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Ausgabe:

1893

Spalte:

113-114

Autor/Hrsg.:

Blech, Ernst

Titel/Untertitel:

Gottes Verkehr mit der geistigen Welt 1893

Rezensent:

Ritschl, Otto

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fchen zu führen fucht, kann heutzutage gar nicht mehr
unter den Vorausfetzungen Kant's geleinet werden. Denn
diefer hat noch nicht darauf geachtet, wovon wir heute
gar nicht mehr abfehen können, dafs das Gewiffen oder
der kategorifche Imperativ, oder wie man fonft das unbedingte
Gefühl der fittlichen Gebundenheit nennen will,
ohne feinen flets durchaus gefchichlich bedingten Inhalt
gar nicht vorftellbar ift. Diefe Seite der Sache kommt
aber auch bei dem Verfaffer nicht zu ihrem Rechte. Sie
hätte ihn fonft zu gefchichtlichen Unterfuchungen führen
müffen. Dagegen mit feinen rationalen Schlüffen aus
dem von feinem gefchichtlich gewordenen Inhalt ifolir-
teri Gewiffen und aus der Zweckmäfsigkeit der Welt,
neben der doch auch die offenbare Zwecklofigkeit fo
unendlich vieler von vorn herein verlorener Menfchen-
leben beachtet werden dürfte, läfst fich überhaupt der
Gottesglaube nicht begründen. Vielmehr allein unter der
Vorausfetzung der gefchichtlichen Offenbarung des
Chriftenthums ift er in dem Sinne wirklich und kann er
nur immer wieder wirklich werden, in welchem er nach
chriftlicher Anfchauung von wirklich religiöfer Bedeutung
ift. Denn gefetzt, der Verfaffer hätte den Gottesglauben,
den er hat beweifen wollen, thatfächlich über jeden in-
tellectuellen Zweifel erhoben, fo wäre der fo gewonnene
Gottesbegriff doch noch immer nicht der fpecififch chrift-
liche. Info fern ift Luther's Ausfpruch mafsgebend: Deum
absolutmn debcnt omnes fugere, qui non volunl perire,
quia /uimana natura et Deus absolutus sunt inter se in-
Ji stisimi inimici (E. A. op. ex. 19, 22). Den auf eine folche
Schätzung der chriftlichen Offenbarung Gottes fich gründenden
theologifchen Standpunkt bezeichnet freilich
Zöckler als .Ritfchl'fchen Rationalismus redivivus' indem
er in demfelben Athem die lediglich rationalen
Argumentationen Kennedy's empfiehlt. Deutlicher, als
an diefem Beifpiel, kann das quid pro quo gar nicht er-
lichtlich werden, welches die Polemik gegen Ritfehl mit
ihrem Vorwurf des Rationalismus zu begehen pflegt.

Kiel. Otto Ritfchl.

Blech, Archidiak. Emft, Gottes Verkehr mit der geistigen

Welt. Neun Auffätze zur Verftändigung mit den Suchenden
in der gebildeten Welt. Leipzig, H. Bredt, 1893.
(VIII, 138 S. gr. 8.) M. 1.60.
Wenn ich die vorliegende Schrift als eine apolo-
getifche bezeichnen wollte, würde ich ihr Unrecht thun.
Denn fie ift trotz ihrer relativen Kürze weit gehaltreicher,
als was man gewöhnlich unter dem Titel Apologetik auf
den literarifchen Markt zu bringen pflegt. Aber fie ift
eine Apologie des Chriftenthums im beften Sinne des
Worts. Sie ift das hinreifsende Bekenntnifs eines chriftlichen
Mannes, der feine Erfahrungen gemacht hat, und
den fein warmes, ehrliches, liebevolles Chriftenherz nun
dazu treibt, mit den Suchenden in der gebildeten Welt
Verftändigung zu erftreben. Der Verfaffer ift nicht nur
ein gebildeter, fondern auch ein gläubiger Theologe, der
felber allen Anfprüchen genügt, die an .Gläubigkeit' gehellt
zu werden pflegen, deffen Ausführungen aber die
nachdrücklichfte Verurtheilung aller hierarchifchen An-
fprüche an Gläubigkeit enthalten. So ift er weitherzig
und duldfam gegen Vertreter anderer Anfchauungen,
aber ein Feind aller Hohlheit, Flachheit, Eitelkeit, Ge-
nufsfucht und Eäulnifs unfererZeit. Seine Auffaffung vom
Chriftenthum ift in hohem Grade felbftändig, charakte-
riftifch ift befonders feine Schätzung der Bibel, in der
er gerade auch des A. T. neben dem neuen als Gottes
Wort anerkannt und benutzt fehen will. Und doch ift er
fern von der Infpirationstheorie, und was er über diele
fagt, durchaus beherzigenswerth. Er nennt fich felbft
,ganz offen' einen Myftiker (S. 2), er ift auch entfchieden
eine contemplative Natur, aber von myftifcher Methode
will er nichts wiffen, und von der Myftik fagt er (S. 3»;.

