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Ausgabe:

1893

Spalte:

177-179

Autor/Hrsg.:

Smith, W. Robertson

Titel/Untertitel:

The Old Testament in the Jewish Church. A course of lectures on biblical critism. 2. ed., revised and much enlarged 1893

Rezensent:

Marti, Karl

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Theologische Literaturzeitung.

Herausgegeben von D. Ad. Harnack, Prof. zu Berlin, und D. E. Scllürer, Prof. zu Kiel.

Erfcheint ^re's
alle114 Tage. Leipzig. «L C. Hinrichs'fche Buchhandlung. jährlich 16 Mark.

j>jo. y_ 1. April 1893. 18. Jahrgang.

Smith, Robertson, The Old Testament in the

Jewish Church, 2. ed. (Marti).
Peters, Die Prophetie Obadjahs (Budde).
Chwolfon, Das letzte Pafl'amahl Chrifti und

der Tag feines Todes (Schürer).
Beyfchlag, NeuteftamentlicheTheologie, 2 Bde.

(Lobftein).

Myrberg, Die biblifche Theologie und ihre
Gegner (Link).

Lods, L'eVangile et Tapocalypse de Pierre
(Schürer).

Hallier, Unterfuchungen über die edeflenifche
Chronik; Raabe, Die Apologie des Ariftides

[= Texte und Unterfuchungen von Gebhardt
und Harnack IX, i] (Neftle).

Hegler, Geift und Schrift bei Sebaftian Franck
(Bollert).

Reindell, Doktor Wenzeslaus Linck aus Colditz
(Kawerau).

Smith, W. Robertson, The Old Testament in the Jewish
Church. A course of lectures on biblical criticism.
2. ed., revised and much enlarged. London and Edinburgh
, Adam & Charles Black, 1892. (XIV, 4S8 S.,
gr. 8.) geb. 10 s. 6 d.
Ein Buch von W. Robertfon Smith bedarf für die
I.efer der Theologifchen Literaturzeitung keiner Empfehlung
, namentlich nicht, wenn deffen erfte Auflage
von Wellhaufen freudig begrüfst worden ift (vgl. Theol.
Litztg. 1881, Sp. 250f.). Immerhin find feither elf Jahre
vergangen, und Wellhaufen hat fleh damals begnügt,
mehr nur im Allgemeinen die Art des Buches, den trefflichen
Aufbau und die werthvolle und klare Darlegung
zu kennzeichnen. Darum ift es wohl angezeigt, wenn
jetzt neben der Hervorhebung des Neuen, das die zweite
Aullage bietet, eine kurze Ueberficht über den Inhalt
und den Gang des fchönen Buches verfucht wird.

Das Buch zerfällt im Grofsen in zwei Haupttheile,
in einen allgemeinen, der die fechs erften Vorlefungen
umfafst, und in einen fpeciellen, der in fieben weiteren
Vorlefungen verläuft. Der erfte erweift in der trefflichften
und überzeugendften Weife die Nothwendigkeit einer kri-
tifchen Behandlung des Alten Teftaments, giebt eine
Einführung in die Kritik, wie man fie beffer nicht
wünfehen kann. Ausgehend von der Zeit der Reformation
, welche den hebräifchen Text des Alten Teftaments
von den Juden übernahm, und von der verfchie-
denen Verwendung des Schriftworts bei Proteftanten
und bei Katholiken, worüber die feinften Bemerkungen
gemacht werden, verfolgt der Verf. von Stufe zu Stufe
rückwärts die Gefchichte des Alten Teftaments bei den
Juden und zeigt zunächft, wie der jetzige Text auf einer
Recenfion beruht, welche im zweiten chriftlichen Jahrhundert
auf Grund eines einzigen, aber nicht nach
wiffenfchaftlichen Grundfätzen ausgewählten Archetypos
ausgeführt wurde, der im beften Falle in die Zeiten des
Syrerkönigs Antiochus Epiphanes zurückreichen kann. In
das zweite chriftliche Jahrhundert wird diefe Feftftellung
des Textes verlegt, weil einerfeits bis in das erfte chriftliche
Jahrhundert hinein innerhalb der jüdifchen Gemeinde
felbft durch die Abweichungen, welche das Buch der
Jubiläen dem maforethifchen Text gegenüber aufweift,
ein Schwanken in der Textgeftalt verbürgt wird, und weil
andererfeits im zweiten Jahrhundert zur Verdrängung der
abweichenden LXX für die griechifch-fprechenden Juden
eine neue, fleh fklavifch an den nun feftgeftellten Text
anfchliefsende griechifche Ueberfetzung angefertigt wurde.

