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Ausgabe:

1893 Nr. 6

Spalte:

162-165

Autor/Hrsg.:

Hansen, Joseph (Bearb.)

Titel/Untertitel:

Nuntiaturberichte aus Deutschland, nebst ergänzenden Actenstücken. 3. Abth. 1572 - 1584. 1. Bd 1893

Rezensent:

Virck, H.

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Theologifche Literaturzeitung. 1893. Nr. 6.

162

In diefem Punkte kann ich die Deductionen Corf-
fen's nicht überzeugend finden. Mag immerhin die Erzählung
Act. 9, 10—19 aus folch einer Vifion des Paulus
herausgefponnen worden fein; um dem Lucas fo rohe
Widersprüche wie den zwifchen dem v. 12 xaza Corfsen
und v. 17—19 zuzutrauen, müfste ich den vermeinten
urfprünglichen Wortlaut von v. 12 mehr durch Handfchrif-
ten als durch Conjectur gefichert fehen; und das ävijn
Avaviag 6v6/iazi ift doch in einer Vifion nicht viel ungeheuerlicher
als das von Corfsen vertheidigte avtjg Maxadojv
zig 16, 9. In einem Protocoll über den vifionären Vorgang
hätte Act. 9, 12 allerdings nicht geftanden, aber
wer erwartet das bei Lucas?

Um fo freudiger begrüfse ich den Nachdruck, mit
dem Corfs. gegen die auch von Rendel Harris in feiner
Monographie über den codex Bezae nicht verlaffene
Mode proteftirt, die occidentalifche Tradition gering-
fchätzig beifeite zu fchieben. Gegenüber den Zeugen
für diefe Tradition find unfere berühmtcften griechifchen
Ilandfchriften relativ jung; und dafs fie nur das Product
einer fyftematifchen, aber doch mit recht unzulänglichen
Mitteln arbeitenden und unzählige Male das Rationelle
dem durch Handfchriften Gedeckten vorziehenden Bearbeitung
des grenzenlos verwilderten Textes find, ift eben-
fowenig zu beftreiten. Bisher hat die formale Textkritik
mit unangreifbarer Methodik den beften Text der
Bearbeitung des 4. Jahrhunderts hergeftellt, aber auch nicht
mehr, nicht den urfprünglichen, der doch nicht wie durch
ein Wunder gerade dem Vatic. und Sinait. unbefchädigt
übermittelt fein wird. Auf dem Wege der blofsen reecnsio
darf man fich nicht einbilden, ,das reine Gold des urfprünglichen
Textes zu Tage gefördert zu haben'. Oert-
lich und zeitlich genau zu fixirende ältere Texte, wie
der cyprianifche, den wir für die Evangelien und die
Apokalypfe auch noch einigermafsen reconftruiren können
, werden in erfter Linie heranzuziehen fein, wenn es
gilt, über den älteften Text Klarheit zu fchaffen.

Hoffen wir, dafs es Corfsen vergönnt fein möge, an
diefer lohnenden Aufgabe erfolgreich weiterzuarbeiten
und andere zuverläffige Arbeiter zu gewinnen. Er hat
fich jedenfalls in diefer Abhandlung als einen ebenfo
lörgfältigen und befonnenen, wie unabhängigen Arbeiter
erwiefen. Nur Kleinigkeiten wären zu beanftanden; fo
wundert mich, dafs Corfs. S. 7 n. ohne Bedenken von
J. Langen den Presbyter P"auftinus als Verfaffer des Am-
brofiafter übernimmt; S. 6,20—25 hätten bei den Citaten
aus Lucifer doch auch wie fonft die Seitenzahlen notirt
werden follen (22, 23. 243, 19. 159, 29. 191, 25. 269, 18)
S. 8 in den Anm. zum Variantenverzeichnifs für Act. 1,7
und für Act. 1, 8 würde als Beleg für die Lefungen des
Plefych. neben ep. 198,2 auch ep. 199, 4 zu erwähnen fein,
und zu v. 8, dafs Hefych. ep. 198, 6 jdtimum' durch extre-
mum erfetzt; für Auguftin's Text find aufser $ 1, 5, 33 auch
7, 18 Zeugen und § 33 heifst es in sua potestate posuit,
nicht posuit in s. pot. In der Anm. zu den Varianten
von Act. 1, 9 (S. 9) notirt Corfs., dafs Aug. beide Male,
wo er abgefehen von ep. 199 jenen Vers citirte, videntibus
Ulis auslaffe: aber de cat. rud. $ 41 fteht in einem freien
Bericht über den Vorgang xisdem spectantibus1. Act, I, Ii
wird von Aug. ep. 199,41 von sie an wörtlich fo wie in
der Schrift contra Felicem citirt. Die S. 10 für contra
Felicem angegebene Lesart subito sonus de caelo gründet
fich nur auf eine Handfchrift; mit Recht hat fie Zycha
durch die mit Cypr. übereinftimmende subito de c. sonus
erfetzt. S. 11 ift in den Angaben aus h und aus P I, 30
überfehen, dafs das Citat Act. III, 14 und 15 umfafst.
Doch zeigen diefe Beifpiele, von wie geringem Einflufs
folche kleinen Mängel auf die Unterfuchung felber find,
und auch, wenn man in einzelnen Fällen fich anders als
Corfsen entfeheiden, z. ß. S. 16 nicht das orationibus von
F dem orationc aller anderen Zeugen in Act 1, 14 vorziehen
würde — der Pluralis, der aus dem Griechifchen
gewifs nicht herftammt, dürfte unter dem Einflufs des |

danebenftehenden Plurals mulieribus entftanden fein —
wird man ihm für einen neuen, befonders ergiebigen
Beitrag zur Gefchichte des Neuen Teftamentes dankbar
fein.

