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Ausgabe:

1893 Nr. 4

Spalte:

120-122

Autor/Hrsg.:

Rietschel, Geo.

Titel/Untertitel:

Die Aufgabe der Orgel im Gottesdienste bis in das 18. Jahrhundert. Geschichtlich dargelegt 1893

Rezensent:

Köstlin, Heinrich Adolf

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Theologifche Literaturzeitung. 1893. Nr. 4.

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Interpunktion ilt entweder überaus willkürlich oder fehr
nachläffig. Trotz diefer kritifchen Bemerkungen wünfche
ich dem Büchlein guten Erfolg.

6. Das erfte Gefühl, das eine Katechismuserklärung
von nicht weniger als 700 Seiten hervorruft, ift durchaus
dramatifch: Furcht und Mitleid. Um fo beffer, wenn der
Ertrag des Studiums ein ganz anderer ift. Ich kann in der
That die ,Chriftenlehre' Nicolai's allen Predigern und
Religionslehrern, welcher theologifchen oder kirchlichen
Richtung fie auch angehören mögen, aufrichtig empfehlen.
Damit aber meine Empfehlung der Verbreitung des
Buches nicht fchadet, bemerke ich ausdrücklich, dafs der
Verfaffer theologifch in manchen unwichtigen und in
einzelnen wichtigen Fragen einen mir fremden Standpunkt
einnimmt, —fehe ich recht, den Standpunkt einer
milden, weitherzigen Orthodoxie. Es handelt fich hier
um eine ausgereifte Frucht des praktischen Lebens und
geittlichen Amtes. Der Stoff diefer Chriftenlehre ift nach
Fülle und Auswahl zu loben. Die Sprache ift weder theo-
logifch-fteif noch erbaulich-breit. Befonders wohlthuend
ift der warme Ton, der durch das Ganze geht, und die
Gerinnung, der es auf die Hauptfache ankommt. Aus
dem Confirmandenunterricht hervorgewachfen, dürfte
dies Buch nach Anlage und Art für den kirchlichen Pfarrunterricht
ganz befonders von Werth fein. Aber auch
jeder Religionslehrer an Volksfchulen und höheren Schulen
wird es zur Vorbereitung mit Segen benutzen.
Umfang und Gliederung des Stoffes wird freilich gerade
der Lehrer zuweilen aus der dargebotenen Fülle fich erft
herausfchälen muffen. Hie und da wird eine genauere
Begriffsbestimmung, eine andere Ordnung, eine einheitliche
Zufammenfaffung didaktifch wünfchenswerth oder
nothwendig fein. Auch glaube ich nicht, dafs es leicht
fein wird, den gegebenen Stoff ohne Weiteres in Frageform
zu entwickeln. Dazu entfpricht die ganze Anlage
und Art des Buches zu fehr einem zusammenhängenden
Vortrag, — fo fehr, dafs man es ohne Schwierigkeit und
gewifs zur Förderung und zum Segen als Leetüre im
Familienkreife wählen kann. Was die einzelnen Ausführungen
anlangt, fo habe ich beim erften Hauptftück
nur wenige Bedenken, — am meinen noch beim dritten
Gebote. Im zweiten Hauptftück zeichnet fich der erfte
Artikel durch eine durchaus fachgemäfse Anordnung und
Behandlung aus. Beim zweiten Artikel wünfehte ich einige
Aenderungen und Ergänzungen. Didaktifch finde ich die
Behandlung des dritten Artikels fchwächer als die der
beiden andern. Auch das dritte Hauptftück möchte ich,
fo fchön und richtig alles gefagt ift, noch unter einer
andern Beleuchtung fehen. Das vierte wie das fünfte
Hauptftück läfst den Anfchlufs an den Wortlaut der
Luther'fchen Erklärung faft ganz fallen. Ob mit Recht,
das fteht dahin. Ueberhaupt würde die Frage, ob man
Luther's Erklärungen allein oder den Text der Haupt-
Stücke allein oder beide zufammen ,erklären' foll, erft zu
entfeheiden fein, um in allen Fällen zur Klarheit und
zur Verständigung zu kommen.

7. Ift die ,Chrittenlehre' Nicolai's als eine edle Frucht
der überlieferten Katechismuserklärung zu empfehlen, fo
ift es mir eine befondere Freude, auf die Erklärung des
zweiten Hauptftückes von Dörries hinweifen zu dürfen
als auf einen bedeutenden und gediegenen Verfuch, die
theoretifchen und praktifchen Errungenfchaften auch der
neueren theologifchen Arbeit fachgemäfs für den kirchlichen
Unterricht zu verwerthen. In diefem Bestreben berührt
fie fich mit den Arbeiten Gottfchick's, von Rohden's,
Berger's und anderer. Aber wir haben bisher noch kein
Werk, welches die befruchtenden, neugewonnenen oder
wiederentdeckten Gedankenkreife fo gründlich, fo umfaf-
fend und mit folcher bis ins Einzelne gehenden Umficht
und Ausführlichkeit an einem bestimmten Stück des Katechismus
zur Geltung gebracht und durchgeführt hätte.
Nach einer allgemeinen Erörterung über den gegenwärtigen
Stand und die Ziele des Katechismusunterrichts

behandelt der Verfaffer jeden der drei Artikel für fich,
indem er zunächst die für die Befprechung leitenden Ge-