Eine frühere Stufe des A.T.'s, als he die maforethifche
Bibel bietet, lehrt die griechifche Ueberfetzung der LXX
kennen, die auf Manufcripte zurückgeht, welche gewifs
mindeftens zum Theil älter find als der Archetypos

unferer gegenwärtigen hebräifchen Copien. Bei der
Befprechung der LXX ift es dem Verf. nun haupt-
fächlich darum zu thun, recht klar die Freiheit zu ver-
anfchaulichen, mit welcher damals noch die Sammler und
Herausgeber den überlieferten Schriften gegenüber ftanden.
An dem Befunde, den die griechifche Ueberfetzung aufweift
, wird es deutlich gemacht, wie durch Beifügungen
und Aenderungen oftmals Charakter und Sinn eines
Abfchnitts nicht unwefentlich modifleirt find, ferner, wie
die Umftellungen ganzer Abfchnitte zeigen, dafs Bücher
des A. T.'s, die wir als Einheiten anzufehen gewohnt find,
in Wahrheit Conglomerate, d. h. Sammlungen urfprüng-
lich einzeln veröffentlichter Schriftftücke find. Ueberall
find die Beifpide zur Veranfchaulichung des Thatbeftandes
vortrefflich gewählt und immer ift der Blick auf das Grofse
und Ganze gerichtet, fo dafs das Einzelne in dem Ge-
fammtbilde eine helle Beleuchtung findet.

Für die Gefchichte des gemeinfamen Vorfahren der
beiden Texte, der nicht lange vor dem dritten Jahrhundert
gefucht werden darf, giebt es nur innere Beweife,
die aber deutlich und ficher genug zeigen, dafs fchon
von Anfang an die Texte mit der gleichen Freiheit behandelt
wurden. Alles in diefem allgemeinen erften
Theile des Buches fpitzt fleh in dem Satze zufammen,
dafs zur Kritik nicht nur das Recht, fondern die Pflicht
ruft. Auch den letzten Fünwand dagegen zu heben, ver-
gifst der Verf. nicht; denn die Vorlefung über die Ent-
ftehung des Kanons legt dar, wie derfelbe durch keine
für das chriftliche Gewiffen ausfchlaggebende heilige
Autorität fixirt ift.

Damit ift der Boden prächtig geebnet für den zweiten
fpeciellen Theil: die Unterfuchung über die Entftehung
der einzelnen Bücher. Natürlich mufs fleh hiebei in dem
nicht nur für Theologen beftimmten Buche der Verf. auf
einige Hauptprobleme befchränken, welche Gefetz, Propheten
und Pfalmen betreffen. Die erfte diefer Vorlefungen
ift der Entftehungsgefchichte der jetzigen
Pfalmenfammlung gewidmet. Gerade diefe Unterfuchung
verdient aber die aufmerkfamfte Beachtung der Fach-
genoffen, nicht nur weil fie gegenüber der erften Auflage
zum gröfseren Theil neugefchrieben ift, da fie die Haupt -
ergebnifse eines inzwifchenin der Encyclopaedia Britannica
erfchienenen Artikels des Verfaffers über die Pfalmen
mit verarbeiten wollte, fondern auch, weil der Verf. feine
eigenen Wege geht und in manchen Stücken von Cheyne
{The Origin and Religious Confcnts of the Psalter 1891)
abweicht. Es fei geftattet, hier auf einige Punkte diefer
Unterfuchung hinzuweifen, welche dem Ref. wichtig er-
fcheinen. Zuerft verlangt der Verf., dafs in die Discuffion
über das Alter einzelner Pfalmen erft dann eingetreten
werde, wenn eine Unterfuchung in Betreff der Entftehung
der verfchiedenen Sammlungen vorhergegangen fei. Nach

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