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Ausgabe:

1893

Spalte:

122-124

Autor/Hrsg.:

Schmidt, Arth. B.

Titel/Untertitel:

Der Austritt aus der Kirche. Eine kirchenrechtliche und kirchenpolitische Abhandlung 1893

Rezensent:

Köhler, Karl

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die treibenden Momente, welche dazu geführt haben, die j Zweifel unter Führung des Schülerchors f.und foll der

Königin der Inftrumente zum Dienffe der fingenden Ge
meinde, zur Führung und harmonifchen Sättigung der
Liedweife heranzuziehen, liefsen fich erkennen (vgl. des
Ref. Gefch. des ehr. Gottesdienfles S. 184ff.); aber eine
eingehende Darftellung des Proceffes, wie fich thatfäch-
lich der Umfchwung vollzogen hat und wie die Orgel

Küfter mit etlichen Knaben dem Volke helfen', Pomm
K--°- lS35, f- S. 34). Hieraus erklärt es fich, 'dafs das
Orgelfpiel da und dort in concertmäfsiger Weife fich
breit machte, vgl. S. 41 ff. Die Orgel gehört zu den
,ornamentis und lobzierlichem Gepränge' des Gottesdienfles
. Ihre Aufgabe ift eine felbftändige, durch die

aus dem ausfchliefslich der kirchlichen Kunftmufik die- j Melodien und Motive, welche fie verarbeitet, die Ge

nenden Inftrument ein liturgifches geworden ift, hat noch
gefehlt, und fchon deshalb bildet die vorliegende Arbeit,
welche fich durch Genauigkeit und Befonnenheit auszeichnet
, eine ebenfo verdienftliche wie werthvolle Bereicherung
der liturgifchen Literatur, auch wenn fie in

danken der Gemeinde auf die mit jenen Melodien im
Bewufstfein der Gemeinde verbundenen Worte zu lenken
überhaupt die Andacht zu fördern. ,Das 16. Jahrhundert
und die erften Jahrzehnte des 17. Jahrhunderts zeigen uns
alle die Formen, die wir betreffs der Anwendung der

dem und _enem Punkte der Ergänzung und Berichtigung j Orgel in dem Gottesdienfte der römifchen Kirche fanden,
bedürfen follte. Als Hauptquellen zieht der Verfaffer j In fteigendem Mafse wird der Figuralgefang mit Bei-
die Agenden und Kirchenordnungen des 16. und 17. Jahr- j fügung der Orgel gepflegt, der Gemeindegefang wird
hunderts, die Vorreden zu den Gefangbüchern der ent- j mehr und mehr dadurch zurückgedrängt. Soweit aber
fprechenden Perioden, die Orgelpredigten und Leichen- der letztere noch fein Recht ausübt, bleibt er unabhängig
predigten für Organiften heran. Vielleicht durfte auf die i von der Orgel oder die Orgel fteht zu ihm nur infofern
Gefchichte des Orgelfpiels als folchen noch mehr Rück- ; in Beziehung, als fie theils die Melodie des zu fingenden
ficht genommen werden, wie auf das Verhältnifs der Liedes vorfpielt, theils auch hie und da an Stelle der
Inffrumental-Mufik zur Vocal-Mufik, welch' letzteres ins- j Gemeinde tritt und einen Vers allein fpielt. Höchft
befondere den Brauch erklärt, die menfehlichen Stimmen. I intereffant ift die Schilderung des Umfchwungs, der zu-
wo fie nicht ausreichten, durch Inftrumente, ja den nachft dahinführt, den Chor dem Gemeindegefang dienft-
Vocalchor durch den Inffrumentenchor, beziehungsweife 1 bar zu machen, und damit endet, dafs an die Stelle des
die Orgel zu erfetzen, was um fo leichter gefchehen , Chors die Orgel als Begleit-Inftrument des Gemeindekonnte
als der Inftrumentalfatz vom Vocalfatz in keiner gefangstritt. Refte der Uebergangsftufe, auf welcher der
Weife 'abwich die Inffrumentalffücke nur von Inftru- i (zur harmonifirten Melodie herabgefetzte) Chor den Fuhrer
menten ausgeführte (polyphone) Vocalfätze waren (vgl. j und Kern der fingenden, fich in die vier Stimmen thei-
des Ref. Gefch der Mufik S. 163). Sehr richtig geht der j lenden Gemeinde bildet, finden fich 1770 in Rothenburg a.T.;
Verf. von der Vorausfetzung aus, dafs die Würdigung | die Uebung, die Orgelbegleitung je beim andern Vers
der Orgel für den gottesdienfllichen Gebrauch von Seiten : auszufetzen und die Gemeinde allein fingen zu laffen,
der Reformatoren bedingt gewefen fein wird durch die heute noch in Oftfriesland. Den Flinflufs, welchen die
Bedeutung welche die Orgel für den Gottesdienft der ! obligate Begleitung des Gemeindelieds auf den Gemeinde-
katholifchen Kirche zur Zeit der Reformation gehabt hat. 1 gefang und die Melodiegeflalt geübt hat, deutet der
Seine Unterfuchung Bellt feft, dafs für den katholifchen i Verf. nur an, wie er auch bezüglich der Lehren, welche
Cultus die Orgel bezw. das Orgelfpiel ganz auf derfelben j aus der gefchichtlichen Entwickelung zu ziehen find, nur

