in Betracht. Auch
das attifche Salz (Kol. 4, 6), die Idee des Mafses (2. Kor.
10, 13) bezeugen ,den Anhauch hellenifcher Lebens-
anfchauung'. Von ethifchen Vorftellungen, die in neuer
Währung in Umlauf gefetzt werden, tritt ,die Idee des
Staats als der Gemeinfchaft, in welcher allein die menfch-
lichen Fähigkeiten fich naturgemäfs entwickeln können',
hervor. Die Bilderwelt des Apoftels ift zum Theile aus
diefem Gebiete entlehnt (noXirtveatrai, /inlixtvLin, txoXi-
xtia), ebenfo aus dem Gebiete der Gymnaftik und des
Heerwefens. Die gewählten Ausdrücke, deren fich Paulus
bei ihrer Verwendung bedient, darunter auch das feltene
xctTCtßQaßsveiv, bewähren feine fcharfe Beobachtung. Ab-
gefondert davon befteht eine Gruppe von Verbildlichungen
, welche in Pindarifcher Plaftik religiöfe Hoffnungen
und Urtheile veranfchaulichen (Kol. 2, 17. Rom.
8, 22). Auch das Rechtsleben (vw&eoia, diaä-rjxfr), die

wahrheitsgetreu den Vorgang fchildert. Aber ,man mufs { Kunft (Act. 17, 29. Rom. 6, 17. 1. Kor. 10, 6), religiöfe

in Athen zu Haufe fein, um ihn recht zu verliehen'.

Vorftellungen (tjnhdofitti Phil. 2, 17. 2. Tim. 4, 6), nicht

Den Hauptanftofs gewährt darin die Erwähnung des zuletzt das Myfterienwefen (Phil. 4, 12. 1. Kor. 2,6) werden
Areopag. Wird darunter die heilige Malftätte auf dem ! geftreift. Die Gefinnung, in der Paulus das F-vangelium
Felshugel verftanden, auf dem fich nach Erledigung der j verkündigt, und feine Kritik einer falfchen Verkündigung
Vorunterfuchungen die Blutrichter an beftimmten Monats- ' erinnern an den Gegenfatz von Sokratikern und Sophiften.

tagen unter freiem Himmel in feierlicher Sitzung zum
Urtheilsfpruch verfammelten, fo ift der Vorgang ge-
fchichtlich unbegreiflich. Denn die Apoftelgefchichte
berichtet nicht über eine ordentliche Gerichtsfitzung,
fondern über eine freie Verfammlung, in welcher der

Und wenn er, wie Eratofthenes, Macedonien und Achaja
als ein Gebiet der nixoviisvrj auffafst (Rom. 15,26), wenn
er die nationalen Unterfchiede in der Einheit der Ueber-
zeugung aufgehoben fieht, fo fand er einen Widerhall
im Bewufstfein der Hellenen. Auch die ZwxqcczixoI befremde
Weisheitslehrer dem hörluftigen Publicum, deffen j urtheilten fich als ein neues Gefchlecht, mochten fie
Aufmerkfamkeit er durch Marktgefpräche geweckt hatte, i Athener, Böotier, Eleer fein.

Auffchlufs giebt über feine neue Lehre. Dafür war nach Und die Methode des Apoftels! Wie fremd ift der

athenifchem Brauche der Markt die Stätte. Und hier in
der Königshalle befand fich allerdings zu römifcher Zeit,
und wohl auch bereits früher {Plato Euthyphron Einleitung)
ein Gefchäftslocal des Areopag, wo die Proceffe eingeleitet
wurden. Ift es nun fprachlich zuläffig, ozadsig h
M6ow tov 'Aqeiov nuynv auf den Platz zu beziehen, den
Paulus in dem Halbkreife der Areopagiten einnahm, als
er die in bunter Corona auf dem Markte zufammen-

agglutinirenden, aphoriftifchen, apophtegmatifchen Weife
jüdifchen Schriftthums feine Dialektik. Nicht ohne Grund
meinten die Bürger von Lyftra ihm die Ehren des Hermes
Inyiog fpenden zu dürfen (Act. 14, 12).

Nicht alle hier geltend gemachten Beziehungen find
von gleicher Evidenz. Es ift doch nur eine Analogie,
die wie das Bild neben der Sache fleht, wenn evctyyfiiov
durch eväyyelog, den erften Boten eines glücklichen

gedrängte Menge von der Königshalle aus anredete, fo j Ereignifses, verdeutlicht wird. Oder wenn die rr/rmg
ergiebt fich eine Situation, die ebenfo charakteriftifch neben der etc-exr) und der aorpia auf dem die Apotheofe