1 fichtspunkte darlegt, fodann auf wenigen Seiten einen

i kurzen, übersichtlichen Entwurf einfügt und endlich die
ausgeführte Erklärung darbietet, — nicht in erotematifcher
Form, aber doch in fo einfachen, logifch geordneten

i Sätzen und Satzgruppen, dafs die Herstellung der kate-
chetifchen Wechfelrede faft überall ohne Mühe zu bewerkstelligen
ift. Das Buch hat mancherlei Tugenden,
die es zum unmittelbaren Gebrauch, wie zum gewiffen-
haften Studium ganz befonders geeignet machen. Für
alle Anhänger der neueren Theologie, welche nach geeigneten
Formen, Vorlagen und Winken für die Arbeit
in der kirchlichen Praxis fich umfehauen, ift es eine befonders
dankenswerthe Gabe. Aber auch die Gegner und
die Anhänger der Tradition dürfen an diefer Arbeit nicht
vorübergehen. Werden fie auch nicht überzeugt, fo werden

1 fie doch angeregt, zu eigener Prüfung und Ueberlegung
befruchtet und hoffentlich auch über den Charakter, die
Ziele und den Sinn der vielverfchrieenen neueren Theologie
und ihrer Stellung zur Kirche aufgeklärt werden.
Die Auseinandersetzung mit der Uebcrlieferung ift überall
gründlich und durchgreifend, aber andererfeits nirgends
verletzend und nie ohne Pietät und Befonnenheit. Sie ift
Stets getragen von der freudigen Gewifsheit des eigenen
guten Rechtes, aber zugleich von der Gerechtigkeit, die
auch beim Gegner das Gute anerkennt, und von der
Liebe, die Verständigung Sucht und bauen will. Aus
jahrelanger, gewiffenhaft geübter pfarramtlicher Praxis

i hervorgegangen, bringt dies Buch kein Flickwerk, keine
Mofaikarbeit und keine Ueberarbeitung bekannter Vorlagen
, fondern eine einheitliche Neugestaltung der kate-
chetifchen Behandlung des zweiten Hauptftückes aus
Einem Gufs, den Worten und Gedanken Luther's gegenüber
viel gebundener als die katechetifche Tradition,
aber nirgends fklavifch gebunden, ja zuweilen zur Verständigung
mit der gegenwärtigen Ueberlieferung von
dem ursprünglichen Gedankenumfang des Luther'fchen
Katechismus erheblich abweichend. Die Hinführung der

j Kinder zu einem lebensvollen Erfaffen der christlichen
evangelifchen Heilswahrheit bildet den ausgefprochenen
und gewifs zu erhoffenden Zweck diefer Art der Katechismusbehandlung
. Nicht überall vermag ich dem Verfaffer
zu folgen. An manchen Stellen fcheint er mir un-
nöthige Umstellungen der Gedanken Luther's vorzunehmen,
hie und da auch Fremdartiges zu bieten, was den Schlichten
Gang Luther's zu Stören droht. Indefs denke ich bald
eine andere Gelegenheit zu haben, mit dem verehrten
Verfaffer mich darüber zu verständigen. Hier geftattet es
der Raum nicht. Darum will ich mit einer eindringlichen
Empfehlung des hochwillkommenen Dörries'fchen Werkes
fchliefsen.

Magdeburg. W. Bornemann.

Rietschel, 1. Univ.-Pred. Prof. D. Geo., Die Aufgabe der
Orgel im Gottesdienste bis in das 18. Jahrhundert. Geschichtlich
dargelegt. Leipzig, Dürr'fche Buchh., 1893.
(IV, 72 S. Lex.-8.) geb. M. 3. —

Die als Dekanatsprogramm für den 31. Oct. 1892
ausgegebene Schrift bildet einen werthvollen Beitrag zu
der Gefchichte des Gottesdienstes. Der Verfaffer Bellt
fich die Aufgabe, durch eine hiftorifche Special-Unter-
fuchung genau festzustellen, welche Aufgabe denn that-
fächlich die Orgel in den Gottesdiensten unferer Kirche
im 16. und 17. Jahrhundert gehabt hat. Denn dafs die
Orgel keineswegs diejenige Stellung eingenommen hat,
welche ihr jetzt allgemein zugewiefen ift, wornach fie
dem Gefang der Gemeinde fchlechthin zu dienen, ihn
einzuleiten und zu führen hat, dafs fie diefe Stellung allgemein
erft feit der Mitte des 17. Jahrhunderts einnimmt,
Stand fo ziemlich allen Kundigen fchon länger fett. Auch