Linie Band, wie der polyphone Chorgefang: beide dienten
zur künBlerifchen Verherrlichung des Gottesdienffes und
Banden dem unifonen Choral, dem eigentlich allein zu
Recht beBehenden liturgifchen Gefang als den einen

andeutende Winke giebt, da Weiteres nicht in dem
Rahmen feiner, nur den ThatbeBand fixirenden Unterfuchung
liegt. — In die Einzelheiten einzugehen fehlt

hier der Raum, nur das fei bemerkt, dafs wir S. 7; vorerft
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willkommener, den andern bedenklicher Schmuck gegen- ; dem Verf. gegen Herold Recht geben, da deffen Auffaffung
über. Dem Vocalchor gegenüber nahm die Orgel jeden- j nicht im Text liegt. Was die von v. Liliencron im Corre-
falls nur die zweite Stelle als Erfatzmittel ein, fchon, fp.-Bl. des Ev. Kirchengefangvereins für Deutfchland
weil fie des Wortes entbehrt und diefes dann, wenn die angezogene, von Rietfchel S. 56 angeführte Stelle von

Orgel für den Chor eintritt, von den handelnden Per
fönen fupplirt werden mufs (in diefem Sinn iB die Stelle
S. 15 zu verBehen). An fich iB die Uebung, den Chor
mit der Orgel alterniren zu laffen, ein Nothbehelf gewefen
, aus welchem die in Italien aufblühende Orgel-
fpielkunB eine Tugend gemacht hat. Genug, die Reformation
fand den Stand der Sache fo vor, dafs die Orgel
1) felbBändig mit Vorfpiel den Gottesdienfl einleitete,

Gefius betrifft, fo beweiff diefelbe nicht, dafs die Gemeinde
mit dem Chor gerungen habe, fondern im
Gegentheil, dafs es der Gemeinde nicht möglich gewefen
war, bei dem bisherigen Chorfatz den Tenor mitzu-
fingen; fie beweiff alfo nicht das Vorhandenfein einer
beBehenden Uebung, fondern im Gegentheil das Vorhandenfein
des Wunfehes beziehungsweife den Anfang
des Verluches, die Kluft zwifchen Chor- und Gemeinde-

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ia fozufagen wie die Glocken, einläutete, eine Rolle, [ gefang zu überbrücken, erfleren der Gemeinde verffänd-
welche der Figuralmufik in vielen evangelifchen Kirchen j lieh zu machen derfelben das (wohl zunächff nachlefende,
noch bis gegen Ende des 18. Jahrhunderts zugewiefen ; oder geiflig mitfingende) Mitgehen zu ermöglichen. Gefius,
war (vgl. auch S. 71 !); 2) den Kunffchor alternatimab- 1 H und M. Praetonus (f. S. S9 Mitte!) leiten alfo mit
löfle, ja wenn diefer oder die Gemeinde bei der Meffe fehlte, Odander den Verfuch ein, den zurückgegangenen Geganz
erfetzte; 3) in einzelnen Chorfätzen mitwirkte j meindegefang durch Verknüpfung mit dem Chorgefang,
(wohl die fehlenden Stimmen ergänzend, die ichwach der ihn verdrangt hatte, zu heben, zu beleben, ja, für
vertretenen verffärkend, überhaupt den Chor deckend). ! tremdgewordene Melodien wieder zu ermöglichen. Sänge
Auch für die Reformatoren Band das Orgelfpiel dem- die Gemeinde volltönend mit, wie könnte fie die ,ver-
gemäfs auf derfelben Linie, wie der kunffmäfsige Chor- Bendlichen Wort' des vorfingenden Knaben ,hören'? —
gefang nur hinter diefem in dem Mafse zurückffehend, : Darmfladt. H A K-Afti;.,

Iis ihm das Wort fehlte. Wo die Orgel bisher im ___________ A" Koltlln-

Gottesdienff mitwirkte, wurde fie nicht aus demfelben h.

gewiefen (vgl. die höchff intereffante Befchreibung der Schmidt, Prof. Dr. Arth. B., Der Austritt aus der Kirche.

Gottesdienffe in Eifenach und Wittenberg von 1536 S..21!). Eine kirchenrechtliche und kirchenpolitifche Abhand-

Sie nahm mutatis vmtandis diefelbe Stellung ein, wie im
katholifchen Gottesdienff: als Erfatz des Vocalchors,
zur Unterffützung desfelben und zur Abwechfelung mit
demfelben So war man es ja gewöhnt. Das deutfehe
I ied der Gemeinde wurde ohne Orgel gelungen, ohne

lung. Leipzig, Duncker & Humblot, 1803 (XII ?oe
S. gr. 8.) M. 8. - ' ^

Der Austritt aus der Kirche iff leider dermalen ein
zeitgemäfser Gegenfland. Die Gefetzgebung hat fich