fie betone den von uns ausgehenden Verkehr mit Gott
ftärker, als den von Gott ausgehenden. Aber für den
Verfaffer ift ,Gottes Verkehr die Hauptfache, durch ihn
allein kommt es zu einer Offenbarung und zu einem
Wiffen von Gott' Immer ift ,Gott der gebende und wir
die empfangenden. Um den Geber fchaaren fich die
Reichsgenoffen, kein Menfch und keines Menfchen Lehre
kann folche Bedeutung je erlangen'. So betont er auch
vor allem immer wieder die Thatfachen, wie fie ihm im
Geiftesleben und in der Bibel vorliegen. Freilich ftellt er
nicht die Frage, woran denn gefchichtliche Thatfachen
als folche für uns erkennbar find, wie er überhaupt keine
eigentlich wiffenfehaftliche Erörterung darbietet. Er hält
auch nicht viel von Methode, da Methoden dem Wechfel
unterworfen feien. So begegnet feine Schrift nicht allen
Fragen des wiffenfchaftlichen Zweifels, die man berechtigterweife
aufwerfen kann und mufs. Aber fowie es ihm
bei feiner Unterfuchung allein um die Religion zu thun
ift, fo beeinträchtigt jener Mangel auch nicht den Werth
der von ihm entwickelten Weltanfchauung. Diefe ift die
chriftliche, die proteftantifche, in geiftvoller Weife eigen-
thümlich dargeftellt. Die individuelle Befonderheit, in der
fich hier ein gefundes edles Chriftenthum giebt, verdient
geehrt und in ihrer eigenen Art anerkannt zu werden.
Gegenüber der Zuftimmung in der Hauptfache, die der
Verfaffer jedem guten Proteftanten abnöthigen mufs,
dürfen daher die Widerfprüche gegen viele feiner einzelnen
Anflehten wohl um fo mehr unausgefprochen bleiben,
als ihn felbft lediglich die Abficht auf Verftändigung
leitet, und als er fich auch jedes theologifchen Streits
und jeder Provocation enthalten hat.

Kiel. Otto Ritfchl.

Köster, A., Jesus Christus, unser Gott und Herr. Ein Wort
zur Verftändigung über den Hauptartikel des Schmal-
kaldifchen Bekenntnifses. Braunfchweig, Schwetfchke
& Sohn, 1892. (III, 96 S. gr. 8.) M. 1. 60.

Der Verfaffer zeigt, dafs nach Luther's Anficht die
Anerkennung der .hohen Artikel der göttlichen Majeftät',
welche den erften Theil feines Schmalkaldifchen Bekenntnifses
bilden, noch nicht der feligmachende oder rechtfertigende
Glaube an Chriftus fei, fondern dafs diefer
allein in dem erften und Hauptartikel des zweiten Theiles
dargeftellt werde. Hier ift aber der Ausdruck Jefus
Chriftus unfer Gott und Herr' nicht ein Bekenntnifs zur
theoretifch-metaphyfifchen Gottheit Jefu Chrifti, fondern
er bezeichnet ,die praktifch-amtliche Gottheit, nämlich
das von Gott felbft gegebene Recht und Vermögen, um
der Seligkeit willen von uns Gehorfam und Vertrauen
zu verlangen' (S. 6). Luther will ,in dem erften und
Hauptartikel felbft auch mit den Worten »unfer Gott
und Herr« ausdrücklich nichts Anderes bekennen und
bezeichnen, als fein und unfer allein rechtfertigendes
perfönliches Heilsvertrauen auf das Amt und Erlöfungs-
werk Jefu Chrifti, oder auf Jefum Chriftum, als unfern
alleinigen Heiland und Seligmacher. Somit mögen in der
heutigen evangelifchen Chriftenheit »die hohen Artikel
der göttlichen Majeftät« noch fo fehr »in Zank und
Streit« zwifchen den Parteien und Richtungen fein; in
dem erften und Hauptartikel des andern Theiles aber,
der das Amt und Werk Jefu Chrifti oder unfere Erlöfung
betrifft, ift wenigftens der Ausdruck »Jefus Chriftus unfer
Gott und Herr« in dem Sinne, wie Luther diefe Worte
gemeint hat, in keinem Zank und Streit der kirchlichen
Richtungen und Parteien' (S. 38).

Ferner zeigt der Verf., dafs auch die nicht orthodoxen
Theologen und Gemeindeglieder, die mit ihm die
Gottheit Chrifti praktifch-religiös auffäffen, ein Recht
haben, die von Luther in jenem Hauptartikel herangezogenen
Bibelfprüche (Rom. 4, 25; Joh. 1 29; Jef. 53 6-
Rom. 3, 23fr.; Act. 4, 12; Jef. 53, 5) zu bekennen, welche'