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Ausgabe:

1893

Spalte:

138-141

Autor/Hrsg.:

Hoensbroech, Paul Graf v.

Titel/Untertitel:

Christ und Widerchrist. Ein Beitrag zur Vertheidigung der Gottheit Jesu Christi und zur Charakteristik des Unglaubens in der protestantischen Theologie 1893

Rezensent:

Ritschl, Otto

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auf S. 15 eine Periode, die auf S. 17 endigt und auf
45 Zeilen gegen 500 Worte umfafst.

Der Verfaffer hat es nach feiner Angabe gefliffent-
lich vermieden, .menfchlich logifche Begriffe und Ab-
ftractionen' bei feiner Darfteilung zu verwenden. ,Gott
hat feine eigene Logik', fagt er, ,nach der er handelt,
und diefe heilige Logik Gottes, wie er fie in dem Werk
der Erlöfung kundgethan, foll auch in der Darlegung
derfelben von unterer Seite allein zu Wort und Geltung
kommen' (S. 370). Dafs der Verfaffer diefe in Gottes
Wefen liegende innere Nothwendigkeit nachdrücklich betont
und als ihren Erkenntnifsgrund die göttliche Offenbarung
angiebt (S. 371), darin verdient er nur Zuftim-
mung. Dennoch kann dadurch nicht überhaupt der Gebrauch
von logifchen Begriffen in der Theologie ausge-
fchloffen werden. Denn wie wir mit der Sprache reden,
fo denken wir in Begriffen, und, um uns über religiöfe
oder irgendwie andere concrete Begriffe zu verftändigen,
dazu bedürfen wir als Mittel auch der logifchen Ab-
ftractionen. Diefe können alfo auch in der Theologie
als Hülfsmittel der Erkenntnifs und der Verftändigung
nicht entbehrt werden. Nur darf man allerdings von
ihnen keinen conftitutiven Gebrauch machen, wenn man
nicht von vorn herein die eigentliche Aufgabe der Theologie
aus den Augen verlieren will.

Der leitende Gedanke der vorliegenden Darftellung ift
der, dafs die heilige Liebe Gottes das Princip des Werkes
der Erlöfung ift. Die Heiligkeit bedeutet dabei, dafs Gott in
Ewigkeit fich felber treu und gleich bleibt (S. 19). Dem-
gemäfs find die Menfchen ,von Ewigkeit eingebunden in
das Liebesband, das Gott den Vater mit dem Sohne
von Ewigkeit verbindet' (S. 46). In diefem Sinne wird
das Werk Jefu als fein Heilandsberuf in den drei Thätig-
keiten des Propheten, des Hohenpriefters und des Königs
befchrieben. Die königliche Macht Jefu wird auch fchon
in feinen irdifchen Werken nachgewiefen, namentlich in
dem Siege, den er über die Welt und ihren Fürften
durch das Kreuz davongetragen hat.

Man fieht, der Verfaffer berührt fich, ohne fich deffen
freilich felbft bewufst zu fein, in gewiffen Hauptgedanken
mit den ihm offenbar recht unbekannten Anfchauun-
gen der von ihm verworfenen Göttinger Schule. Er thut
fich auch etwas darauf zu Gute, dafs er die Erlöfung
aus einem einheitlichen Princip begreife, und dafs in
feiner Darftellung nicht Gottes Liebe und Gerechtigkeit
neben einander herlaufen oder gar in Gegenfatz mit
einander treten (S. 373). Aber diefer Vorzug ift doch
nur ein fcheinbarer. Denn Chrifti hohepriefterliches
Handeln hat nach der von dem Verfaffer auch in diefem
Punkt vertretenen orthodoxen Lehre den Grund feiner
Nothwendigkeit an dem Gefetz. Diefem foll durch Chrifti
Leiden und Tod Gerechtigkeit widerfahren. Und wegen
ihrer Sünde ift die Menfchheit Gottes Zorn unterworfen
und bedarf des Erlaffes der ihr gebührenden Strafe. So
lange man diefe Auffaffung vertritt, ift es nur folgerecht,
in Gott neben der Liebe auch feine Strafgerechtigkeit zu
behaupten. Wenn der Verfaffer dennoch die heilige Liebe
als alleinigen Inhalt feines Gottesbegriffs proclamirt, ift
er einfach inconfequent. Dafs er aber diefen nicht rein
durchzuführen vermocht hat, dafür liegt der Grund in
feiner Vorausfetzung von der Infpiration und in feiner
fonftigen Gebundenheit an die Orthodoxie des 17. Jahrhunderts
. Wie er über keine anderen Erkenntnifsmittel, als
diefe verfügt, fo kennt er auch keine anderen Probleme,
als die ihr aufgegangen waren. Nur fehlt ihm die Schärfe
der Auffaffung und des Denkens, die den proteftantifchen
Scholaftikern doch in erheblichem Mafse eigen gewefen ift.
Aber darauf will er ja auch kein Gewicht gelegt wiffen,
indem er vor menfchlich logifchen Begriffen und Ab-
ltractionen fich fcheut und die wiffenfchaftliche Theologie
unferer Zeit verwirft. Er fühlt vielleicht unbewufst, dafs
die logifche Confequenz für feine Weltanfchauung eine

grofse Gefahr in fich fchliefsen würde, und vermeidet
fie daher lieber, aus Furcht vor dem Böfewicht.