Marburg. Ad. Jülicher.

Nuntiaturberichte aus Deutschland, nebft ergänzenden Acten-
flücken. Hrsg. durch das k. preufsifche hiftorifche
Inftitut in Rom und die k. preufsifche Archiv-Verwaltung
. 3. Abth. 1572—1585. 1. Bd. Der Kampf um
Köln 1576—1584, im Auftrage des k. preufsifchen
hiftorifchen Inftituts in Rom bearb. von Jof. Hänfen.
Berlin, Bath, 1892. (LXVI, 802 S. Lex.-8.) M. 26. —

Faft gleichzeitig mit den beiden erften Bänden der
erften Abtheilung der Nuntiaturberichte aus Deutfchland
ift der erfte Band der dritten Abtheilung erfchienen.
Abweichend von dem fonft bei der Edition befolgten
chronologifchen Princip hat der Bearbeiter hierin die
gefammte auf den Kampf um Köln bezügliche Corre-
fpondenz der Curie mit ihren Nuntien aus den Jahren
1576—1584 zufammengeftellt. Das vorliegende umfangreiche
Material zerfällt in zwei Theile. Der erfte enthält
die auf die Wahl und Beftätigung des Erzbifchofs Gebhard
Truchfefs bezüglichen Actenftücke vom 23. Mai 1576 bis
zum 14. Mai 1580. Die im zweiten Theile veröffentlichten
Berichte handeln über den Abfall des Erzbifchofs
von der kath. Kirche und reichen vom 15. März 1582 bis
5./15. Mai 1584. Mit wenigen Ausnahmen flammen alle
Schriftftücke aus dem Vaticanifchem Geheimarchiv, und
keines von ihnen war bisher bekannt. Bis auf die Erlaffe
des Staatsfecretariats an den Nuntius Portia aus
den Jahren 1577 und 1578 find auch die Gegenfchreiben
der Curie an die Nuntien faft alle erhalten. Schon aus
diefen Angaben erhellt die ungemeine Bedeutung der
vorliegenden Sammlung. Sie würde noch weit mehr
hervortreten, wenn die erfte Periode der Kölner Wirren
nicht fchon durch Loffen's Werk über den Kölner Krieg
eine fo genaue Bearbeitung erhalten hätte, dafs hierdurch
die auf die Wahl Gebhard's bezüglichen Vorgänge
in allen wefentlichen Punkten ein für alle Mal klar gelegt
find. Wenn nun aber auch in diefer Beziehung
unfere Kenntnifs durch den erften Theil der Sammlung
nicht fehr erweitert wird, fo erhalten wir doch erft durch
ihn einen vollen Einblick in die von der Curie bei diefer
Gelegenheit beobachtete Haltung und damit zugleich
eine allerdings noch unvollkommene Anfchauung des
ganzen Syftems der päpftlichen Politik im Zeitalter der
Gegenreformation, das unter den früheren Päpften erft
in feinen Grundlinien fichtbar, von Gregor XIII zur
höchften Vollendung ausgebildet wurde. Wie fehr hatte
fich doch das Verhalten der Curie gegenüber den deut-
fchen Dingen im Vergleich zu früher geändert! Während
fie noch in den dreifsiger Jahren trotz des ungeheuren
Abfalls fich um Deutfchland faft gar nicht kümmert,
fondern ihre ganze Aufmerkfamkeit auf die Erhaltung
ihrer weltlichen Machtftellung in Italien richtet, fieht fie
jetzt ihre vornehmfte Aufgabe darin, das in Deutfchland
verloren gegangene Gebiet zurück zu gewinnen, und entwickelt
dabei einen Eifer und eine Energie, deren zehnter
Theil 60 Jahre früher genügt haben würde, die deutfehe
Bewegung im Keime zu ertlichen. Viel deutlicher tritt
uns dies allerdings erft aus dem zweiten Theil der
Publication entgegen, der überhaupt als der wichtigere
erfcheint, weil durch die in ihm enthaltenen Actenftücke
auf das hellfte die zweite Periode des Kampfes um Köln
beleuchtet wird, die eine derartig eingehende Schilderung
wie die erfte noch nicht erhalten hat. Unzweifelhaft
wird diefer zweite Theil für den in der Vorbereitung
befindlichen zweiten Band Loffen's eine der vornehmften
Quellen werden. An der Hand der hier abgedruckten
Berichte find wir im Stande, die Emtwickelung der Dinge

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