Kiel. Otto Ritfchl.

Hoensbroech, Paul v., S. J., Christ und Widerchrist. Ein

Beitrag zur Vertheidigung der Gottheit Jefu Chrifti
und zur Charakteriftik des Unglaubens in der proteftantifchen
Theologie. Freiburg i'B., Herder, 1892. (VII,
167 S. 8.) Mk. 1. 50.

,Ich danke dir Gott, dafs ich nicht bin wie andere
Leute, Räuber, Ungerechte, Ehebrecher, oder auch wie
diefer Zöllner'. Auch diefes Wort hätte der Verfaffer
neben Mt. 16, 16; 12, 30 als Motto auf dem Titelblatt
feines Buches abdrucken laffen können. Er geht mit
der gegenwärtigen proteftantifchen Theologie und mit
deren Auffaffung von der Gottheit Chrifti in's Gericht.
Das Thema ift zeitgemäfs, und vielleicht wird fich der
Jefuit von manchem orthodoxen Proteftanten Dank erwerben
, indem er ihm ftatt abgebrauchter ftumpfer Waffen
fchärfere und brauchbarere darreicht. Denn dafs das
Buch nicht auf einen katholifchen Leferkreis berechnet
ift, das fieht man fchon bei einer ganz oberflächlichen
Leetüre. Stolz wie Janffen ftellt fich der Verfaffer auf
den Boden der objectiven Gefchichtsforfchung. Von
Kirche und kirchlicher Tradition redet er nicht. Dagegen
beruft er fich auf das unanfechtbare Zeugnifs der
Menfchheit feit faft 2000 Jahren (S. 79) und auf die
Evangelien als gefchichtliche Quellen. ,Gewifs befteht
neben diefer in den Evangelien fchriftlich niedergelegten
die (theologifch) gleichwerthige mündliche Ueber-
lieferung. Jedoch Nachrichten über die Perfon und das
Leben Chrifti haben wir in der That inhaltlich kaum
andere, als die der Evangelien' (S. 27). Auch den
griechifchen Urtext und nicht die Vulgata pflegt der
gelehrte Jefuit in zweifelhaften Fällen heranzuziehen (S 94.
117). Ebenfo rechnen auf proteftantifche Lefer Aus-
fagen, wie folgende: ,Das hiftorifche Chriftenthum ift der
luftorifche Chriftus' (S. 17). ,Chrift ift nur der, welcher
fich zu dem Chriftus, wie die Gefchichte ihn uns zeichnet,
bekennt' (S. 21). Endlich figuriren in dem Catalogus

1 testium veritatis, in welchem nach dem Cliakcdoncnst
katholifche Autoritäten überhaupt nicht mehr aufgeführt
werden, die Augsburgifche Confeffion, die Schmalkal-
difchen Artikel, die Concordienformel und die Con/essio
helvetica prior. Ja einmal ift auch (S. 137) fehr vorfichtig
von den ,im 16. Jahrhundert durch Luther, Melanchthon
entftandenen chriftlichen Neubildungen' die Rede.
Dagegen kommt allein gegen Luther's Auffaffung vom
Glauben einmal ein indirecter Widerfpruch vor, der den
Katholiken verräth (S. 153). Er richtet fich aber direct
gegen Harnack, der den lutherifchen Glaubensbegriff als
felbftverftändlich vorausgefetzt hatte.

Intereffanter ift es noch, dafs der Jefuit in den von
ihm beigebrachten Citaten aus den Werken proteftan-
tifcher Theologen beharrlich und, wie es fcheint, ge-
fliffentlich die Sätze wegläfst, in denen diefe fich auf
Luther oder Melanchthon oder überhaupt auf folche
Dinge berufen, welche den orthodoxen Proteftanten als
werthvoll oder auetoritativ gelten zu können fcheinen,
aber dies nicht zugleich auch für den Katholiken find.
Diefe Beobachtung führt uns auf die Darftellungsmethode
des Verfaffers. Er läfst die hervorragendften Theologen
der liberalen Theologie und der Göttinger Schule, aufser-
dem aber auch Thomafius, Gefs, Kahnis, B. Weifs und

1 Beyfchlag, Revue paffiren, um aus ihren eigenen Worten
zu beweifen, dafs fie Chrifti Gottheit leugnen oder läfter-

| liehe Reden über Chriftus führen. Aber diefe Methode
ift fchon nicht mehr neu. Nur ift der Verfaffer ein gelehriger
Schüler Janffen's, den er eben auf einem anderen
Gebiet copirt. Ich lege kein Gewicht darauf, dafs er die

| Stellen, die er beibringt, aus dem Zufammenhangc reifst.

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